Grenzübergang nach Syrien offen: Mit Assads Zustimmung
Der Übergang ins syrische Rebellengebiet, Bab al-Hawa, wird geöffnet. Das haben die UN mit dem syrischen Machthaber verhandelt.
Im von nichtstaatlichen, bewaffneten Milizen kontrollierten Nordwestsyrien leben mehr als vier Millionen Menschen. Über 60 Prozent davon sind Binnengeflüchtete, die teilweise in Lagern leben. Viele Dörfer und Städte in der Region wurden durch das Erdbeben im Februar dieses Jahres stark zerstört. Der Bedarf an humanitärer Hilfe in Syrien ist deshalb so hoch wie nie zuvor.
Der schnellste Weg für Hilfsgüter führt von der Türkei aus über den Grenzposten Bab al-Hawa direkt nach Idlib. Etwa 70 Prozent der bedürftigen Menschen in Nordwestsyrien halten sich dort auf. Die Nothilfeorganisation der Vereinten Nationen (UN), Ocha, bestätigt der taz, dass die UN im Anschluss an das Erdbeben bisher 3.816 Lastwagen mit Hilfsgütern nach Nordwestsyrien geschickt haben, 80 Prozent passierten die Grenze in Bab al-Hawa.
Doch der Übergang ist seit rund einem Monat geschlossen, weil Russland eine Resolution zur Verlängerung der Öffnung im UN-Sicherheitsrat blockiert hatte. Der russische Präsident Wladimir Putin ist ein Verbündeter des syrischen Machthabers Baschar al-Assad.
Zwei weitere Übergänge wurden ebenfalls geöffnet
Die Resolution konnte nicht wieder aktiviert werden. Stattdessen haben die UN mit dem Regime von al-Assad direkt verhandelt. Denn die Zustimmung der Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten – so die Auffassung der UN – wird benötigt, um in den jeweiligen Ländern humanitäre Hilfe zu leisten. Das gilt auch für Hilfslieferungen in Gebiete, in denen die Machthaber diese zu einem Politikum machen, oder sie aus militärischen Gründen ganz verweigern. Dass al-Assad damit nun alle Grenzübergänge kontrolliert, ist die Schattenseite des Deals.
Die Resolution aus dem Jahr 2014, die zuletzt nur noch Bab al-Hawa umfasste, betraf einmal vier Grenzübergänge. Auf Druck von Russland und China wurden diese aber im Laufe der Zeit aus der Resolution gestrichen.
Nach dem Beben ließ al-Assad die Übergänge Bab al-Salama, der einmal Teil der Resolution war, und Al-Ra’i wieder öffnen. Erst am Dienstag wurde verkündet, dass die beiden Übergänge das für weitere drei Monate, bis zum 13. November, auch bleiben sollen.
„Die Verlängerung eines Abkommens für zwei zusätzliche Grenzübergänge, die ursprünglich zur Unterstützung der Erdbebenhilfe für drei Monate geöffnet wurden, bietet kaum mehr Sicherheit“, heißt es dazu in einer Presserklärung der Hilfsorganisation International Rescue Committee.
Darf humanitäre Hilfe von den Regierungen abhängig sein?
Die nur temporär gewährten Verlängerungen führen bei den Hilfsorganisationen zu logistischen Problemen und Unsicherheit. Eine sechsmonatige Vereinbarung zu Bab al-Hawa „wirft kritische Probleme auf, wenn es darum geht, Personal einzustellen und zu behalten, Hilfsgüter zu beschaffen oder Dienstleistungen zu erbringen“. Es brauche am besten eine zwölfmonatige Verlängerung der Resolution des Sicherheitsrates, so die Organisation. Wie es ab dem Winter weitergehe, sei sonst unklar.
Ola Batta, Projektleiterin für Nordwestsyrien bei der Welthungerhilfe
Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Vorgehen der UN. „Wenn die humanitäre Hilfe von der Zustimmung der syrischen Regierung abhängt oder in irgendeiner Weise unter ihrer Kontrolle steht, ist die Gefahr der Manipulation hoch“, sagt Ola Batta, Projektleiterin für Nordwestsyrien bei der Welthungerhilfe, der taz. Es bestehe das Risiko, dass die Zustimmung willkürlich widerrufen wird, wenn die Vereinten Nationen die Zustimmung Syriens als alleinigen Rechtsrahmen für grenzüberschreitenden Zugang für Hilfen akzeptierten.
Ob es die Zustimmung des Regimes braucht, ist eine Auslegungsfrage. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder das Internationale Zentrum für humanitäres Recht kommen zu dem Schluss, dass es mehrere Rechtfertigungen im Völkerrecht dafür gebe, dass Nichtregierungsorganisationen auch dann Hilfe leisten, sollte der Staat diese verweigern – „wenn das Überleben der Zivilbevölkerung in den von nichtstaatlichen, bewaffneten Akteuren kontrollierten Gebiet bedroht ist“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen