Umweltrassismus in Deutschland: Sinti-Siedlung neben Müllhalde

Umweltrassismus ist in Deutschland nahezu unerforscht. Eine Untersuchung zeigt nun, wie verbreitet das Phänomen tatsächlich ist.

Eine Leine ist mit Wäsche bestückt, dahinter Behausungen aus Holz und Teppichen

Unterkünfte für aus Deutschland abgeschobene Roma im „Camp Osterode“ im Kosovo, 2011 Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

BERLIN taz | Roma-Siedlungen an Müllhalden, Bau von Giftmülldeponien in Vierteln mit hohem Schwarzem Bevölkerungsanteil, stärkere Betroffenheit von Menschen mit weniger Geld und Migrationshintergrund von Luftverschmutzung – Umweltrassismus hat viele Facetten. In einer Kurzstudie der Heinrich-Böll-Stiftung untersuchen Imeh Ituen und Tatu Hey Umweltrassismus in Deutschland. Der Studien-Titel „Der Elefant im Raum“ ergibt Sinn: Umweltrassismus sei hierzulande „fast gänzlich unerforscht“, schreiben die Autorinnen.

Herbert Heuß erinnert sich noch gut daran, wie er Anfang der 1980er Jahre ins hessische Bad Hersfeld kam: „Das war ein Skandal. Die Sinti-Siedlung lag am Fuß einer Müllhalde, die nicht abgedichtet war. Die Menschen hatten deswegen verschiedene Krankheiten“, erzählt der heutige wissenschaftliche Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma der taz. „Besonders bei Regen war es eine große Schweinerei. Die Straße war voller Schlamm, sie war nicht geteert.“ Diese Siedlung sei dann auf eine Wiese neben einer Autobahn verlegt worden. „Es gab eine Sondergenehmigung, dass die Sozialwohnungen unter dem Standard gebaut werden durften: Betonwände ohne Verputz und Isolation, Ofen- statt Zentralheizung“, berichtet Heuß. „Dieser gnadenlose, extrem rassistische Umgang der Stadt macht mich bis heute sprachlos.“

Bad Hersfeld ist damit nicht alleine: Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten Sinti und Roma in Freiburg am Rande des Rieselfeldes – also neben Abwässern leben. Auch in Darmstadt wurden Sin­ti*z­za und Rom*­nja 1985 an den Stadtrand verdrängt, neben einer Müllhalde und einer Kläranlage. 2004 wurde ihnen in Heidelberg ein von Chemieabfällen stark verunreinigtes Grundstück übereignet, im selben Jahr passierte in Hamburg Ähnliches.

In den USA startete die Umweltgerechtigkeitsbewegung bereits in den 1980er Jahren eine Debatte über die rassistischen Effekte der ungleichen Verteilung von Umweltgütern und -risiken. Für von Rassismus betroffene Gruppen war damals die Wahrscheinlichkeit, in der Nähe von Gift- und Sondermülldeponien zu leben, fünfmal so hoch wie die anderer Menschen. Ihre Lebenserwartung ist heute noch niedriger aufgrund erhöhter Umweltbelastungen im Arbeits- und Wohnumfeld.

Umweltrassismus in Europa weit verbreitet

Immerhin habe sich seitdem die Situation für Sin­ti*z­za und Rom*­nja in Deutschland verbessert, sagt Zentralrats-Leiter Heuß. Nach wie vor lebe die Minderheit aber oft außerhalb der Städte. Manche Wohnungsbaugesellschaft habe sogar interne Regeln, sie nicht in ihre Häuser zu lassen.

„Das ist ein Skandal, aber meist kein Umweltskandal“, sagt Heuß. Umweltrassismus gegen Sinti und Roma ist in Europa weit verbreitet. In Mitrovica im Kosovo leben sie neben einer Bleimine. Im rumänischen Cluj-Napoca wurden Roma zwangsumgesiedelt. Sie leben nun neben einer Müllhalde in Containern und selbst gebauten Hütten, berichtet Heuß.

Nicht nur Sin­ti*z­za und Rom*­nja sind betroffen: Studien deuten darauf hin, dass Haushalte in Kassel mit niedrigerem sozioökonomischen Status und Migrationshintergrund stärker von Luftverschmutzung betroffen sind. Eine Hamburger Untersuchung zeigt, dass der Aus­län­de­r*in­nen­an­teil in einem Viertel am besten voraussagt, wie nah sich giftige Stoffe befinden. „Das ist schon perfide, wie marginalisierten Bevölkerungsgruppen Umweltrisiken systematisch und strukturell aufgebürdet werden“, sagt Studienautorin Ituen.

Problem Hitze

Die Klima- und die Coronakrise werfen nun ein neues Licht auf das Thema – und verstärken seine Effekte. „Die Klimakrise trifft nicht alle gleich, sondern verstärkt bestehende Ungleichheiten“, so Hey. Für die USA weisen das Studien bereits nach. Erste Erhebungen deuten darauf hin, dass das Klima auch in Deutschland zu mehr Umweltrassismus führt.

Hitze ist ein Problem. Nach China und Indien hat Deutschland die meisten Hitzetoten. Statistiken aus Berlin zeigen, dass die Wärmebelastung in dichten Innenstadtgebieten wie Nord-Neukölln, Wedding/Gesundbrunnen, Moabit oder Kreuzberg-Nord besonders hoch ist. Hier leben viele Menschen mit Migrationshintergrund. Auch Corona wirkt sich aufgrund von Umweltrassismus stärker auf marginalisierte Menschen aus, wie Studien aus den USA und Großbritannien zeigen: Schwarze Menschen erkranken dort häufiger an Covid-19. Ursachen: ihre schlechteren Wohn- und Arbeitsbedingungen, die das Abstandhalten erschweren, aber auch Vorerkrankungen, die teilweise mit erhöhter Belastung durch Umweltverschmutzung zusammenhängen.

„Ich war sehr überrascht, dass wir so wenige Studien zu Umweltrassismus in Deutschland fanden. Denn es gibt Berichte von deutschen Sinti und Roma bereits aus den 1980ern. Die haben aber kein Gehör gefunden“, so Ituen. Die beiden Forscherinnen erzählen, dass sich große deutsche Umweltverbände wie Greenpeace und BUND noch nicht mit Umweltrassismus auseinandergesetzt haben. „Das hat mich wahnsinnig schockiert“, sagt Ituen.

Rassismus sei immer noch ein Tabuthema, in Deutschland werde soziale Gerechtigkeit bei Umweltthemen oft nicht mitgedacht, da die Natur unabhängig vom Menschen gesehen werde. „Diese künstliche Trennung erscheint nur für privilegierte Menschen sinnvoll. Man kann die Umwelt nicht zerstören, ohne Menschen zu zerstören“, betont Ituen.

Verstoß gegen das Grundgesetz

Umweltrassismus verstößt für die Autorinnen gegen Menschenrechte – und auch gegen das Grundgesetz, das die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ garantiert. „Diese Rechte lassen sich nicht einlösen, wenn keine Daten vorliegen und sich keine Ak­teu­r*in­nen dafür einsetzen“, beklagt Hey. Politik, Zivilgesellschaft sowie Stadt- und Raumplanung fehle es auch an Daten, um Umweltrassismus anzugehen.

Hey und Ituen fordern deshalb detailliertere Erhebungen zu migrantisierten und rassifizierten Menschen, um deren Lebensrealität greifbarer zu machen. „Die Verstrickungen müssen zusammengedacht werden“, sagt Hey. „Klima, Umwelt, Rassismus, Sexismus sind verflochten – nur so können wir etwas wirklich verändern.“

Hinweis: Die Autorin ist Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung, war aber mit der besprochenen Untersuchung nicht befasst.

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