Ursprünge des HipHop: Die drei Säulen des HipHop
Wovon Kanye West keine Ahnung hat: Wild Style und die frühe New Yorker Graffiti-Szene in den Fotografien Martha Coopers.
Tanzende Buchstaben stiften Orientierung in unsicheren Zeiten. Sie markieren Präsenz, weisen einen Weg durch den Großstadtdschungel und gelten als eine von drei eng miteinander verbundenen Säulen: HipHop-Kultur besteht aus Rappen, Breakdance und Graffiti. Durchaus drastisch aber weitgehend friedlich in ihrem Wettbewerbscharakter waren die drei Zweige zunächst gleichbedeutend: sich sprechend, tanzend und schreibend fortbewegen, im Zusammenhang mit afroamerikanischen Musikkulturen.
Die Ursprünge dieser Story liegen im New York der mittleren 1970er Jahre. Sein ökonomisch bedingtes Elend bildet zwangsläufig den Freiraum, auf dem HipHop als „Wild Style“ (so der Titel eines frühen Films von Charlie Ahearn über die entstehende Szene) den Humus dieser Jugendkultur bildet.
Rappen, Breakdance und HipHop
Aus Oldschool-HipHop spricht überlebensgroße Vitalität bei gleichzeitig spielerischer Aneignung von Musik. Je akrobatischer die Bewegung an den Plattentellern, auf Tanzflächen und je absurder die Mitteilungen an den Wänden, desto existenzieller die Notwendigkeit als Gegenmittel zur Entfremdung. Keine Subkulturszene hat die erodierende Infrastruktur des industriellen Zeitalters besser zu eigenen Formen von Kommunikation transformiert: Rappen, Breakdance und Graffiti.
Seither wurde HipHop zur weltumspannenden Jugendkultur, teils abgekoppelt von ihren Wurzeln. Jedes Land hat eigene Stars etabliert, manche vergessen trotz Erfolges nie, wo sie hergekommen sind. Unter der kommerziellen Verwertung leidet der Community-Gedanke, der vor bald 40 Jahren die drei Säulen in New York umrankte und heute oft aus den Erzählungen getilgt ist.
Martha Cooper: „Spray Nation. 1980s NYC Graffiti Photographs“. Prestel Verlag, München, 2022, 289 Seiten, 40 Euro
Roy Christopher (Hg.): „Boogie Down Predictions. HipHop, Time and Afrofuturism“. Strange Attractor Press, Cambridge, 2022, 334 Seiten, 24 Euro
Soll nicht heißen, HipHop als vermarktbares Phänomen von Individuen sei deshalb automatisch verdorben. Nur hat sich der Diskurs über Breakdance und Graffiti längst so verselbstständigt, dass er inzwischen abseits von HipHop geschildert wird. Obwohl Graffiti nicht mal anhaben konnte, dass darüber in den 1980ern eine Weile in der Closed-Shop-Atmosphäre der bildenden Kunst verhandelt wurde, es gehört – genau wie Breakdance – mehr zu HipHop als manchen lieb ist.
Dass zwei gleichzeitig erschienene Bücher vergegenwärtigen, wie eng verknüpft Rappen, Breakdance u n d Graffiti in New York einmal waren, ist wichtig, in Zeiten von weltentfremdeten Superstars wie Kanye West, die ohne Bezug zur Realität ständig in den Medien auftauchen.
Martha Cooper
Man kann den Gemeinschaftscharakter von HipHop nicht oft genug betonen. Der Band Spray Nation der US-Fotografin Martha Cooper veranschaulicht wie beweglich Breakdance, Rap UND Graffiti in New York in den frühen 1980er Jahren waren, wie zahlreich die Überschneidungen.
Das Design der von ihr abgebildeten Graffiti, Schriftarten, Buchstabenkonturen, hinzugefügte Symbole und Figuren – diese teilweise von Undergroundcomics inspiriert, steigern Unruhe, Schwindel, alltägliches Nicht-Einverstanden-Sein. Die unersättliche kinetische Energie der Jugend bricht sich in den Farbexplosionen und irren Meinungsäußerungen Bahn. Wer sagt, dass die Synapsen immer exakt verschaltet sein müssen?
Auf einer Doppelseite, das Foto „Teenage Wasteland“, ein Piece von „Nike&Loe“ von 1982, auf einen silbrigen U-Bahnzug gesprüht. Die Schrift in Bordeauxrot mit blauen Wölkchen, Miniaturblitzen und einer umrandeten Schraffur, die wie Stacheldraht wirkt. Im Hintergrund geraten Kabeltrommeln ins Bild, der Ausleger eines Krans und typische US-amerikanische Mietskasernen.
„Sprayer in New York sagen, sie betreiben Style Writing. Diese Bezeichnung definiert akkurat den künstlerischen Akt, also das Taggen eines Worts in bestimmter Form auf eine U-Bahn, oder an eine Häuserwand. Betrachter:Innen erkennen die charakteristischen Schriftzüge sofort wieder,“ erklärt Martha Cooper der taz.
Die heute 79-Jährige ist eine Legende. Nicht nur, weil sie als resolute Frau als Erste den zumeist männlichen Jugendlichen gefolgt ist. Eher zufällig geriet die preisgekrönte Fotoreporterin der Zeitung New York Post 1979 ans Thema. Weil Kolleg:innen nur den Vandalismus von Graffiti sahen und darüber ausschließlich aus Polizeiperspektive berichteten, entschied sie sich, die andere Seite zu recherchieren.
Martha Cooper, Fotografin
Professionelle Distanz
„Ich war älter als die Sprayer und hielt zu ihnen professionelle Distanz. Um besser zu verstehen, was den Reiz von Graffiti ausmacht, bin ich ihnen nachts über Zäune in die U-Bahn-Depots gefolgt. Ohne die Informationen, die mir Writer wie Dondi aus Brooklyn gegeben haben, hätte ich weder Zugang zur Szene gefunden, noch ihr Tun einordnen können.“
Coopers erster Fotoband, „Subway Art“ (zusammen mit Henry Chalfant, erschienen 1984), gilt heute als Referenzwerk und Stilfibel der frühen New Yorker Graffitiszene. Weil in ihrem Archiv tausende, ungesichtete Negative lagern, hat man Cooper nun überredet, einige für „Spray Nation“ freizugeben.
Ein Segen, denn die beeindruckende Auswahl aus Graffiti-, Breakdance- und Personenporträts unterstreicht, wie eine Jugendkultur, weitgehend schriftlos und entrechtet, über das Do-It-Yourself allmählich zu sich selbst gefunden hat und ihr Alien-Dasein feierlich illuminiert. Einer der von Cooper Porträtierten ist der Rapper und Sprayer Rammellzee (1960–2010), von dem es so gut wie keine Fotos ohne Maske gibt.
Der Sprayer Rammellzee
Schon sein Alias RAMM:ELL:ZEE ist ein komprimiertes Kunstwerk: Zusammengezogen aus Ramm-Elevation-Z, wobei das Z als Symbol für Energie steht, die in zwei Richtungen strömt, und das E dem griechischen Buchstaben Sigma nachempfunden ist. Rammellzees Track „BeatBop“, erschienen 1981 zusammen mit K-Rob, gehört zu den Signaturtracks des frühen Rap, eine Wortkaskade mit Zickzackbeat.
Rammellzees rites de passage wird neben weiteren, nachdrücklich empfohlenen Essays im Sammelband „Boogie Down Predictions“, herausgegeben von Roy Christopher, aufgezeichnet. Auch wenn Themen der jüngeren Rap-Vergangenheit im Fokus liegen, sie sind darin immer erhellend dargestellt, so dass aktuelle Bedeutungen und Ableitungen sofort ersichtlich werden. Auch in „The Cult of the RAMM:ELL:ZEE. A Hagiography of Chaos“ von Joël Vacheron.
Der Schweizer schreibt über Rammellzee, er habe „in einer symbiotischen Feedback-Endlosschleife im Bewusstseinsstrom freestyle gerappt, als direkte Reaktion auf den Breakdance, der vor ihm stattfand“.
Dadurch habe Rammellzee den entfesselten Tanzstil wieder zurückgeworfen ins Publikum, um ihn erneut zu beschwören. Buchstaben bekommen bei ihm Flügel, können fliegen und verschwinden so aus Buch- und Zeitungsseiten, um auf dem Fahrersitz eines Pkws zu landen. Daneben sitzen die drei Säulen von HipHop: Rappen, Breakdance + Graffiti.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen