Unterbringung von Geflüchteten: Wer schafft was?
Es kommen wieder deutlich mehr Menschen nach Deutschland. Wie man jetzt die Situation für Geflüchtete und deutsche Kommunen verbessern könnte.
Seit Monaten klagen Länder und Kommunen quer durch die Bundesrepublik, sie seien wegen der stark gestiegenen Anzahl Geflüchteter mit deren Unterbringung überlastet. Woran liegt das?
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat laut UNHCR bisher fast acht Millionen Ukrainer*innen gezwungen, aus ihrem Heimatland zu flüchten – auch nach Deutschland, wo die Behörden etwas mehr als eine Million Menschen registriert haben. Viele Politiker*innen hatten einen solchen Krieg bis zuletzt nicht wahrhaben wollen. Dann dauerte es nochmals, sich auf die daraus folgenden Fluchtbewegungen einzustellen. Gleichzeitig stieg nach den Coronajahren auch die Zahl der Asylsuchenden aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak wieder an. Doch Kapazitäten und Infrastruktur sind zuletzt angesichts sinkender Flüchtlingszahlen deutschlandweit abgebaut worden, so dass viele Kommunen den zu versorgenden Menschen jetzt unvorbereitet gegenüberstehen.
Um wie viele Menschen geht es eigentlich?
Im Jahr 2022 haben in Deutschland insgesamt 217.774 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt. Das sind viel mehr als während der Coronapandemie, als weltweit viele Grenzen dicht waren. Die Zahl ist aber sehr viel geringer als im Rekordjahr 2016 (772.370 Anträge). Sie bewegt sich sogar sehr dicht an den 200.000, die der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gerne als jährliche „Obergrenze“ für Asylsuchende durchgesetzt hätte, bemerkt der Politikwissenschaftler Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration.
Dazu käme aber noch die hohe Anzahl Geflüchteter aus der Ukraine. Diese müssen in Deutschland kein Asyl beantragen, sondern bekommen sofort Schutz. Wie viele Ukrainer*innen derzeit im Land sind, ist schwer zu sagen. Obwohl rund eine Million Menschen registriert wurden, schätzt der Migrationsforscher Franck Düvell, dass sich aktuell höchstens 750.000 Ukrainer*innen in Deutschland aufhalten und der Rest entweder weitergereist oder in die Ukraine zurückgekehrt ist.
Und wie werden diese Menschen verteilt?
Asylsuchende dürfen sich ihren Wohnort in Deutschland nicht frei aussuchen. Sie werden über den Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Die Aufnahmequoten werden jedes Jahr neu berechnet und richten sich zu zwei Dritteln nach den Steuereinnahmen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl der Länder. Seit Jahren gibt es aber auch Kritik daran, dieses ursprünglich für die gemeinsame Finanzierung von Forschungseinrichtungen erdachte System auch auf die Verteilung von Menschen anzuwenden.
So spielt etwa die Fläche eines Bundeslandes keine Rolle bei der Verteilung. Gerade in Stadtstaaten wie Berlin ist es aber sowieso schon eng. Auch für Integration wichtige Aspekte wie Sprachkursangebote oder der Wohnungs- und Arbeitsmarkt spielen bei der Verteilung derzeit keine Rolle. Einmal auf die Bundesländer verteilt, kommen Asylsuchende zunächst in eine Erstaufnahmeeinrichtung. Dort müssen sie in der Regel bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden ist – längstens aber für 18 Monate. Wie die Menschen danach weiterverteilt werden, ist Sache der Länder und regional unterschiedlich.
Ist das sinnvoll?
Das ist Ansichtssache. Wenn noch nicht klar ist, ob Menschen in Deutschland bleiben können, ist es einfacher, sie zuerst in Sammelunterkünften unterzubringen. Auch Abschiebungen werden dadurch einfacher. Gleichzeitig ist die zentrale Unterbringung und Versorgung der Menschen und die Bewachung der Unterkünfte oft sehr teuer. Außerdem ziehen Asylverfahren sich oft lange hin – mitunter bis zu zwei Jahre, und Geflüchtete hängen isoliert in Einrichtungen fest.
Integration von Anfang an, wie die Ampel-Koalition sie versprochen hat, sähe anders aus. Außerdem fehlen so dringend benötigte Plätze für neu Ankommende. Berlin hat deswegen Ende Januar die Wohnverpflichtung aufgehoben – eine Möglichkeit, die die Bundesländer haben, aber kaum nutzen. Das heißt: Wer nach Berlin verteilt wurde und eine eigene Bleibe findet, muss nicht in der Aufnahmeeinrichtung bleiben.
Upahl in Mecklenburg-Vorpommern hat gerade bundesweit Schlagzeilen gemacht. Dort sollen 400 Geflüchtete in Containern untergebracht werden – in einer Gemeinde mit gerade mal 1.600 Einwohner*innen. Kann das gutgehen?
Nein, und zwar für niemanden. Eine solche Konstellation ist weder gut für die Kommune noch für die bisherigen Einwohner*innen und schon gar nicht für die Geflüchteten. In vielen abgelegenen Regionen ist die Infrastruktur ohnehin schlecht, sei es der öffentliche Nahverkehr, die Kita, der Supermarkt oder die medizinische Versorgung. Wenn eine Gemeinde dann plötzlich ein Viertel mehr Einwohner*innen hat, wird das nicht besser.
400 Menschen in einem Containerdorf am Ortsrand oder im Industriegebiet bedeutet für diese oft auch: schlechte Lebensbedingungen und Isolation. Eine Integration in die Gemeinde ist da so gut wie ausgeschlossen. Nicht umsonst protestieren Aktivist*innen seit Jahrzehnten gegen solche Sammelunterkünfte und für dezentrale, menschenwürdige Unterbringung.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Protest gibt es in Upahl auch: 700 Menschen – unter ihnen bekannte Rechtsextreme – demonstrierten vor dem zuständigen Kreistag in Grevesmühlen und hätten beinahe die Sitzung gestürmt. Hilft es, dorthin einfach keine Geflüchteten mehr zu verteilen?
Nein. Die Verteilung Geflüchteter muss ausgewogen sein und sie muss zu der Zahl der Einwohner*innen im Verhältnis stehen – das bestreitet niemand. Aber die Menschen sind da, und sie müssen versorgt werden. Immer wieder wird berechtigter Unmut über politische und administrative Fehlentscheidungen von rechts instrumentalisiert.
Doch Rechtsextreme wie in Grevesmühlen hetzen grundsätzlich gegen Geflüchtete – egal, ob es um 400 in einem Containerdorf geht oder um eine Familie in einem Mehrfamilienhaus. Ihnen nachzugeben beruhigt die Lage nicht, sondern heizt sie an. Dass das lebensgefährlich bis tödlich sein kann, haben die 1990er Jahre gezeigt. Nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und dem Anschlag in Mölln 1993 schaffte Deutschland das Grundrecht auf Asyl ab – und die Rechtsextremen mordeten weiter, nur wenige Tage später, in Solingen.
Aber was kann man denn dann tun?
Politik und Verwaltung müssen ein Verteilsystem entwickeln, das Kommunen, Einwohner*innen und Geflüchteten gerecht wird. Das Pilotprojekt „Match’In“ der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Universität Hildesheim probiert in vier westdeutschen Bundesländern aus, wie das gehen könnte. Es funktioniert wie eine Art Dating-App für die Flüchtlingsverteilung: Ein Algorithmus fragt die Bedarfe und Ressourcen der Schutzsuchenden wie auch der Kommunen ab – etwa Familienstand, Beruf und Hobbys einerseits, Arbeitsmarkt, Wohnungsangebote und Gesundheitsversorgung andererseits.
„Bislang weisen die Bundesländer die Menschen selten systematisch bedarfsgerecht den Kommunen zu“, sagt Projektleiterin Petra Bendel. Eine Familie mit mehreren Kindern sei mitunter in einer Kleinstadt mit mehr freiem Wohnraum besser aufgehoben als in der überfüllten Großstadt, junge Alleinstehende besser dort, wo sie Ausbildung oder Arbeit finden. Der Algorithmus schlägt den Behörden vor, welche Kommune für welche*n Geflüchtete*n das beste Match wäre. Im Frühjahr soll es mit der Verteilung losgehen. „Am Ende ist allen geholfen, wenn Geflüchtete an Orte verteilt werden, an denen sie auch eine Perspektive haben“, sagt Bendel.
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