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Umstrittener VideobeweisWird so der Fußball gerechter?

Der Video Assistent Referee greift oft in die Spiele dieser Europameisterschaft ein. Wem nutzt diese Technologie? Ein Pro & Contra.

Schon drüber oder noch Linie? Die Animationen durch den VAR liefern die Bilder dieser EM Foto: imago/sportpix

Ja,

Der VAR ist die beste Erfindung, die jemals im Fußball gemacht wurde. Endlich hat es ein Ende mit der Ambiguität, mit dem Ungefähren. Der Video Assistant Referee schafft mit seinem segensreichen Wirken ultimative Klarheit. Er objektiviert und befriedet das Spiel. Denn wer kann schon etwas gegen die unbestechliche Letztgültigkeit einer quasi maschinellen Entscheidung sagen? Eben.

Der VAR verkündet Wahrheit – und hat mit seiner Einführung eine kopernikanische Wende im Fußball herbeigeführt. Wo früher der Linienrichter mit seiner Fahne herumwedelte, eine Sicherheit suggerierend, die er definitiv nicht haben konnte, so sehen wir heute gestochen scharfe Tatortprotokolle, ehrliche Schnappschüsse, die jede Diskussion auf dem Feld ersticken. VAR und Hawk-Eye (im Tennis) weisen den Weg, wenngleich an der VARen Inszenierung im Fußballstadion noch gearbeitet werden muss: Den Fans kann Transparenz zugemutet werden.

Kann-Entscheidungen gibt es in der VARen Welt nicht, nur faktische. Wenn der dänische Stürmer mit der Schuhspitze im Abseits war, ein paar Zentimeter nur, dann ist das halt so. Es macht keinen Unterschied, ob es zwei Meter oder zwei Millimeter sind. Abseits ist Abseits! Wer das hinterfragt, hat wohl ein generelles Problem mit Regeln, spaziert auch vor kleinen Kindern über rote Ampeln oder macht in der Tempo-30-Zone einen auf Bleifuß.

Der VAR hat eine kopernikanische Wende im Fußball herbeigeführt

Die Akzeptanz einer VAR-Entscheidung darf nicht davon abhängen, ob mir dieses oder jenes Team, dieser oder jener Stürmer sympathisch ist oder nicht, es geht um freudige Duldung eines klinischen Bewertungssystems. Dabei darf auch die Häufigkeit des VAR-Einsatzes keine Rolle spielen. Und gibt es in einem Spiel einmal mehr strittige Situationen? Umso besser, dann geht es eben doppelt oder dreifach gerechter auf dem Spielfeld zu. Der VAR schafft Rechtsfrieden unter den Parteien. Im Kölner oder jetzt dem Leipziger Keller sitzt eine höhere Instanz, die das Spiel so vermisst, dass alle Betroffenen sagen können: Ja, so ist es, großer Manitu!

Ein Abseits kann der VAR mittlerweile gut aufklären, Handlungsbedarf besteht freilich noch bei der Festlegung eines Handspiels. Im Entscheidungsprozess kommt leider immer noch die Fehlerquelle Mensch hinzu. Der Schiedsrichter urteilt letztlich über die Strafbarkeit eines Handspiels. Das ist unsauber, oft willkürlich. Das muss auch noch schleunigst automatisiert werden. Vorschlag: Wenn der an der Hand angeschossene Verteidiger rechnerisch gar keine Zeit hatte, den Arm wegzuziehen, weil er eben kein psychomotorischer Zaubermeister ist, dann ist er unschuldig. Das sollte doch in Zeiten von Supercomputern und KI möglich sein, oder?

Noch immer ist zu viel Unsicherheit und Subjektivität im Spiel. Der Fußball aber verdient Besseres. Das Bessere liegt eindeutig im Aufkündigen einer verquasten Tradition, die nur dies garantierte: Pi-mal-Daumen-Entscheidungen und Zugunsten-des-Angreifers-Quatsch. Wir leben nun in einer authentischeren Fußballwelt, dem großen VAR sei Dank! Markus Völker

Nein,

Wenn es nach mir ginge, hätte der Dortmunder Starkregen auch diesen Videokeller volllaufen lassen können. Während Journalisten und Fans immer noch auf der Suche nach einem prägenden Spieler dieser Europameisterschaft sind, steht das Gesicht der Euro fest: ein animiertes Männchen, dessen Fuß mal über einer willkürlich gezogenen Linie steht oder knapp dahinter.

Der Video Assistant Referee, abgekürzt VAR, soll, so sagen seine Befürworter, den Zufall minimieren und das Spiel gerechter machen. Dafür werden kalibrierte Linien auf Bildschirme gezogen, Spielszenen werden in reduzierter und animierter Form nachgestellt, und herauskommen soll: Gerechtigkeit. Das soll gelingen, in dem alles, was den Fußball schön und attraktiv macht, eliminiert wird. Kein genialer Pass, der nach nur kurzem Blick geschlagen wird. Kein Dribbling und keine Körpertäuschung, mit der sich ein Spieler gegen einen anderen durchsetzt. All das wird für nichtig erklärt, entscheidend ist diese kalibrierte Linie. Sie soll exakt den Moment markieren, in dem der Ball den Fuß des passenden Spielers verlassen hat. Dass hier aber immer noch großer Spielraum ist, weiß jeder, der Spiele aus eigener Anschauen kennt. Und jeder, der sich mit Medientheorie ein wenig auskennt, weiß, dass zur Beurteilung etwa von Zweikämpfen und Fouls die Kameraposition entscheidend ist.

Es ist eine Scheinobjektivität, die uns mit VAR und Videobeweis aufgetischt wurde. Eigentlich wissen das alle, aber wer will so etwas? Solche Leute, die viel Geld investieren und es nicht durch eine zufällige Fehlentscheidung der 23. Person auf dem Feld, die mit Pfeife und Autorität ausgestattet ist, verlieren wollen. Es ist der Versuch, den Fußball zu einer berechenbaren Größe zu machen. Ein marktförmiger Fußball.

Doch die Schönheit des Fußballs besteht ja gerade darin, dass er nicht berechenbar ist. Der berühmte Herberger’sche Satz „Der Ball ist rund“ drückt ja gerade aus, dass in diesem Sport alles möglich ist und sein muss. Die Regeln, die, damit Fußball der attraktive Sport bleibt, der er ist, wurden über hundert Jahre lang von Schiedsrichtern kontrolliert, und noch nach jüngsten Berechnungen aus dem Profifußball lag die Fehlerquote immer nur bei etwa sieben Prozent.

Mit VAR gäbe es die Wembley-Tor-Debatte nicht. Das wäre schade.

Über diese kleine Quote kann diskutiert werden, das macht den Fußball zu einem Kulturgut. „Drin oder Linie?“, das ist fast 60 Jahre nach dem WM-Finale 1966 in Wembley immer noch die Frage, die deutsche Fans erregt: Geoff Hursts Lattentreffer zum 3:2. Ein damals eingesetzter VAR hätte vielleicht zu einer Annullierung des Treffers geführt, aber was noch? Es hätte kurzfristig den englischen Jubel im Stadion ruiniert, weil ja erst auf das Ergebnis der Videoanalyse hätte gewartet werden müssen. Und langfristig wäre uns eines der schönsten Debattenthemen der vergangenen Jahrzehnte entwendet worden.

Ob jemand im Abseits steht, sollten wir uns bitte weiterhin mit der Definition des legendären Trainers Hennes Weisweiler erklären: „Abseits ist, wenn das blonde Arschloch wieder den Ball zu spät abspielt.“ Martin Krauss

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9 Kommentare

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  • Abseits bleibt Abseits. Auch wenn es nur ein Zentimeter ist. Im Übrigen lässt sich das wunderbar mit dem "Chip im Ball" belegen. Auch das Abspiel wird berücksichtigt. Ein Tor bleibt ein Tor wenn Hawk Eye sagt der Ball hat die Torlinie VOLLSTÄNDIG überschritten.



    Hand bleibt Hand wenn der Sensor im Ball die Berührung registriert.

    Ich bin froh das es diese Hilfsmittel gibt. Aber wir Deutschen finden immer etwas zum Nörgeln. Nörgeln wir doch lieber das deutsche Behörden noch mit Fax und Papierstapel arbeiten, die deutsche Polizei und Verwaltungen mit unterschiedlichen Programmen und Systemen arbeiten.



    Sogar die Sanduhr ist noch aktuell. Zumindest bei der Bahn.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Der VAR verkündet Wahrheit" - Nennen wir es doch VARheit.

  • Nach meinem Eindruck ist durch den VAR alles noch willkürlicher geworden. Es wird ja nicht immer der Schiri nach draußen gerufen. Bei Portugal gegen Tschechien war das zweite portugiesische Tor klar irregulär (Foulspiel in der Entstehung), aber kein VAR. Bei Deutschland gegen Dänemark hätte kein Schiri die leichte Handberührung ohne VAR als elfmeterwürdig gewertet, und das wäre auch besser gewesen.

    Habe bei dieser EM wie nie zuvor den Eindruck, dass durch willkürliche Nachspielzeiten und willkürliche VAR-Eingriffe die Spiele zugunsten der Länder mit den größten TV-Märkten zurechtgebogen werden.

    Fussball ist keine exakte Wissenschaft. Schafft den VAR ab! Er bewahrt nicht vor Manipulation und ist nur lästig. Als es noch Wembley-Tore und die Hand Gottes gab, war der Fußball schön. Jetzt ist er häßlich, und als früherer Fan mag ich mir das gar nicht mehr anschauen.

  • Ich bin an Technik interessiert, an Fußball nicht.



    Grundsätzlich ist es wichtig, dass Wettbewerbe gerecht und transparent bewertet werden. Ein solches System fördert dies. Es müssten aber immer die Rohdaten zugänglich sein und das System scheint noch nicht vollständig gereift zu sein.

    Im Trabrennsport z.B. ist es gängig, dass es Überprüfungen gibt. Da heißt es dann, bis zum Richterspruch werden die Wettscheine nicht weggeworfen. Da geht es dann z.B. darum zu klären ob in der Kurve vom Geläuf abgekommen wurde und so die Strecke verkürzt wurde, die Gangart nicht ausreichte oder andere Teilnehmer durch einen Schlenker gestört wurden.



    Es trifft nicht immer auf Zuspruch, weil letztlich nur Menschen das Rennen verfolgen und sich Videos ansehen, sollten sie einen Verdacht haben. Es wäre aber auch ungerecht, wenn dies nicht der Fall wäre und dann jene siegen würden die sich von den Regeln befreit haben oder sogar eine Gefährdung ausgelöst haben.

    Entweder man einigt sich auf Spielregeln, die dann auch eingehalten werden, oder alle sollten ohne diese Regeln spielen dürfen.

  • VAR schön und gut. Man fühlt sich oft bestätigt, aber wie im Artikel steht wird Abseits dann beurteilt wenn der Ball abgespielt wird. Und wann der Ball sich auf die Reise begibt beurteilt wer? Ist das der Punkt wo der Ball mit dem Fuß getroffen wird oder der Punkt wo er den Fuß verlässt? Das eine kann dann ein paar Zentimeter Abseits bedeuten und das andere nicht. So ist es such mit dem angeblichen Handspiel. Wenn keinerlei Richtungsänderung mit der vergrößerten Körperfläche oder gar abbremsen damit festzustellen ist, dann sollte es auch keine Strafe dafür geben. Zwar hat gestern die bessere Mannschaft auch gewonnen, aber besser wäre ein 1:0 durch Musiala gewesen und ohne die Zugaben des VAR.

    • @Ernie:

      Durch die Technik ist es möglich zu sagen, wann der Ball gespielt wurde (siehe die VAR-Entscheidung beim Handspiel) und in der Regel steht, dass der Ball bei Beginn der Berührung als gespielt gilt:

      "Ein Spieler, der sich zum Zeitpunkt, in dem ein Mitspieler den Ball spielt oder



      berührt* [...]

      *Massgebend ist der erste Kontakt beim Spielen oder Berühren des Balls."



      www.dfb.de/fileadm..._PL_Broschuere.pdf

  • Müssen dann doch gestern ein paar Bier zuviel gewesen bei mir. Hab grad nen 5 Jahre zurückreichenden Backflash und das Gefühl, einen der unzähligen Artikel mit den zigmal durchgekauten Pros und Contras des Videobeweises gelesen zu haben. Verrückt. Noch zwei Flaschen mehr und das Wembley Tor wäre bestimmt auch noch drin vorgekommen. Ähm...wahrscheinlich muss ich mein Trinkverhalten ändern.

  • Früher gab es schon das über Nasenlängen Vorsprung entscheidende Zieleinlauffoto in der Leichtathletik. Auch das war umstritten, wenn Hundertstel oder gar Tausendstel einer Sekunde Vorsprung siegentscheidend sein sollten. Was beim Zieleinlauf mit menschlicher Höchstgeschwindigkeit dennoch eine seriöse Technikanwendung ist, ist bei der Schuhspitze im Abseits aber absolut horribler Quatsch.

    Wenn für die Beweisführung wenigstens ein Beweisfoto statt der Animation aus der KI gezeigt werden könnte. Hierfür könnte auch das Linienrichterteam aufgestockt werden, auf der einen Seite läuft der Linienrichter mit der Fahne, auf der anderen Seite der mit der Absseitskamera, dritter und vierter Linienrichter können auch durch eine auf Schienen hin und herfahrende Abseitskamera gleich wieder wegrationalisiert werden. Gelingt ein Abseitsfoto, kann es zur Revision eines Schiedsrichterurteils herangezogen werden. Anderenfalls ist es ja so, wie wir es nun erlebt haben: Eine strohdumme KI fällt spielentscheidende Urteile. Die KI von heute, liebe Leute, ist definitiv NICHT auf einem derart anbetungswürdigem Stand. Die Abseitsentscheidung wirkte verunsichernd auf die Dänen.

    Das Handspiel war Handspiel

  • Das Problem ist nicht der VAR an sich, denn, wenn er eingreift, gibt es einen guten Grund.



    Und genau dieser „gute Grund“ ist eben das Problem an der Sache, weil die Regeln für das Eingreifen des VAR leider nicht einheitlich sind.



    Das macht die VAR-Ergebnisse leider diskutabel, was sie nicht sein sollten.