Umstrittene Gasleitung Nord Stream 2: Lizenz ist nicht zwingend
Wirtschaftsminister Habeck muss der Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 nicht tatenlos zusehen. Zu dem Schluss kommt die Umweltjuristin Ziehm.
Am vergangenen Wochenende sprach Habeck in einem Interview über Sanktionen gegen Russland für den Fall eines militärischen Angriffs auf die Ukraine. Seine Äußerung „da kann es keine Denkverbote geben“ ist so zu verstehen, dass die Gaslieferungen durch die neue Pipeline dann infrage stehen. Habeck könnte allerdings schon jetzt die Reißleine ziehen, sagt die renommierte Umwelt- und Energieanwältin Cornelia Ziehm.
„Falls das Wirtschaftsministerium zu der Einschätzung gelangt, dass die Versorgungssicherheit der Ukraine heute möglicherweise anders zu beurteilen ist als zum Zeitpunkt der bereits erfolgten Versorgungssicherheitsanalyse, muss es seine Stellungnahme gegenüber der Netzagentur revidieren oder ergänzen“, betont Ziehm gegenüber der taz. Der Betrieb der beiden Röhren würde dann nicht genehmigt.
Das Wirtschaftsministerium schickte seine Analyse am 26. Oktober dieses Jahres an die Bundesnetzagentur in Bonn, die für die Zertifizierung der Pipeline zuständig ist. Damals führte die Geschäfte vorübergehend noch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Zentrale Aussage: „Eine Zertifizierung gefährdet die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht.“
Einfluss des russischen Truppenaufmarschs
Vor dem Hintergrund des russischen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze könnte man das nun anders beurteilen. Es wird sichtbar, dass Russland die Ukraine unter Druck setzt – auch Gaslieferungen sind dafür geeignet. „Ein Verwaltungsakt, der auf einer erkennbar unzutreffenden oder überholten Tatsachengrundlage ergeht, ist rechtswidrig“, schlussfolgert Ziehm im Hinblick auf die Analyse von Ende Oktober. Die Anwältin arbeitet unter anderem im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe, die gegen die Pipeline klagt.
Jedoch wird Habeck, selbst wenn er in diese Richtung neigen sollte, die Entscheidung nicht alleine treffen können. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, heißt es im Artikel 65 des Grundgesetzes. Olaf Scholz (SPD) hält Nord Stream 2 offiziell für ein wirtschaftliches, kein politisches Projekt – wie die alte Regierung und im Gegensatz zu Habeck. Es erscheint deshalb fraglich, ob sich der SPD- und der Grünen-Politiker auf eine Revision der Sicherheitsanalyse inklusive ihrer weitreichenden Folgen einigen werden.
Momentan hat die Bundesnetzagentur das Zertifizierungsverfahren unterbrochen. Angeblich, weil die EU-Gasrichtlinie noch nicht erfüllt ist. Die vom russischen Konzern Gazprom gesteuerte Nord Stream 2 AG muss dafür zunächst eine deutsche Tochter gründen. Wenn das passiert ist und die Unterlagen bei der Netzagentur eingegangen sind, hat diese noch knapp zwei Monate Zeit, ihren Entscheidungsentwurf fertigzustellen.
Den schickt die Behörde dann an die EU-Kommission, die nach maximal vier Monaten ihre Einschätzung zur Zertifizierung darlegen muss. In Brüssel lehnen viele die Pipeline ab. Kommt es zu einem offiziellen Widerspruch, ist die Netzagentur gehalten, die Einwände der EU-Ebene „so weit wie möglich“ zu berücksichtigen. Ist sie dazu nicht bereit, könnte das Bundeswirtschaftsministerium erneut eingreifen. Auch an diesem Punkt kann die Zertifizierung scheitern.
Sowieso wird das alles noch dauern. Im ersten Halbjahr 2022 rechnet Bundesnetzagenturchef Jochen Homann nicht mit einer Entscheidung. Nicht unwichtig ist dabei, dass Homann Ende Februar 2022 nach zehn Jahren als Chef ausscheidet. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin könnten andere Prioritäten setzen.
Eine weiteres Problem für Nord Stream 2: Die US-Regierung lehnt die Pipeline ab. Während Präsident Joe Biden (Demokraten) beide Augen zudrückt, um das Verhältnis zu Deutschland nicht zu sehr zu strapazieren, unternehmen die Republikaner gerade einen neuen Versuch, Sanktionen gegen Firmen zu beschließen, die an der Pipeline mitwirken. Über einen entsprechenden Gesetzentwurf soll der US-Senat Anfang Januar abstimmen. Vielleicht nimmt die US-Politik der deutschen die Entscheidung doch noch aus der Hand.
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