Umzug für den Job: Arbeitsamt muss Mietkaution stellen
Das Jobcenter muss Arbeitslosen die Mietkaution zahlen, wenn die für eine Stelle umziehen müssen. So urteilte das Landessozialgericht Niedersachsen.
Und zwar auch dann nicht, wenn ein Hartz-IV-Empfänger seinen neuen Job gleich wieder verliert, weil er mangels Geld gar nicht erst in die neue Stadt zog (Aktenzeichen: L 11 AS 336/21). Das Jobcenter hatte dem Betroffenen dies als „sozialwidriges Verhalten“ ausgelegt, obwohl es vorher die Übernahme einer Mietkaution verweigerte – und so letztlich verhinderte, dass der Arbeitssuchende wieder in Lohn und Brot kam.
Im konkreten Fall ging es um einen 1962 geborenen Osnabrücker, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Seine Vermittlungschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt waren denkbar schlecht: Er gilt als schwerbehindert, die Hauptschule verließ er 1979 ohne Abschluss, später wurde er dann Industriekaufmann.
In den vergangenen 20 Jahren schlug er sich als Gebäudereiniger und Auslieferungsfahrer durch, als Helfer im Lager, im Supermarkt, im Büro. Zwischendurch war er immer mal arbeitsunfähig, auf Weiterbildung oder in anderen Maßnahmen des Jobcenters untergebracht.
Ein scheinbar hoffnungsloser Fall
2017 entschied das Amt, dem Mann keine Fahrkosten mehr zu Vorstellungsgesprächen als Buchhalter zu bezahlen. Bei Bewerbungen im Öffentlichen Dienst musste er als schwerbehinderter Mensch eingeladen werden. Er selbst ging aber davon aus, dass Arbeitgeber ihn ohne Behinderung wohl gleich abgewiesen hätten – weil mittlerweile zu viele Jahre vergangen waren, in denen er nicht mehr als Buchhalter gearbeitet hatte. Bewerbungen in seinem gelernten Job seien „nicht weiter erfolgversprechend“, befand auch das Amt.
In der Folge kam es immer wieder zu Streitigkeiten, wenn es um die Übernahme von Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen ging. In sechs Fällen zwischen 2017 und 2020 lehnte das Jobcenter das ab. Stets klagte der Arbeitslose erfolglos vor dem Sozialgericht.
Überraschenderweise erhielt er 2019 dennoch einen Arbeitsvertrag als Buchhalter und zwar in Düsseldorf als „Regierungsbeschäftigter in Haushalts- und Rechnungsangelegenheiten“ beim Polizeipräsidium I mit einem Nettogehalt von 1.711,32 Euro. Also beantragte er Umzugskosten, Fahrtkosten für eine Wohnungsbesichtigung und die Übernahme einer Mietkaution.
Die ersten beiden Anträge wurden auch genehmigt – im übrigen aber beschied ihm das Jobcenter, eine Mietkaution könne „nicht gefördert“ werden. Sein Einwand, dass ein Umzug nach Düsseldorf dann aber „nur schwer möglich“ sei, wurde ignoriert. Am Ende wurde er in der Probezeit gleich wieder gekündigt, weil er gar nicht erst zur Arbeit erschien.
Er war ja auch gar nicht erst umgezogen. Er habe kein Geld für die Kaution gehabt und war zudem noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen worden, sagte er zur Begründung. Und zum täglichen Pendeln war die Entfernung mit knapp 200 Kilometern zu weit.
2020 forderte das Jobcenter rund 6.800 Euro von dem erneut arbeitslosen Mann: Er müsse die Grundsicherungsleistungen zurückzahlen, weil er aufgrund seines „sozialwidrigen Verhaltens“ den neuen Job nicht angetreten habe.
Das Landessozialgericht gab ihm nun recht: Von ihm konnte nicht verlangt werden, den Mietvertrag zu unterschreiben, obwohl er kein Geld für die Kaution hatte. Im Gegenteil: Das zu tun, wäre ein „Eingehungsbetrug“ und also strafbar gewesen, stellte das Gericht fest.
Und dass der Mann nach vielen Jahren, in denen er von Sozialleistungen abhing, über Rücklagen für eine Kaution verfügen könnte, „sei weder ersichtlich noch vom Jobcenter vorgetragen worden“, heißt es im Urteil. Es bedürfe „keiner weiteren Begründung“, wieso der Mann völlig richtig und nicht „sozialwidrig“ gehandelt hatte. Eine Revision wurde nicht zugelassen.
Am Ende stellt das Urteil klar, was selbstverständlich sein sollte: „Die sozialadäquate Reaktion“ eines Leistungsempfängers auf ein solches „rechtswidriges Behördenhandeln“ stellt „kein sozialwidriges Verhalten“ dar. Das Jobcenter hätte dem Mann die Mietkaution bezahlen müssen. So aber sei er vom Jobcenter „vollkommen 'allein gelassen’“ worden: Der Mann sei nicht unterstützt worden, obwohl er darauf Anspruch gehabt hätte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers