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Umgang mit der Türkei im SchulunterrichtErdoğan und der „Reichstagsbrand“

Deutschtürken kritisieren Material für den Politikunterricht in NRW scharf. Der türkische Präsident wird darin indirekt mit Hitler verglichen.

Er hat zwar ein Oberlippenbärtchen, aber das macht ihn nicht gleich zu einem Hitler Foto: reuters

Berlin taz | Arbeitsblätter des Schulbuchverlages „Westermann“, die in Nordrhein-Westfalen im Politikunterricht eingesetzt werden, sorgen insbesondere bei Deutschtürken für Empörung. In den Lehrmaterialien für die Jahrgänge 9 bis 13 wird der türkische Präsident Erdoğan indirekt auf eine Stufe mit Adolf Hitler gestellt.

Erdogans Strategien des Machtausbaus nach dem Putschversuch in der Türkei würde „gewisse Gemeinsamkeiten mit der Situation nach dem Reichtagsbrand 1933 aufweisen“, heißt es in den Arbeitsblättern. Um diese These zu unterstreichen, wird ein Auszug aus der NS-Verordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ aus dem Jahr 1933 angeführt. Illustriert wird der Text mit einer Karikatur aus dem britischen Guardian. Darauf ist Erdoğan zu sehen, wie er an die Stelle des Halbmondes auf der türkischen Fahne ein Hakenkreuz malt.

Das Online-Magazin Migazin hatte zuerst über den Fall berichtet und Ali Sak, den Vorsitzenden der „Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland“, FÖTED, zitiert. Sak moniert die „überzogene Darstellung“ und insbesondere den Vergleich der Türkei mit Nazideutschland. Auch er kritisiere den „autoritären und antidemokratischen“ Regierungsstil Erdogans, so Sak. Doch durch diesen Vergleich würden die Verbrechen des 3. Reiches stark relativiert.

Eine Sprecherin des Schulministeriums Nordrhein-Westfalen sagte der taz, solche Arbeitsblätter seien nicht zulassungspflichtig: sie könnten, wie Zeitungsartikel, von Lehrern nach eigenem Ermessen im Unterricht eingesetzt werden. Unklar sei, in welchen Ausmaß sie eingesetzt oder ob sie „unhinterfragt benutzt“ würden.

Erdoğan zog den Vergleich selbst

Der Westermann-Verlag erklärte, der Bezug zu „Hitler-Deutschland“ habe sich durch eine Äußerung Erdogans ergeben, die Anlass zu der Karikatur im Guardian gab und über die breit berichtet wurde. Um zu begründen, dass sich ein Zentralstaat und ein Präsidialsystem nicht ausschließen müssten, hatte Erdoğan im Januar 2016 statt auf Frankreich ausgerechnet auf Hitler-Deutschland verwiesen. Kritiker sahen das als Beleg dafür, dass der türkische Präsident heimliche Sympathien für das Nazi-System hege, aber das ist stark umstritten.

Bei Westermann heißt es, man gehe bei der Erstellung von Arbeitsblättern grundsätzlich mit großer Sorgfalt vor. „Zu keiner Zeit lag es im Interesse des Verlages, ein verfälschtes und konstruiertes Bild zu liefern“, sagte der zuständige Geschäftsführer Thomas Michael der taz. Das Anliegen sei vielmehr, „die Kompliziertheit der Situation, letztendlich auch mit Blick auf die geostrategische Situation der Türkei, deutlich zu machen.“

Erst vor knapp zwei Jahren hatte eine Karikatur in einem baden-württembergischen Schulbuch für Ärger und Verstimmungen zwischen der Türkei und Deutschland gesorgt. Sie zeigte unter anderem einen Kettenhund, auf dessen Hundehütte der Name Erdogan stand.

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20 Kommentare

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  • Es gibt öffentliche Aussagen, dass den Putsch in der Türkei Herr Erdogan selbst inszenierte.

  • Dass Erdogan selbst mal mein Kampf als lesenswertes und faszinierendes Werk beschrieben hat und sogar uninformierte Menschen die Parallelen zwischen ihm und den Taktiken von Adolf erkennen können, scheint dabei ja keine Rolle zu spielen. Auch dass es einige Parallelen zwischen dem Reichstagsbrant und dem sehr sehr merkwürdig abgelaufenen Militärputsch gibt, egal...

    Hauptsache wir verärgern die hier lebenden Türkfaschisten nicht.

  • Hauptsache Herr Erdogan macht in seiner Machtgier nicht noch Dinge die man dann noch direkt mit Hitler vergleichen kann.

  • Man hätte auch Tonkin als Beispiel nehmen können oder - aus der Verschwörungsecke - 9/11.

  • Adogan, oder wie?

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Adogan - nicht schlecht.

  • "..Deutschtürken kritisieren Material für den Politikunterricht in NRW scharf. Der türkische Präsident wird darin indirekt mit Hitler verglichen..."

     

    Das Letztere - "mit Hitler verglichen" - ist selbst nach dem Betrag von Herrn Daniel Bax - ganz offensichtlich gerade nicht der Fall.

     

    Mit Verlaub - solcheart Stuß in der Sache! - in den Aufmachern der taz ist Leider vermehrt zu beobachten &

    Zwar jenseits von - " ach wie peinlich"!

    Bitte abstellen. Danke.

    • @Lowandorder:

      vielleicht erst mal selber nachgucken vorm rumkritteln? http://www.migazin.de/2016/09/12/nordrhein-westfalen-schulunterricht-nazi-deutschland-erdogan/

      • @christine rölke-sommer:

        Danke - aber das beutelt mich eher noch weniger.

         

        (erinner mich gut an Lt-Anfrage über

        einen Lehrertext zu Jöhten - ala -

        "& dann hustete er noch in alter Gewohnheit ein paar Gedichte aufs Papier ehe es ihn endgültig vom Schlitten riß…" - Klar - Untergang des Abenlandes!

        Aber auch in Ihrer Quelle entdecke ich lediglich die Parallelität von politischen Kniffs&Tricks zu einem konkreten Ereignis durch die Nazis.

        Von dem österreichischen Postkartenmaler keine Silbe &

        Gar irgendeine Relativierung etc -

        Nix.

    • @Lowandorder:

      Immer mit der Ruhe. Es ist doch bei näherer Betrachtung offenbar, ja, anscheinend sogar naheliegend.

       

      Historisch ist das eine, aber die Strategie, die ist mit derselben Nudel gestrickt.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        @LOWANDORDER Immer mit der Ruhe

         

        Aber sowas von - Aber Hallo.

        Typische deformation professionell!

  • Die Praxis der Meinungs- und Pressefreiheit, wie sie von hier Namentlich Erdogan im eigenen Land wie zum Ausland ausgeübt wird fordert geradezu zu zu diesen Unterrichtsmaterialien auf.

    Diese Grundlagen zum Diskurs durch eine sogenannte Relativierung der NS-Verbrechen zu diskreditieren greift von da her nicht, dass sich die Vergleiche auf den Weg zur Machtergreifung beziehen, aber nicht die Zeit danach.

  • Gute Idee.

    So können die Schüler selber lernen, erarbeiten und diskutieren ob dieser Vergleich überzogen oder gerechtfertigt, in wie weit gerechtfertigt und ob der Dimension von Hitler nicht einfach saudämlich ist.

    • @Thomas_Ba_Wü:

      Ich schätze, dass an unserer Hauptschule zwei Drittel der Schüler nicht mal wissen, wann, wie und warum Hitler überhaupt an die Macht kam.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Das ist aber ein anderes Problem.

  • Erdogan ist definitiv nicht Hitler und außer seiner Machtgier hat Erdogan auch keine wirklich grundlegende Ideologie. Das wird in den Materialien vermutlich auch gar nicht gesagt.

     

    Den (vermutlich Erdoganfreundlichen) Organisationen der Deutschtürken muss das übrigens nicht gefallen. Letztlich müssen wir auch damit rechnen, dass der Holocaust auf Dauer nicht einzigartig bleiben wird.

    So ein Vergleich ist deshalb sogar notwendig, um ggf. die drohenden Anfänge erkennen zu können.

     

    Allerdings habe ich auch das Gefühl, dass sich die Türkei im Machtergreifungsprozess etwa im Äquivalent-Monat Mai 1933 befindet. (Historiker mögen das gerne präzisieren).

     

    Es spricht einiges dafür, das die Äquivalenz in Zukunft auseinanderdriften wird und sich die Türkei in Richtung einer "normalen" Autokratie mit faschistischen Anteilen (Massenbewegung) bewegen wird.

     

    Dagegen spricht, dass die Türkei mit den Kurden über eine relevante Minderheit verfügt, die analog zu den Juden bei uns pauschal als Staatsfeind gesehen wird.

    Und es gibt anscheinend wenige Grenzen (Bürgerkrieg?) die Erdogan nicht sofort überschreiten würde. Zumindest die planmäßige Zerstörung der Lebensgrundlage der (zumindest aber sehr vieler) Kurden ist ja bereits in vollem Gange. Ebenso wie die Verlagerung derselben zu Erdogan-Anhängern.

    In diesen Details kann man durchaus Analogien zu Deutschland in den dreißiger Jahren erkennen.

  • Da gebe ich Herrn Sak Recht. Ich finde, dass im Lehrmaterial Stimmungsmache keinen Platz haben darf. Da muss sachlich und historisch belegbare Faktenvermittlung stattfinden. Wenn überhaupt, dann gehört solches Material in Diskussionsrunden zur Klärung der Zulässigkeit vergleichbarer und - eben nicht vergleichbarer - Fälle. Die Situation in der Türkei ist auch ohne solch drastische Übertreibungen brisant genug. Die hier lebenden Erdogan-Anhänger würden vermutlich die Situation vorort erheblich realistischer betrachten, wären sie denn dort, während hier aus der Entfernung zur Türkei sicherlich auch so manche nicht korrekte Glorifizierung entsteht. Hier fällt einfach der (g)raue Alltag mit all den demokratiefernen Einschränkungen gern mal unter den Tisch und wird nicht wertgeschätzt.

     

    Aber das rechtfertigt m.E. diese absurden Vergleiche nicht.

    • @noevil:

      Tja das ist so eine Sache mit den Informationen. Es wird im Artikel gar nicht darauf eingegangen um was für ein Lehrmittel es sich handelte. Für welches Fach wurde es erstellt, dient es nur als Diskussionsgrundlage (darauf würde die Karrikatur hindeuten). In Gemeinschaftskunde gibt es durchaus Fälle wo so etwas Sinn macht. In meiner Schulzeit etwa habe ich ein Referat über einen Anti-Nazi-Cartoon gehalten um eine Diskussion über NSDAP und Neo-Nazis zu beginnen.

      Wir sollte aber auch aufpassen, da die hiesigen türkischen Rechten momentan eine Art Machtspiel spielen, und versuchen auf Umwegen türkische Rechtsauffassungen hier zu verankern. Und wir sollten auch keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten von hiesigen Erdogan-Anhängern nehmen, das haben wir in der Vergangenheit mit der Böhmermann-Posse bereits genug getan. Wenn die Herrschaften es nicht ertragen können, dass auch in Schulen äußerst kritisch über das diktatorische Auftreten in der Türkei gelehrt wird und ihr großer Führer (ja, die nennen den wirklich so) mit seinem Staatsumbau und seinem Staatsterrorismus auch sehr schlecht weg kommt.. tja, da kann ich einfach auch leider nicht helfen.

      Wir können es auf keinen Fall zu lassen, dass wir in 50 Jahren eine Kurdenresolution verabschieden müssen, da wir uns wieder mal des Relativierens und Wegsehens bei Völkermord schuldig machen.

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @noevil:

      Das ist eine sehr gute Einschätzung der Lage.

  • A: "Ich bin Vegetarier"

    B: "Ach, wie Hitler?"

    Gilt das auch als "auf eine Stufe mit Hitler stellen"?

    Ja, aber man wirft einen damit weder Völkermord noch das malen von kitschigen Bildern vor.

    Wenn es Parallelen gibt im Sinne des Machtausbaus soll man ruhig darauf hinweisen.