Umweltschützer über Nigerias Öl: „Bis heute ein Notfall“
Nigerias führender Umweltschützer Nnimmo Bassey sieht im verseuchten Ölgebiet des Niger-Flussdeltas noch viel zu tun. Aber es gebe auch Fortschritte.
taz: Herr Bassey, in Nigeria wird nach derzeitigem Stand am 23. Februar ein neuer Präsident gewählt. Ist Umweltschutz ein Wahlkampfthema gewesen?
Nnimmo Bassey: Kaum, nur einige der jüngeren Kandidaten haben es erwähnt, nicht aber die Kandidaten der großen Parteien, des regierenden All Progressives Congress (APC) und der People’s Democratic Party (PDP). Sie machen zwar Versprechen, die entfernt damit zusammenhängen. Doch ein Programm gibt es nicht. Dabei ist eine intakte Umwelt eine der wichtigsten Grundlagen für Nigerianer, da sie noch immer direkt von Ressourcen abhängig sind. In einer Situation, in der die Umwelt extrem verseucht ist, leben Menschen unter sehr widrigen Bedingungen.
Haben Sie in den vergangenen vier Jahren, in denen Präsident Muhammadu Buhari an der Macht war, im Nigerdelta Veränderungen bemerkt?
Ja, aber vor allem bei den Menschen und nicht bei den Ölfirmen oder der Regierung. Die Menschen haben ein erhöhtes Bewusstsein für die Umwelt sowie die zahlreichen Herausforderungen. Die Bürger beobachten genauer und berichten schneller, wenn etwas passiert. Aufgrund der sozialen Netzwerke ist es sehr schwer, Unfälle und Verschmutzung zu verheimlichen. Selbst wenn in einem Dorf etwas passiert, wird jemand berichten. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Somit haben wir Werkzeuge, um Verantwortliche und Regierung sofort zu Rechenschaft zu ziehen.
Und was unternimmt die Regierung?
Der wichtigste Schritt sind die Aufräumarbeiten im Ogoniland, ein schwerfälliger Prozess, der offiziell vor drei Jahren startete. Tatsächlich tut sich an einigen Orten erst jetzt etwas. Das ist ein Hoffnungsschimmer, den ich sehr genau beobachte. Wenn das vernünftig geschieht, gibt es auch für das restliche Nigerdelta Hoffnung. Falls nicht, dann ist es das Ende des Nigerdeltas. Offiziell endete die Ölförderung dort bereits 1993, als Shell die Region verlassen musste. Die Pipelines führen aber nach wie vor durch das Ogoniland und lecken noch immer. Das Rohöl, das in den Boden sickert, verdreckt die Umwelt. Es ist also bis heute ein Notfall. Das Nigerdelta gehört zu den zehn Regionen, die weltweit am stärksten verschmutzt sind.
Nnimmo Bassey, 60, ist Nigerias bekanntester Umweltaktivist. Mit seiner 1993 gegründeten Organisation Environmental Rights Action macht er auf die Verseuchung des Nigerdeltas aufmerksam. 2010 erhielt er den Alternativen Nobelpreis.
Falls es zu einem Machtwechsel kommt, haben Sie dann Sorge, dass die Aufräumarbeiten stoppen? In Nigeria führen Regierungen häufig die Arbeit ihrer Vorgänger nicht fort.
Das wäre schwierig. Die Grundlage dafür war ein Bericht des UN-Umweltprogramms (UNEP) aus dem Jahr 2011. Ein Jahr später hat der damalige Präsident Goodluck Jonathan ein Gremium eingesetzt. Nigeria wurde damals von der PDP regiert. Der APC hat das nach dem Machtwechsel 2015 fortgesetzt. Auch das ist ein Hoffnungsschimmer.
Buhari hat sich wiederholt für die Landwirtschaft stark gemacht, um sich vom Öl unabhängiger zu machen. Ist das tatsächlich geschehen?
Das klingt gut, stimmt aber nicht mit der Realität überein. Zeitgleich hat nämlich die Suche nach Öl im Middle Belt (Zentralnigeria) und im Norden begonnen, wofür viel Geld investiert wird. Auch gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Sektor verändert werden soll. Der Öldiebstahl bleibt riesig. Es geht um industrielle Mengen, nicht um Dorfbewohner, die in Eimern Öl wegtragen, oder um die illegalen Raffinerien im Busch. Auch hat sich der Präsident geweigert, das neue Gesetz zur Reform des Ölsektors, den Petroleum Industry Governance Bill (PIGB), zu unterzeichnen.
Kurz vor der Öffnung der Wahllokale für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nigeria ist die Stadt Maiduguri im Nordosten des Landes von mehreren Explosionen erschüttert worden. Gegen 6 Uhr am Samstagmorgen seien in der Stadt heftige Explosionen zu hören gewesen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Maiduguri wird immer wieder von Anschlägen der Islamistengruppe Boko Haram erschüttert, die damit gedroht hat, die Wahl zu stören.
84 Millionen registrierte Wähler in Nigeria wählen am Samstag einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Amtsinhaber Muhammadu Buhari, der mit seiner Partei APC (All Progressivs Congress) vor vier Jahren Goodluck Jonathan besiegt und 16 Jahre Regierung der PDP (People's Democratic Party) beendet hatte, stellt sich zur Wiederwahl. Hauptgegner: PDP-Kandidat Atiku Abubakar.
Zunehmende Spannungen und logistische Probleme hatten am vergangenen Samstag die Wahlkommission dazu veranlasst, die Wahl vom 16. auf den 23. Februar zu verschieben. Gewalt und Manipulationen wie vorab gefüllte Wahlurnen werden vor allem aus dem Ölgebiet des Niger-Flussdeltas gemeldet, Hochburg der PDP. Im Norden des Landes hat ein noch ungeklärter Überfall auf Reisende im Bundesstaat Kaduna kurz vor dem ursprünglichen Wahltermin nach neuesten Erkenntnissen über 130 Tote gefordert.
Was geschieht bei der Ölsuche im Middle Belt und Nordnigeria?
Vor einigen Wochen hat es mitten im Wahlkampf den Startschuss zur Suche nach Öl im Norden gegeben. Für mich ist das vergeudete Zeit, weil klar ist, dass sich die Welt von fossilen Brennstoffen wegbewegt. Das sollte auch für das Nigerdelta gelten, das eigentlich eine der größten Regionen für den Fischfang und die Landwirtschaft sein könnte. Der Boden ist nährstoffreich. Aber die Verseuchung hat der Landwirtschaft geschadet. Aktuell stammen viele Nahrungsmittel aus dem Norden. Ölförderung würde dem Anbau schaden. Sie würde aber auch dazu führen, dass die Bewohner denken werden: In die Region wird Geld fließen und es gibt Jobs. Früheren Beschäftigungen werden sie dann nicht mehr nachgehen, obwohl diese viel produktiver und besser für die Umwelt sind. Öl und Landwirtschaft passen schlichtweg nicht zusammen.
Im Wahlkampf blieb jedoch nicht nur die Umweltverschmutzung unerwähnt, sondern auch die militanten Gruppierungen im Nigerdelta, die gegen die Ölindustrie kämpfen. Was sind die Gründe dafür?
Es gibt eigentlich keine richtig militanten Gruppen mehr, da es viele Gespräche gegeben hat. Doch die Spannungen sind da. Das Nigerdelta ist eine stark militarisierte Region. Fährt man über die Autobahn, denkt man, im Krieg zu sein, weil es so viele Checkpoints gibt. In den Creeks müssen die Bewohner an den Kontrollposten sogar ihre Arme hochnehmen. Generell werden die Bedürfnisse der Menschen überhaupt nicht erfüllt.
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