EU-Gelder für den Libanon: Ab jetzt wird weggeschaut
Libanon kassiert großzügige Hilfen der EU für geflüchtete Syrer – hat aber kein Interesse, diese zu versorgen. Die EU muss also nacharbeiten.
A m 2. Mai kündigte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ein Hilfspaket von 1 Milliarde Euro für den Libanon an. Der kleine Staat befindet sich seit 2019 in einer schweren Wirtschaftskrise und ist daher auf internationale Unterstützung angewiesen, will er die 1,5 Millionen syrischen Geflüchteten versorgen. Der Großteil der Unterstützung soll den Grundbedürfnissen syrischer Geflüchteter im Land zugutekommen, ein Viertel des Geldes an die libanesische Armee und Sicherheitskräfte gehen.
Nur ist der Libanon nicht an der Versorgung syrischer Schutzsuchender interessiert. Über unterschiedliche politische Parteien und gesellschaftliche Gruppen hinweg besteht Einigkeit, dass Syrer*innen nach Syrien zurückkehren müssen – und das besser früher als später.
Die Beiruter Menschenrechtsorganisation ACHR dokumentierte 763 Abschiebungen 2023 nach Syrien, in den ersten fünf Monaten 2024 waren es bereits 433. Trotz der dramatischen Wirtschaftslage und hasserfüllter Rhetorik gegen Syrer*innen planen die wenigsten von ihnen, nach Syrien zurückzukehren. Viele haben nichts, zu dem sie zurückkehren können, und fürchten dort eine weitaus gefährlichere Situation als im Libanon. Die Hälfte der Bevölkerung ist vertrieben, über 100.000 Menschen in Regime-Gefängnissen verschwunden.
Die EU bezieht bezüglich des syrischen Regimes eine klare Position: Ohne einen echten politischen Übergang werden die diplomatischen Beziehungen mit Syrien nicht wiederaufgenommen. Zudem seien die Bedingungen für eine sichere, freiwillige und menschenwürdige Rückkehr von Geflüchtetem weiterhin nicht gegeben, stellte der EU-Außenbeauftragte, Josep Borell, Ende Mai fest. Der UNHCR verwies bereits 2018 auf Kriterien, die für eine UN-unterstützte freiwillige Rückkehr erfüllt sein müssten. Sie sind aktuell nicht gegeben: Rückkehrenden drohen schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen wie Verhaftung und Folter.
EU wird zweigleisig fahren
Die EU muss sich nun entscheiden ob sie ihren Kurs halten und ihre finanzielle Unterstützung der Nachbarländer Syriens daran knüpfen will, dass Menschenrechte und das Völkergewohnheitsrecht – wie das Non-Refoulement-Prinzip – eingehalten werden. Oder ob sie sich dem sehr eigenwilligen Kurs einiger ihrer Mitgliedstaaten wie Zypern, Griechenland und Italien anschließt und sich dafür einsetzt, einzelne syrische Gebiete als sicher einzustufen und somit Rückführungen nach Syrien wider besseres Wissen durchzusetzen. Wahrscheinlich ist, dass die EU in der nahen Zukunft einen zweigleisigen und widersprüchlichen Kurs fährt, bei welchem sie rhetorisch an ihren roten Linien hinsichtlich des syrischen Regimes festhält und gleichzeitig beide Augen zudrückt, wenn libanesische Sicherheitskräfte Syrer*innen abschieben.
Die libanesische Übergangsregierung – seit 2022 steht die Bildung einer regulären Regierung aus – macht sich die europäische Abschottungspolitik zunutze: Weniger als eine Woche nach dem Besuch der Kommissionspräsidentin erließ die libanesische Sicherheitsbehörde „General Security“ neue Regelungen für Aufenthaltstitel für Syrer*innen, die faktisch den Aufenthalt aller Syrer*innen kriminalisieren. Bereits zuvor hatten 84 Prozent der Syrer*innen keinen gültigen Aufenthaltsstatus. Die libanesische Regierung hatte 2015 die Registrierung Geflüchteter durch das UNHCR untersagt. Es ist davon auszugehen, dass mit den neuen Regelungen auch die Aufenthaltstitel der verbleibenden 16 Prozent nicht verlängert werden.
Die bisherigen Möglichkeiten, etwa durch einen Mietvertrag einen Aufenthaltstitel zu erlangen, wurden suspendiert. Syrer*innen werden so in die Irregularität gezwungen. Die offizielle Aussage, die Regierung schiebe nur ab, wer sich irregulär im Land befinde, ist damit pure Augenwischerei. Seit den neuen Regelungen kommt es im ganzen Land zu Razzien und mobilen Straßensperren, von Syrer*innen betriebene Geschäfte werden geschlossen. Viele Syrer*innen trauen sich nicht mehr, das Haus zu verlassen, und reduzieren ihre Bewegungen auf ein Minimum. Im Ergebnis werden sich daher eher mehr als weniger Syrer*innen auf den gefährlichen Seeweg nach Europa machen. Mindestens 50 Boote aus dem Libanon haben zwischen Januar und Mitte April Zypern erreicht, 40 mehr als im Vorjahreszeitraum.
Problematische Unterstützung der libanesischen Armee
Der sogenannte „EU-Libanon-Deal“ ist somit auf mehreren Ebenen problematisch. Von der Leyens außenpolitisches Manöver widerspricht der offiziellen europäischen Position zu Syrien, indem er dem gefährlichen Diskurs der herbeifantasierten „sicheren Gebiete“ in Syrien Tür und Tor öffnet. Auch die Unterstützung der libanesischen Sicherheitskräfte und Armee durch die EU und Mitgliedsstaaten wie Deutschland ist äußerst problematisch, da diese nachgewiesenermaßen illegal abschieben.
Eine Vereinbarung zwischen der EU und dem Libanon ist nicht grundsätzlich falsch. Die dringend benötigte Unterstützung für die Versorgung der Geflüchteten im Libanon sollte jedoch daran geknüpft werden, dass der Libanon sich verpflichtet, sowohl das Völkerrecht als auch die Menschenrechte Geflüchteter zu achten. Dazu gehört ein Abschiebestopp und Zugang zu legalem Aufenthalt.
Im Gegenzug sollte die EU die libanesische Aufnahmegemeinschaft besser unterstützen und mehr syrische Geflüchtete durch das „Resettlement“-Programm des UNHCR aufnehmen. Dieses bietet den Vulnerabelsten, denen oft andere Migrationswege verschlossen sind, die Möglichkeit, legal in die EU ausgeflogen zu werden, und bewahrt sie somit vor der gefährlichen Seeroute. Doch nur 2.800 Syrer*innen wurden in 2023 auf diesem Weg in der EU aufgenommen. Ein solches Abkommen käme sowohl der libanesischen Aufnahmegemeinschaft als auch den syrischen Geflüchteten zugute.
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