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Umkämpftes Kundus in Afghanistan16 Tote bei US-Angriff auf Klinik

Die USA unterstützen Afghanistan mit Luftschlägen, um die Taliban aus Kundus zu vertreiben. Bomben trafen versehentlich eine Klinik. 16 Menschen starben.

OP-Saal im von Ärzte ohne Grenzen betriebenen Krankenhaus in Kundus. Foto: dpa

Kabul dpa | Fataler Fehler der US-Luftwaffe in Afghanistan: Bei einem Bombenangriff in Kundus haben amerikanische Kampfjets offensichtlich aus Versehen ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) getroffen und dabei mindestens 16 Menschen getötet. Es handele sich um neun MSF-Mitarbeiter und sieben Patienten, darunter auch drei Kinder, teilte MSF-Sprecherin Christiane Winje am Samstag in Berlin mit. Weitere 37 Menschen – 19 Klinikmitarbeiter und 18 Patienten sowie Angehörige – wurden diesen Angaben zufolge zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Seit dem überraschenden Angriff der islamistischen Taliban auf Kundus versuchen Regierungstruppen mit Hilfe der Nato seit Tagen, die Stadt wieder komplett unter Kontrolle zu bekommen.

Der Sprecher der Nato-Mission in Afghanistan, Sernando Estreooa, erklärte zu dem Unglück: “Die US-Streitkräfte haben am 3. Oktober um 2.15 Uhr Ortszeit einen Luftangriff nahe der Einrichtung durchgeführt, wo einzelne Personen die Truppen bedrohten.“ Der Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan, Brian Tribus, räumte ein, dabei könnte versehentlich eine nahe gelegene medizinische Einrichtung getroffen worden sein. Der Vorfall werde untersucht.

In einer Stellungnahme der US-Botschaft in Afghanistan hieß es, man trauere um die Menschen, die von dem „tragischen Zwischenfall“ in dem Krankenhaus betroffen seien, sowie um deren Familien.

EU-Kommissar Stylianides ist „zutiefst schockiert“

Die Vereinten Nationen kritisierten den Bombenangriff auf die Klinik aufs Schärfste. „Krankenhäuser, in denen sich Patienten und medizinisches Personal befinden, dürfen niemals zum Angriffsziel werden“, sagte der UN-Sondergesandte für Afghanistan, Nicholas Haysom. Der für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides zeigte sich in einer Erklärung „zutiefst schockiert“ über den Tod der MSF-Mitarbeiter. Medizinische Einrichtungen und humanitäre Helfer müssten geschützt werden, betonte auch er.

Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen wurden allen Konfliktparteien die genauen Geodaten ihrer Einrichtungen vorsorglich mehrfach übermittelt, zuletzt am 29. September. Nach Beginn des nächtlichen Angriffs habe man zudem das amerikanische und afghanische Militär erneut kontaktiert; dennoch habe das Bombardement noch mehr als 30 Minuten angehalten.

Ärzte ohne Grenzen und das internationale Rote Kreuz verurteilten den Angriff auf die Klinik scharf und forderten alle Konfliktparteien auf, die Sicherheit von Zivilisten und Helfern zu achten. „Wir sind über den Angriff, das Töten von Mitarbeitern und Patienten und die schweren Auswirkungen auf die Gesundheitsfürsorge in Kundus zutiefst schockiert“, sagte der Leiter der Organisation vor Ort, Bart Janssens. Er forderte alle Konfliktparteien auf, die Sicherheit von Gesundheitseinrichtungen und deren Personal zu respektieren.

Schwere Gebäudeschäden

Seit Montag wurden nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen in der Klinik 394 Verletzte behandelt. Zum Zeitpunkt des Luftangriffs seien 105 Patienten, Angehörige und gut 80 Mitarbeiter in dem Gebäude gewesen.

Die Organisation veröffentlichte Bilder von der in Flammen stehenden Klinik und den massiven Schäden. Auf einem Foto kümmern sich Ärzte in einem überfüllten kleinen Raum um verletzte Patienten und Mitarbeiter. Lokale Medien zeigten am Samstag ein Video der beschädigten Anlage. In den Aufnahmen, die nur wenige Stunden nach dem Vorfall gemacht wurden, sind schwere Gebäudeschäden und zerbrochene Fenster zu sehen. Aus dem Inneren des Gebäudes schlagen Flammen. Die Anlage ist von einer dunklen Rauchwolke umgeben.

Die Klinik wird ausschließlich aus Spenden finanziert und behandelt jeden – unabhängig von Herkunft oder Religion. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid sagte: „Keiner unserer Kämpfer war zum Zeitpunkt des Angriffs ein Patient der Klinik.“

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12 Kommentare

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  • 7G
    70023 (Profil gelöscht)

    Schon wieder ist es so ein Vorfall, wo die deutsche Medien amerikanische verbrechen klatscht und bejubelt aber wenn es um Putin oder um Erdogan geht als Diktator beschimpft. Was für ein Glück haben die Taliban, dass sie keinen Kampfjet haben sonst hätten die Amerikaner behauptet, es waren die Taliban. Die Amerikaner morden nicht nur Ärzte. Sie morden auch Hochzeitsgesellschaft und sogar spielende Kindern. Danach behaupten die Amerikaner sie hätten die Terroristen ermordet.

    Ich liebe die Amerikaner und dazu noch die deutsche Medien.

  • "Ärzte ohne Grenzen und das internationale Rote Kreuz verurteilten den Angriff auf die Klinik scharf und forderten alle Konfliktparteien auf, die Sicherheit von Zivilisten und Helfern zu achten." - Klar, was sollen sie in ihrer Ohnmacht sonst tun. Aber es offenbart sich hier der Grundwiderspruch des Krieges: Grausamkeit ist sein Wesen, er besteht gewissermaßen aus solchen "fatalen Fehlern", wie es dpa/taz gnädig formulieren. Alle Versuche, ihn mit zivilisatorischen Regeln einzudämmen, sind unbedingt nötig - aber sie ändern "in der Praxis" wenig am Terror des Krieges, ganz gleich, wer ihn führt und aus welchen Gründen er geführt wird.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Albrecht Pohlmann:

      Ich möchte Sie gerne fragen, wer hier nun Krieg geführt hatte? Und ist es, wie Sie schreiben: 'ganz gleich, wer ihn führt und aus welchen Gründen er geführt wird'. Da wird mir echt Angst.

      • @4932 (Profil gelöscht):

        Angst muß Ihnen mein Kommentar nicht machen. Die Antwort ist hier ja klar: US-Militär hat Krieg geführt und ein Ziel bombardiert, das Schutz aus humanitären Gründen haben sollte. Es war also nicht als moralische Reinwaschung der US-Administration gemeint, die diese Luftangriffe befohlen hat. - Aber soetwas "passiert" eben allen Kriegsparteien und mir geht es darum, daß Krieg als Mittel der Politik überhaupt geächtet würde. Ich weiß, Pazifismus, ist gerade etwas aus der Mode gekommen.

        • 4G
          4932 (Profil gelöscht)
          @Albrecht Pohlmann:

          Nicht Ihr Kommentar hatte mir Angst gemacht, sondern die Tatsache, daß die Amerikaner weiterhin rumbomben und mit Drohnen weiterhin für sehr viele Verletzte und Tote verantwortlich sind und einen Frieden auf dieser Erde weiterhin offenbar nicht wollen und einem Pazifismus ferner sind, als je zuvor. Und keinerlei Verantwortung dafür übernehmen wollen. Krieg ist der Motor des Kapitalismus.

          • @4932 (Profil gelöscht):

            Da kann ich nur zustimmen.

            • @Albrecht Pohlmann:

              @beide dann haben Sie beide ja wohl zumindestens Präferenzen bei Krieg führenden Parteien. Mit dem "ganz gleich, wer ihn führt" siehts dann ja nicht so überzeugend aus.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Die Amerikaner kann man wirklich nur noch verachten. Trotz höchster optischer Aufklärungsmöglichkeiten und höchster Rüstungsgenauigkeit und grundsätzlich keiner eigenen Gefährdung (sie wohnen ja auf einem anderen Kontinent) hauen sie auf die Menschen einfach beliebig nur noch drauf. Ein so brutales Regime, wie die Amerikaner es pflegen seit einem Afghanistankrieg, einem Irakkrieg und den Schlägen in Syrien hat nichts mehr mit Menschlichkeit oder westlicher Zivilisation zu tun. Ärzte ohne Grenzen und deren Spender werden durch diese Aktion bald aufhören, sich einzusetzen und zu arbeiten.

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die hier geäußert und von der TAZ durchgewunken wird, macht mir Angst.

       

      Unverhohlen wird zu Verachtung von über 300 Millionen Menschen aufgerufen - unfassbar.

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @Herbert Tok:

        Ich finde es wunderbar, daß die taz es ermöglicht, durch Klick auf den Namen eines Bloggers dessen bisherige Diskussionsbeiträge einzusehen. Machen Sie der taz keine Vorwürfe, daß sie etwas durchwinke. Sie können meine bisherigen Blogbeiträge einsehen, ich die Ihrigen.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @4932 (Profil gelöscht):

      Ich habe gerade meinen Mitgliedsbeitrag für 'Ärzte ohne Grenzen' gekündigt, weil ich nicht unterstützen möchte, daß diese so wunderbare Initiative und die Menschen und die Ärzte durch amerikanische Aktionen zu Tode oder zu Schaden kommen.

      • @4932 (Profil gelöscht):

        Sie wollen 'Ärzte ohne Grenzen' für die Bombardierung bestrafen? Sehr logisch.