Umweltfolgenforscher über Tiefseebergbau: „Es geht um das Erbe der Menschheit“
Konzerne wollen Rohstoffe wie Mangan künftig auch aus der Tiefsee gewinnen. Das hätte Auswirkungen auf das Ökosystem, sagt Forscher Matthias Haeckel.
Sie ist kartoffelgroß, pechschwarz und für viele der größte Schatz der Tiefsee: Die Manganknolle enthält wertvolle Metalle wie Nickel, Kupfer und Kobalt, die für Batterien und erneuerbare Energien interessant sind. Weil diese Rohstoffe auf dem Land endlich sind, wird seit Jahren nach Alternativen gesucht. Noch können die Länder für die Tiefsee nur Erkundungslizenzen beantragen. Das könnte sich aber im Juli dieses Jahres ändern. Bis dann hat die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) Zeit, um Regeln für den Tiefseebergbau aufzustellen. Aber die Tiefsee gehört zu den letzten vom Menschen weitgehenden unberührten Orten auf der Welt. Ein Bergbau dort unten könnte unabsehbare Folgen für das einzigartige Ökosystem haben. Muss das sein?
wochentaz: Herr Haeckel, was haben Sie schon in der Tiefsee entdeckt?
forscht im Bereich Marine Biochemie am Geomar Helmholtz Zentrum in Kiel. Auf Forschungsreisen untersucht er die ökologischen Auswirkungen von Tiefseebergbau.
Matthias Haeckel: Bei unseren Forschungsreisen untersuchen wir die Fauna der Tiefsee. Zum Beispiel haben wir schon riesige Seegurken beobachtet, die bis zu einem Meter lang sind, das würde man gar nicht denken. Wir nehmen viele Proben, um zu verstehen, wie in der Tiefsee die Mikroorganismen leben und wie zum Beispiel der Nahrungsfluss im Ökosystem ist.
Und dabei haben Sie schon viele Manganknollen gefunden. Was sind das eigentlich?
Ihr Hauptbestandteil ist, wie der Name vermuten lässt, Mangan. Sie sind schwarz und etwa kartoffelgroß. Die Knollen wachsen langsam, nur ein paar Millimeter in Millionen Jahren. Es gibt zwei Wege, wie die Knollen entstehen können. Der eine ist, dass Metalle aus dem Wasser absorbieren. Der zweite Weg ist, dass aus organischem Material, das runterrieselt, Metalle freigesetzt werden und sich am Meeresboden an Dreck wie Fischgräten oder Haifischzähnen absetzen.
Gibt es viele Manganknollen in der Tiefsee?
Selbst in der Ostsee oder in den Großen Seen in den USA findet man Manganknollen – manchmal ist der ganze Boden übersät. Sie entstehen immer da, wo das Wasser genug Metall enthält. Die Gebiete, die wir kennen, sind Zufallsfunde der vergangenen Jahrzehnte. Ein gutes Beispiel ist die Fahrt eines anderen Forschungsteams 2019 südlich von Alaska. Eigentlich wollten sie Mikroplastik untersuchen und fanden dann ein großes Manganknollenfeld.
Tiefseebergbau, was ist das?
Noch dürfen die Länder keine Metalle vom Meeresboden abbauen. Einige Firmen testen aber schon die Technik. In Zukunft könnte ein Tiefseebergbau etwa so aussehen, wie in dieser Infografik.
1. Tiefseebergbauschiff
Um Manganknollen aus der Tiefsee zu holen, müssen die Schiffe speziell ausgerüstet sein: Es braucht Fließbänder, Säuberungsanlagen und Stauraum. Mit anderen Schiffen werden die Knollen an Land gebracht.
2. Tiefsee
Die Tiefsee beginnt bei 200 Metern Tiefe. Ab 400 Metern dringt kein Licht mehr durch. Der tiefste Punkt liegt tiefer als 11.000 Meter. Hier herrschen sehr geringe Temperaturen und ein hoher Druck.
3. Rohrsystem
Die Manganknollen sollen mit flexiblen Rohren nach oben gepumpt werden, die tausende Meter in die Tiefe gehen. Dafür müsste entlang der Rohre alle paar hundert Meter eine Pumpe montiert sein. Diese Technik gibt es so ähnlich schon in der Ölförderung.
4. Kollektor
Die Prototypen haben die Größe eines Panzers. Die richtigen Kollektoren sollen viermal so groß und etwa so lang wie zwei Linienbusse sein. Der Kollektor soll auf Ketten über den Meeresboden fahren und die Manganknollen dabei einsaugen. Dabei trägt er etwa vier bis acht Zentimeter des Sediments ab.
5. Sedimentwolke
Sedimente bestehen aus Sand, Schlamm oder Ton und lagern sich auf dem Boden von Gewässern ab. Durch den Tiefseebergbau wird das Sediment aufgewirbelt und mit Strömungen kilometerweit getragen. Das kann negative Folgen für die Lebewesen haben – im Abbaugebiet und drumherum.
6. Manganknolle
Die Manganknollen liegen leicht eingesunken in 4.000 bis 6.000 Metern Tiefe auf dem Meeresboden. Neben den Manganknollen gibt es in der Tiefsee noch mehr potenzielle Metallquellen: Massivsulfide an heißen Quellen und kobalthaltige Krusten an Seebergen.
Die Manganknollen liegen seit Millionen Jahren am Meeresgrund, aber jetzt steigt das Interesse an ihnen. Warum?
Die Knollen enthalten neben Mangan noch andere Metalle wie Kobalt, Nickel und Kupfer – das macht sie interessant. Der CEO von The Metals Company, einem Unternehmen, das den Tiefseebergbau aktuell antreibt, nennt die Manganknollen „Battery in a rock“. Mit steigenden Energiepreisen und einem höheren Metallbedarf für die Energiewende rechnen die Firmen damit, dass sich die Weltmarktpreise für Kobalt, Nickel und Kupfer bis 2050 mindestens verdreifachen, dann würde sich ein Abbau in der Tiefsee lohnen. Die Diskussion über den steigenden Bedarf gibt es aber schon seit den 70er Jahren. Es gibt eine schöne Dokumentation vom WDR von 1978, da sitzen der Vorstandsvorsitzende von Preussag, heute Tui, und Volker Hauff als frischer Forschungsminister, sie sagen das Gleiche wie heute die Firmen. Dass Tiefseebergbau für die Metallversorgung gebraucht wird, hat sich in der Zeit nicht bewahrheitet.
Noch können Länder nur Erkundungslizenzen beantragen, um die Schätze der Tiefsee zu erforschen. Das könnte sich aber im Juli ändern. Dann endet die Zweijahresfrist, in der die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) Regularien für einen kommerziellen Abbau finden muss, die trotzdem das Meer schützen. Wird sie das schaffen?
Ich glaube nicht, dass sich im Juli irgendetwas entscheidet. Solche juristischen Formulierungen brauchen Zeit. Aber es ist nicht so, dass die Tiefsee ein rechtsfreier Raum ist. Einen grundsätzlichen Rahmen, wie mit Anträgen von Unternehmen umzugehen ist, gibt das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vor. Die ISA erarbeitet jetzt seit einigen Jahren Detailkriterien für einen Umgang mit dem Tiefseebergbau und wie er in Einklang mit dem Meeresschutz stehen kann. Wenn die Firmen jetzt Abbauanträge einreichen, müssen sie unter anderem Bewertungen der zu erwartenden Umweltschäden und Erhebungen der Umweltstandards vorlegen.
Aber genau bei den Umweltstandards gibt es doch so viele Unsicherheiten. Was wissen wir schon über die Langzeitfolgen von Tiefseebergbau für das Ökosystem?
Die potenziellen Auswirkungen von Tiefseebergbau auf die Umwelt untersuchen wir mit dem europäischen Forschungsprojekt Mining Impact. Wir wissen bisher wenig über die Auswirkungen. Das Ziel des Projektes ist es, diese Unsicherheiten zu verringern und der ISA sinnvolle Vorschläge für die Regularien zu unterbreiten. Wir begleiteten deshalb eine Firma in den Pazifik, die mit einem Prototyp-Kollektor die Knollen vom Meeresboden sammelte. Dabei haben uns der Abbauort selbst und die Sedimentwolken – also Trübungswolken, die beim Abbau vom Meeresboden aufgewirbelt werden – interessiert.
Was sind die Ergebnisse?
Die Fläche, auf der sich der Kollektor bewegt, ist komplett zerstört. Das ist Bergbau, das muss man sich klarmachen. In den nächsten Jahrzehnten erholt sich das Ökoystem nicht davon. Bis sich wieder Organismen ansiedeln und das Sediment aufgefüllt ist, dauert es. Das spezielle Habitat, das es auf und in den Knollen gibt, ist weg. Eine gute Nachricht ist, dass sich die Sedimentwolken, die bei dem Test entstanden, gar nicht so weit ausgebreitet haben, wie wir dachten, sondern in Bodennähe geblieben sind.
Trotzdem hat das Folgen für andere Ökosysteme. Ob die Lebewesen mit der Sedimentwolke klarkommen, wissen wir noch nicht. Einmalig schaffen die Organismen das vielleicht, viele können sich reinigen, oder unter den Ablagerungen ausgraben. Die Frage ist nur, was passiert, wenn sie den Sedimentwolken dauerhaft ausgesetzt sind. Auch können durch den Abbau Populationen voneinander getrennt werden – die Auswirkung auf die Konnektivität der Arten ist also ein weiterer Aspekt, den wir uns anschauen müssen.
Das klingt besorgniserregend.
Ich sehe es als Aufgabe der Wissenschaft, diese Erkenntnisse und Unsicherheiten darzustellen, den Firmen und der internationalen Meeresbodenbehörde gegenüber. Denn wie viel Fläche geschädigt wird, hängt letztendlich von der Planung der Operationen ab, ob es 20 Prozent mehr Fläche ist oder ob es die fünffache Fläche ist.
Auch wenn die ISA es nicht rechtzeitig schafft, Regeln aufzustellen, wollen Unternehmen mit dem Abbau der Bodenschätze beginnen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das in den nächsten Jahren?
Möglich ist es. Aber es gibt neue Batterietechnologien, die ohne Kobalt und Lithium auskommen, stattdessen zum Beispiel auf Eisen und Mangan basieren. Von diesen Rohstoffen haben wir auch ohne die Knollen in der Tiefsee genug – und sie sind dazu noch viel billiger. Deshalb bezweifle ich, dass die Nachfrage nach den Metallen aus den Knollen steigt.
Außerdem fehlt die Technik. Momentan werden zwar die Kollektor-Prototypen getestet, also die Maschinen, die die Manganknollen vom Meeresboden einsammeln. Die Anlagen zur Verwertung der Knollen stehen aber noch nicht. Dazu kommt, dass sich ein Manganknollenabbau noch gar nicht lohnt. Um die interessanten Metalle in den Knollen zu verkaufen, bräuchte man eine sehr große Menge.
Für die Abbaugebiete, in denen die Länder jetzt schon Erkundungslizenzen haben, folgt daraus, dass etwa 200 bis 300 Quadratkilometer pro Jahr abgebaut werden müssten, damit es sich lohnt. Außerdem müsste auch das Mangan verkauft werden. Das brauchen wir aber auf dem Weltmarkt nicht in dieser Menge. Wenn dann mehr als drei oder vier Firmen parallel Manganknollen abbauen, wird der Markt von Mangan überschwemmt. Dafür mit einem Tiefseebergbau zu beginnen, der riesige Flächen schädigt – mit Langzeitfolgen, die es so bei keiner anderen Abbautechnik gibt? Ich finde das verantwortungslos.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Was haben wir denn davon, wenn wir verantwortungsvoll mit der Tiefsee umgehen und das Meer schützen?
Es geht um das Erbe der Menschheit, wir müssen entscheiden: Wollen wir damit wirklich beginnen? Wir müssen vernünftige Studien vorantreiben, damit wir Fakten haben, um eine ausgewogene Entscheidung treffen zu können. Die Länder, die im Entscheidungsgremium der ISA sitzen, haben die Verantwortung, diesen gesellschaftlichen Diskurs zu führen. Dabei müssten die sozialen Folgen des Tiefseebergbaus viel mehr in den Blick genommen werden. Welche Länder würden letztendlich davon profitieren? Wahrscheinlich nicht die kleinen Inselstaaten, die in ihren Hoheitsgebieten Manganknollen und Massivsulfid-Vorkommen besitzen.
Wie wird es in den nächsten Monaten weitergehen?
Ich denke, es braucht noch Zeit: Die Unternehmen für ihre Technik, die ISA für vernünftige Regularien, bei denen unsere Vorschläge für Umweltstandards hoffentlich Eingang finden. Auch in der Forschung gibt es noch viele Unsicherheiten. In einer internationalen Forschergruppe haben wir in den vergangenen zwei Jahren versucht, die Umweltauswirkungen von Landbergbau und Tiefseebergbau zu vergleichen. Das Hauptproblem: Für den Landbergbau haben wir gar keine Daten. Einen Start des industriellen Tiefseebergbaus halte ich 2030 für wahrscheinlicher. Bis dahin werden wir durch unsere Forschungsreisen hoffentlich mehr über die Tiefsee lernen.
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