Umstrittener Lieferdienst: Gorillas verklagt Rider

Nach den jüngsten Massenentlassungen ziehen Fah­re­r:in­nen vor Gericht. Gleichzeitig geht Gorillas gegen Wahlvorstand des Betriebsrats vor.

Protestaktion mit Maske.

Streikende Gorillas-Fahrer*innen, hier mit Maske von Chef Kağan Sümer, vor der Zentrale in Berlin Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Der Streit um die Arbeitsbedingungen beim Lieferdienst Gorillas beschäftigt nun die Gerichte. In den kommenden Wochen stehen gleich mehrere Termine an, bei denen Klagen von ehemaligen Ridern (Lieferfahrer:innen) gegen ihre Kündigung verhandelt werden. Zudem steht eine Klage des Unternehmens gegen den Wahlvorstand des Betriebsrats im Raum.

Anfang Oktober hatte Gorillas laut Angaben der Gewerkschaft Verdi 350 Rider entlassen. Als Begründung gab die Pressestelle des Unternehmens gegenüber der taz an, die Kündigungen seien aufgrund der „unangekündigten wilden Streiks“ sowie der Blockade von Notausgängen erfolgt. „Solche unangekündigten, spontanen und nicht gewerkschaftlich getragenen Streiks sind rechtlich nicht zulässig“, ließ die Pressestelle damals mitteilen.

Ob diese Einschätzung zutrifft, werden nun die Gerichte klären müssen. Einige Rider zielen lediglich auf die Rücknahme ihrer Kündigung ab. Doch anderen geht es um einen größeren politischen Zusammenhang. Sie sind bereit, bis nach Straßburg an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen, um final feststellen zu lassen, ob das deutsche Streikrecht zulässig ist.

Duygu Kaya ist Mitglied des Gorillas Workers Collective. Ihr gehe es nicht nur darum, ihren Job zurückzubekommen, sagt sie. Auch Kaya wurde Anfang Oktober wegen ihrer Streikteilnahme entlassen. Sie hat bereits einen neuen Job gefunden, aber: „Überall werde ich dieselbe Prekarität, dieselben schlechten Arbeitsbedingungen antreffen wie bei Gorillas.“ Dagegen müsse man bei Gorillas ebenso ankämpfen wie bei anderen Lieferdiensten wie Wolt oder Getir. Die einzige Waffe, die die Belegschaft habe, sei der Streik.

Duygu Kaya, Lieferfahrerin

„Das Gesetz ist ein beschämendes Relikt der Nazi-Zeit“

Durch die Instanzen für den wilden Streik

Und der ist in Deutschland bislang zu Ungunsten von Betriebsgruppen wie dem Gorillas Workers Collective geregelt. Streiken gehört zu den Grundrechten der Ar­bei­ter­neh­me­r:in­nen in Deutschland, allerdings nur, wenn der Streik von einer offiziellen Gewerkschaft organisiert ist. Verdi hat sich bisher nicht dazu bereit erklärt, die Streikenden bei Gorillas als Teil der Gewerkschaft anzuerkennen.

„Das aktuelle Gesetz ist ein beschämendes Relikt der Nazizeit“, gibt Kaya zu bedenken. Die Regelung, wonach „wilde Streiks“ nicht zulässig sind, geht auf westdeutsche Urteile aus den 50er Jahren des Arbeitsrichters Hans Carl Nipperdey zurück, der zuvor eng mit dem Nationalsozialismus verbunden war. Um diese Ära hinter sich zu lassen, ist die Riderin bereit, durch die Instanzen zu ziehen. Für die Gerichtskosten soll bald Geld gesammelt werden.

Doch anhängig ist auch eine Klage des Unternehmens gegen das Gorillas Workers Collective. Genauer: gegen das Wahlkomitee für den Betriebsrat. Das Management des Konzerns versucht, die Betriebsratswahl per einstweilige Verfügung zu stoppen. Es argumentiert, dass die Rider gar nicht mehr für Gorillas arbeiten, sondern für eine andere, ausgelagerte Firma.

Außerdem soll es zu Unstimmigkeiten bei der Ausschreibung gekommen sein. Dazu gehören Formfehler, aber auch überraschende Mängel wie auf die Ausschreibung geklebte Post-Its, die das Lesen des Papiers offenbar verunmöglichten. Laut Aussage von Martin Bechert, dem Anwalt des Wahlvorstands, sind die Mängel jedoch seit dem 29. Oktober behoben.

Vorwurf des Kollektivs: Union-Busting-Methoden

Die geforderten Strafen, falls die Wahl trotzdem durchgeführt wird, sind drastisch: 10.000 Euro oder bei Nichtbezahlen 6 Monate Haft. Rider verdienen bei Gorillas 10,50 Euro pro Stunde, die Firma ist mit 3,3 Milliarden Euro dotiert. Die Fir­men­um­stel­lung ist ein verbreiteter Handgriff, um juristische Zuständigkeiten zu wechseln. Zum 1. Oktober hat die Gorillas Technologies GmbH einen Teil des Betriebs an die neu gegründete Gorillas Operations Germany GmbH & Co. KG. übergeben.

Das heißt: Ab dem 1. Oktober sind die Lieferfahrer:innen, ein Teil des Personal in den Lagern sowie zusätzliche Gruppen nicht mehr für die Firma tätig, für die ein Betriebsrat gegründet werden soll. Allerdings hat das Unternehmen laut Aussagen des Gorillas Workers Collective den Wahlvorstand nicht über diese Betriebsspaltung informiert.

Das Collective beklagt allgemein eine unkooperative Haltung des Unternehmens und spricht von Union-Busting-Methoden – also der systematischen Bekämpfung von Arbeitnehmer:innen-Vertretungen. Die Pressestelle von Gorillas verwies auf Anfrage zu den aktuellen Verfahren auf einen Blogpost von vergangenem August, der sich nur allgemein mit dem Thema Rider beschäftigt.

Das Gorillas Workers Collective kündigt im Vorfeld der Verhandlung zur Betriebsratsgründung am 17. November Aktionen und einen Demonstrationsumzug durch Berlin an. Die Betriebsratswahlen sollen wenige Tage später stattfinden.

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