Umgang mit Syriens Machthaber: Europas Mauer gegen Assad bröckelt

Bisher fuhr die EU einen strikten Kurs gegen Syriens Machthaber. Doch die Linie wird stetig aufgeweicht. Das liegt auch am Rechtsruck in der EU.

ein Tankwagen befüllt einen großen Wasserspender,der auf einem staubigen Platz neben einem kleinen Häuschen steht, eine Frau macht sich an dem Schlauch zu schaffen

Wiederaufbau in Raqqa: Eine NGO verteilt Wasser an Menschen, die immer noch in Zelten leben Foto: chris Huby/Le Pictorium/imago

BERLIN taz | Einsatz von Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung, erzwungenes Verschwindenlassen von Dissident*innen, Folter oder außergerichtliche Tötung – die Liste an Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen in Syrien unter Baschar al-Assad ist lang. Deshalb bezog die EU bisher eine klare politische Haltung gegen das Regime in Syrien. Solange es keinen politischen Wandel in den von Assad kontrollierten Gebieten gibt, galten drei Neins: Keine diplomatischen Beziehungen, keine Normalisierung und kein Wiederaufbau.

Gelder, die aus europäischen Ländern nach Syrien gehen, sollen nur der Bevölkerung, aber nicht dem Machthaber und seinen Verbündeten zugute kommen. Ende Mai hat der Europäische Rat die Sanktionen gegen Assad und seine Un­ter­stüt­ze­r*in­nen um ein Jahr verlängert und das Land als weiterhin unsicher erklärt. „Das lässt hoffen“, sagt Svenja Borgschulte von der NGO Adopt a Revolution. „Gleichzeitig sind die rechten Kräfte gestärkt aus der Europawahl hervorgegangen, was die Frage aufwirft, wie lange die europäische Mauer gegen Assad noch hält. Fakt ist: Sie bröckelt gewaltig.“

Bisher unterstützte die EU Sy­re­r*in­nen durch humanitäre Hilfe. Doch ein Schlupfloch bietet die sogenannte Early Recovery, die Geberländer mittlerweile diskutieren. Die humanitären Maßnahmen sollen zur nachhaltigen Erholung nach einer Krise dienen. Dabei werden quasi humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit für wirtschaftlichen Aufschwung und Erholung nach einer Krise vermischt. Early Recovery (ER) gilt nicht als Wiederaufbau, weil Gebäude nicht von null hochgezogen, sondern stattdessen zum Beispiel Kriegsschäden repariert werden.

Die ersten im Kurswechsel waren die Vereinten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. Sie hatten jahrelang extremistische Gruppen gegen Assad finanziert, doch kürzlich die Beziehungen wiederhergestellt. Nun versuchen sie, die Unterstützung auszuweiten.

Treuhandfonds für Wiederaufbau geplant

Die Vereinten Nationen setzen gerade ein Programm auf, um die Hilfsgelder aus den Golfländern nach Syrien zu schicken: Eine Art Treuhandfonds für den frühen Wiederaufbau. Hauptgeberländer sind die Golfstaaten. Bisher können sie wegen der westlichen Sanktionen und des ausgesetzten Swift-Systems für Überweisungen kein Geld direkt nach Syrien senden. Die Gelder sollen in „Schlüsselbereiche des frühen Wiederaufbaus“ fließen: Gesundheit, Bildung, Sanitärversorgung, Elektrizität und Lebensunterhalt.

Der Fonds könnte es auch Organisationen wie der Weltbank ermöglichen, Hilfe für die Erdbebenopfer in Assad-Gebieten bereitzustellen, die bisher aufgrund der Sanktionen nicht geleistet werden konnte. Wenn es wirtschaftlich aufwärts geht für Syrien, könnten Millionen syrischer Geflüchteter zurückkehren, argumentieren die Vertreter der Golfstaaten. Das würde den Druck auf die Aufnahmeländer verringern, allem voran Libanon, Jordanien und die Türkei.

„Ein Wiederaufbau würde die demografische Veränderung ehemaliger Oppositionsgebiete zementieren und Geflüchteten keine Rückkehrperspektive eröffnen“, hält Borgschulte dagegen. „Wiederaufbauhilfen würden einzig dem Assad-Regime zugutekommen, das durch eine Reihe maßgeschneiderter Gesetze bereits vor Jahren Grund- und Eigentumsrechte eingeschränkt und insbesondere Vertriebene und Geflüchtete enteignet hat.“

Im Mai 2022 belegte eine Studie, an der auch die UN selbst beteiligt war, dass Millionenbeträge der humanitären Hilfe der UN tatsächlich bei sanktionierten Personen in Syrien landen. Das Geld ging über Ver­trags­part­ne­r*in­nen der UN in Nahrungsmittel, Büroausstattung oder Elektronik. „Statt Wiederaufbauhilfen braucht es einen politischen Übergang gemäß der UN-Resolution 2254, das Ende der Diktatur und Verfolgung sowie die konsequente Strafverfolgung der Täter zahlreicher Menschenrechtsverbrechen.“

EU will freiwillige Rückkehr nach Syrien

„Die syrische Gemeinschaft braucht alle notwendige Unterstützung, unabhängig vom Standort“, sagt Sama Kiki, Geschäftsführerin des in London ansässigen Syrian Legal Development Program (SLDP). Die Zivilgesellschaft müsse aber in die Planung mit einbezogen werden. Bisher sei das nicht der Fall. „Wenn wir uns die derzeitige Umsetzung von Early Recovery ansehen, sehen wir viele Warnsignale und sind besorgt darüber, wie sich das langfristig negativ auf das Leben der Sy­re­r*in­nen auswirken wird. Die Abzweigung von Hilfsgeldern in Syrien ist ein großes Problem, und die ER-Projekte könnten auch dazu verwendet werden, die Taschen des Regimes und anderer kompromittierter Akteure zu füllen.“

Mit Sorge schaut Kiki auf das Treffen des italienischen mit dem syrischen Geheimdienst, das anscheinend im Mai in Damaskus stattgefunden hat, um eine Art sichere Zone für zurückkehrende Sy­re­r*in­nen in einem Vorort von Homs zu planen. „Wir sind sehr besorgt darüber, dass ein demokratisches und auf Rechtsstaatlichkeit basierendes Land wie Italien, das Teil der EU ist, Personen trifft, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich im Mai in Beirut nicht nur für frühzeitige Wiederaufbauprogramme aus, sondern sagte auch, die EU werde ein „Konzept für die freiwillige Rückkehr nach Syrien“ ausgestalten.

Es sei die übliche Falle der Politik, kommentiert Borgschulte von Adopt a Revolution. „Lang anhaltende Probleme, die politisch und medial maximal aufgeladen wurden, geraten irgendwann an ihren Kipppunkt. Ab da sollen sie nur noch schnellstmöglich behoben werden, ohne Rücksicht darauf, ob die Lösung menschlich oder wirklich effektiv ist.“ Für syrische Schutzsuchende sei das fatal. „Sie müssen fürchten, früher oder später nach Syrien abgeschoben zu werden. Noch ist das rechtlich nicht möglich, aber der politische Diskurs ist bereits so weit nach rechts verschoben, dass das nur noch eine Frage der Zeit ist.“

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