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Ungarns geplantes LGBTQ-ReferendumOrbán hat das Ohr am Volk

Die Un­ga­r*in­nen sollen sich per Plebiszit zu den LGBTQ-feindlichen Gesetzen äußern. Es wird als Antwort auf den EU-Widerstand verkauft.

Ein Herz für LGBTQ: Kundgebung gegen restriktive Gesetze am 8. Juli in Budapest Foto: Laszlo Balogh/ap/dpa

Brüssel/Budapest taz | „Unterstützen Sie die Durchführung von Veranstaltungen zur sexuellen Orientierung für Minderjährige in öffentlichen Bildungseinrichtungen ohne elterliche Zustimmung?“ Diese sowie vier weitere Fragen sollen die Un­ga­r*in­nen im Herbst bei einer Volksabstimmung beantworten.

Das Vorhaben ist Ministerpräsident Viktor Orbán und seiner Regierung so wichtig, dass am Mittwoch dafür sogar eigens Gesetze geändert wurden. Derzeit herrscht in Ungarn immer noch ein coronabedingter Ausnahmezustand und Referenden sind verboten. Doch das gilt jetzt nicht mehr.

Im Juli war ein Gesetz in Kraft getreten, wonach Minderjährige keinen Zugang mehr zu Informationen über Homosexualität, Transsexualität und Geschlechtsumwandlungen erhalten dürfen. So sind in Lehrplänen, Filmen und Werbung, die für Menschen unter 18 zugänglich sind, nur noch Darstellungen heterosexueller Lebensweisen gestattet.

Das Referendum sei nötig, um dem heftigen Widerstand gegen die Maßnahmen der EU entgegenzutreten, erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán am Mittwoch in einem auf Facebook geposteten Video. Die EU habe ihre Macht missbraucht, indem sie wegen des Gesetzes rechtliche Schritte gegen Ungarn einleitete, erklärte er. „Wenn der Druck auf unser Heimatland so stark ist, kann nur der gemeinsame Wille des Volkes Ungarn verteidigen.“

Post an alle Haushalte

Unter dem Namen „nationale Konsultation“ läuft bereits seit mehreren Wochen eine Volksbefragung. Zu diesem Zweck hat die Regierung an alle acht Millionen Wahlberechtigten einen Fragebogen verschickt. „Die NGOs von George Soros attackieren Ungarn wegen des Kinderschutzgesetzes. Wir wollen aber keine sexuelle Propaganda in unseres Kitas und Schulen. Was meinen sie?“, lautet eine der Fragen, die als verkappte Antworten daherkommen.

Unterdessen wollte sich die EU-Kommission zu dem Referendum nicht äußern. Ein Sprecher verwies auf Nachfrage der taz auf ein Vertragsverletzungsverfahren, das die Brüsseler Behörde in der vergangenen Woche wegen des LGBTQ-Gesetzes eingeleitet hatte. Kommissionschefin Ursula von der Leyen begründete das EU-Verfahren damit, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden dürfe.

„Europa wird es nie zulassen, dass Teile seiner Gesellschaft stigmatisiert werden: wegen der Person, die sie lieben, wegen ihres Alters, wegen ihrer politischen Meinungen oder wegen ihrer religiösen Überzeugungen“, sagte die CDU-Politikerin. Die Kommission werde „alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente einsetzen“, um die Gleichheit und die Achtung der Würde zu verteidigen.

Allerdings wählte von der Leyen eine vergleichsweise stumpfe Waffe. Ein Vertragsverletzungsverfahren kann zwar zu Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof führen und Geldstrafen nach sich ziehen. Zunächst hat die Regierung in Budapest aber zwei Monate Zeit, um sich zu dem EU-Verfahren zu äußern. Bis dahin passiert gar nichts. Auch bis zur Klage würde noch einmal einige Zeit vergehen.

Weitere Verstöße

Das Europaparlament hatte nach dem Inkrafttreten des umstrittenen LGBTQ-Gesetzes gefordert, sofort Finanzhilfen für Ungarn aus dem EU-Budget zu kürzen. Von der Leyen will diese neue Möglichkeit aber erst im Herbst anwenden. Die Diskriminierung von LBGTQ-Menschen sei per se kein Grund für Kürzungen, heißt es in Brüssel. Diese seien nur möglich, wenn das EU-Budget gefährdet wäre.

Immerhin hat die EU-Kommission im aktuellen, am Dienstag vorgestellten Rechtsstaatsbericht weitere Verstöße Ungarns gegen die EU-Werte dokumentiert. Dieser Bericht könnte im Herbst als Grundlage für Finanzsanktionen dienen. Zum Schwur dürfte es aber erst im September oder Oktober kommen. Die Wartezeit will Premier Viktor Orbán offenbar nutzen, um die EU vorzuführen.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Das ist ein sehr geschickter Schachzug, denn Orban kennt seine Landsleute.



    Eine quasi "Basisdemokratische" Entscheidung hätte hohe Legitimation, denn deren Gegner könnte man als Nicht-Demokraten disqualifizieren.

    Was wir im Westen als nicht verhandelbare Grundrechte ansieht, über die man nicht abstimmen kann, sieht man im Osten anders. Das gilt für LGBTQ Rechte genauso wie für Asyl, das andere Streitthema.



    Da gibt es keine "naturwissenschaftliche" Wahrheit, wir im Westen müssen einsehen, daß wir die Deutungshoheit über Fragen der Moral auf der Welt schon lange verloren haben unsere Sicht der Dinge ist, global gesehen, oft nur einer Minderheitsposition. Dies gilt wohl auch für das Thema der LGBTQ Rechte.

    • @Paul Rabe:

      "Deutungshoheit über Fragen der Moral"



      "keine 'naturwissenschaftliche' Wahrheit"



      Es um Kinder und Jugendliche, denen man das Recht nimmt, selbstbestimmt und gesund aufzuwachsen, auch wenn sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Es geht um ihre Familien, die man mit der Stigmatisierung ihrer



      Kinder im Stich lässt. Es geht um Erwachsene, die ihr Leben und ihre Liebe nicht in der



      Mitte der Gesellschaft leben können, deren bloßes Erscheinen in der Öffentlichkeit mit staatlicher Gewalt sanktioniert wird. Es geht um das Schüren von Ressentiments auf Grundlage von Vorurteilen, die seit 50 Jahren wissenschaftlich widerlegt sind. Es geht um die Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung, der Kunst, der Berichterstattung, von Forschung, Bildung und Lehre.



      Was genau bedarf daran einer "Deutung"? Was genau bedarf daran eines "naturwissenschaftlichen" Nachweises?

      • @mats:

        Fragen der Moral unterliegen kulturellen, religiösen, sehr tief sitzenden, grundsätzlichen Gefühlen



        Ihre Argumente, natürlich sind sie aus unserer Sicht alle richtig, werden diese nicht kurzfristig bei den Menschen ändern

        • @Paul Rabe:

          Bei dem, was Sie "Moral" nennen, geht es also hauptsächlich um Wegsehen.

    • @Paul Rabe:

      Er wird die Fragen schon so stellen, dass er seine bevorzugte Antwort kriegt...

      Nicht umsonst sind Volksentscheide in DE immer Abstimmungen über Gesetze.

    • @Paul Rabe:

      Eine solche Sichtweise ist ein auf die Spitze getriebener ethischer Relativismus und zeugt von einem falschen Demokratieverständnis. Denn Demokratie bedeutet eben nicht die Diktatur der Mehrheit die zB im Extremfall demokratisch legitimiert etwa den Genozid an einer Minderheit beschließen könnte, sondern Machtbegrenzung, Pluralismus, Respekt auch gegenüber Andersdenkenden, Einhaltung von Minderheitenrechten und vor Allem die Anerkenntnis universeller und unveräußerlicher Menschenrechte.

  • Taktisch ein kluger Schachzug: Orban würde das nicht machen, wenn er nicht sicher wäre zu gewinnen. Und falls es wirklich so kommt, wird er sagen: seht her, das ungarische Volk will es so, das ist doch urdemokratisch.

  • na ja, Grundrechte können eben nicht abgewählt werden.

    • @Friderike Graebert:

      Das geht leider doch...

    • @Friderike Graebert:

      aber was ist wenn die Mehrheit des Volkes in dieser Abstimmung sich gegen das Grundrecht einer Minderheit stellt? Wenn die Menschen vorher populistisch "bearbeitet" werden, kann ich mir diesen Ausgang sehr gut vorstellen (nicht nur in Ungarn).

    • @Friderike Graebert:

      Aber die Leute, die sie abschaffen...