Umgang mit Roma aus Moldau: „Irgendwer ist immer dran“
Berlin schiebt Geflüchtete aus Moldau wieder verstärkt ab. Manchmal werden Menschen auf dem Amt verhaftet. Maria C. erzählt vom Leben mit der Angst.
Maria C. ist eine Romni aus Moldau. Die 33-Jährige hat fünf Kinder im Alter von vier Monaten bis 16 Jahren. Mit ihnen und ihrem Mann lebt sie in einer Gemeinschaftsunterkunft im Bezirk Pankow. Das erste Mal kamen sie im November 2019 nach Berlin, ihr Asylantrag wurde, wie bei Moldauer*innen üblich, abgelehnt, im Sommer 2020 wurden sie abgeschoben. Im Sommer 2021 sind sie zurückgekommen. Marias Schwiegermutter wurde vor Kurzem abgeschoben, als sie bei einem Termin im Landesamt für Einwanderung (LEA) war.
Wir treffen uns in einer Bäckerei in der Nähe. Maria möchte, dass die Welt erfährt, wie schlecht die Roma behandelt werden, aber sie hat Angst, Ärger zu bekommen, wenn sie mit der Presse spricht. Weil Maria Russisch spricht, die Reporterin aber nicht, begleitet uns Anna vom Bare-Bündnis. Bare heißt „groß“ oder „stolz“ auf Romanes und steht für „Berliner Bündnis gegen Antiziganismus und für Rom*nja Empowerment“. Anna geht in Heime, klärt die Geflüchteten über ihre Rechte auf, hilft ihnen bei Ämterdingen und so weiter.
taz: Maria, wo leben Sie in Moldau?
Maria C.: Das ist ein kleines Dorf in den Bergen. Da gibt es nichts, man kann nichts einkaufen, es gibt keine Arbeit. Wenn überhaupt, kann man einen Job nur in der Hauptstadt Chișinău bekommen, aber nur wenn man Bildung habt. Das haben die wenigsten von uns, wir sind Analphabeten.
Winterabschiebestopp Mitte Dezember 2022 verfügte die Innenverwaltung einen Abschiebestopp bis Ende März 2023. Ausgenommen davon waren „Rückführungen“ in EU-Länder sowie von Straftäter*innen, worunter alle Menschen fallen, die zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurden. Von 1. Dezember bis 31. März wurden 46 moldauische Staatsangehörige abgeschoben.
Ende des Abschiebestopps Im April 2023 wurden 112 Personen mit moldauischer Staatsangehörigkeit abgeschoben, am 10. Mai weitere 45. Aktuellere Zahlen liegen laut Innenverwaltung noch nicht vor. Eine Statistik, wie oft es bei Abschiebungen zu Familientrennungen kommt, wird nicht geführt. (sum)
Ist das der Grund, warum Sie hierher gekommen sind?
Es gibt dort keinen Sinn zu leben. Wir sind gekommen, um eine Perspektive für die Zukunft zu haben, für die Kinder.
Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder?
Dass sie zur Schule gehen, etwas lernen, vielleicht studieren und einen Job bekommen – nicht wie wir.
Haben Sie vorher etwas gehört über Deutschland, wie es Roma aus Moldau hier ergeht?
Es gibt zweierlei Meinungen darüber. Die einen sagen, es ist besser als in den anderen Ländern. Aber viele haben auch gesagt, dass die Abschiebungen sehr brutal sind und man ständig am Rennen ist.
Am Rennen?
Verstecken. Immer wieder schlafen Leute im Park auf einer Bank, weil sie Angst haben, dass nachts die Polizei kommt.
Ihre Schwiegermutter wurde kürzlich abgeschoben. Wie ist das passiert?
Sie hatte am 18. April einen Termin beim LEA, um ihren Ausweis zu verlängern. Das war um 11 Uhr morgens. Sie kam den ganzen Tag nicht zurück. Wir haben auf sie gewartet und versucht sie anzurufen, aber sie ging nicht ran. Wir hatten Sorge, weil sie Diabetes hat, dass sie nichts isst und es ihr schlecht geht. Dann hat sie um 19 Uhr angerufen und gesagt, etwas ist passiert. Wir haben verstanden, dass sie verhaftet wurde.
Wie ging es weiter?
Wir haben die ganze Nacht nichts mehr gehört und auch den ganzen nächsten Tag nicht. Abends gegen 22 Uhr hat mich die Schwiegermutter dann aus Chișinău angerufen und erzählt, was passiert ist. Sie haben sie in eine Art Gefängnis gebracht und ihr das Handy weggenommen. Sie wurde hysterisch, ihr Blutdruck ging hoch, sie hat gefleht, dass sie ihren Sohn anrufen darf, aber sie durfte nicht. Ihr wurde dann noch schlechter, sie war in einem Einzelraum eingesperrt und bekam kaum Luft. Sie konnte nur auf allen vieren zur Tür kriechen und einmal an die Tür klopfen, dann wurde sie ohnmächtig.
Dann wurde ihr geholfen?
Dann kamen Leute, haben einen Notarzt gerufen und sie ins Krankenhaus gebracht. Dort haben sie ihr eine Spritze gegeben, sodass sie zu sich kam, und haben ein EKG gemacht. Aber die Polizei hat gar nicht auf das Ergebnis gewartet. Sie haben ihr erklärt, dass sie nach Hause geschickt würde, und haben sie zurück in die Abschiebehaft gebracht, ihr nicht mal ein Glas Wasser oder Essen angeboten. Am Morgen kam eine Dolmetscherin und fragte sie, ob sie ihre Familie anrufen will. Sie sagte: Natürlich will ich! Die Dolmetscherin tippte auf ihrem Handy herum und sagte dann, da geht keiner ran. Aber das stimmte nicht. Ich hatte die ganze Zeit mein Handy bei mir, ich wartete ja auf ein Lebenszeichen von meiner Schwiegermama. Sie hat nur geweint, fühlte sich völlig machtlos. Der Flug ging dann um 14 Uhr, abends erst konnte sie mich anrufen.
Hatte sie irgendwas dabei?
Nichts. Nur 20 Euro, die Bundespolizei hat ihr noch 25 Euro dazugegeben.
Was macht sie jetzt?
Sie weint jeden Tag, ist ganz alleine. Sie versucht Medikamente zu bekommen. Ich habe ihr meine 300 Euro Erspartes geschickt – ein Mann, der nach Moldau gefahren ist, hat es mitgenommen.
Wo wohnt sie?
Sie ist in unser Dorf zurückgegangen, wohnt in einem Haus, das nicht fertig gebaut ist. Da gibt es einen Ofen, der stark qualmt, wenn sie Essen kocht, sodass sie keine Luft mehr bekommt. An Möbeln gibt es nur ein kleines Sofa, das war es.
Was ist mit der Diabetes?
Deswegen habe ich ihr mein Geld geschickt. Medikamente sind sehr teuer. Der Stress durch die Abschiebung hat verursacht, dass sie einen sehr hohen Blutdruck habt, auch ihr Zucker ist noch höher geworden, sie fühlt sich sehr schlecht.
Wie können Sie mit ihr sprechen?
Sie kann nur anrufen, wenn sie irgendwo ist, wo es Internet gibt. Ich kann sie nicht anrufen.
Hätten Sie vorher gedacht, dass man abgeschoben wird, wenn man aufs Amt geht?
Nein, niemals. Sie sollte ja nur ihre Duldung verlängern.
Was ist mit Ihren Papieren?
Ich mache mir sehr große Sorgen, weil unsere Dokumente auch abgelaufen sind. Beim Landesamt für Flüchtlinge haben sie mir gesagt, wenn ich keine gültigen Papiere habe, bekomme ich kein Geld mehr. Aber was mache ich mit fünf Kindern ohne Geld? Anfang April habe ich einen Termin beim LEA beantragt, aber noch habe ich keine Antwort. Ich habe nur noch 100 Euro übrig.
Haben Sie jetzt Angst, zum Amt zu gehen?
Ja, sehr große. Ich habe Anna gefragt, ob sie mitkommt. Ich gehe davon aus, dass sie von mir verlangen, dass ich die Geburtsurkunde von meinem Neugeborenen vorzeige. Aber um die Geburtsurkunde zu bekommen, muss ich meine Geburtsurkunde und die von meinem Mann vorzeigen – aber die sind in Moldau. Das heißt, ob mein Mann so etwas hat, weiß ich gar nicht. Das Haus von ihm ist auseinandergefallen und da ist nicht mehr viel übrig. Trotzdem möchte das Standesamt dieses Papier haben.
Das ist ja kompliziert.
Ja, und ich muss alles übersetzen lassen. Das kostet Geld, jedes Papier 20 bis 40 Euro, woher soll ich das nehmen? Aber wenn das Kleine keine Papiere hat, bekomme ich vielleicht unsere Papiere nicht mehr verlängert, das macht mir große Angst. Ich weiß nicht, was ich machen kann. Und die Schwiegermutter sitzt alleine in Moldau und hat eine Einreisesperre bekommen.
Würden Sie jetzt auch lieber zurückgehen oder ist es hier für Sie trotzdem noch besser?
Trotz allem ist es hier immer noch besser. Obwohl es bei uns im Heim viele Probleme gibt.
Welche?
Zum Beispiel gibt es seit zwei Monaten keine einzige Dusche auf unserer Etage, die funktioniert. Auch die Küche ist seit zwei Monaten zu, ich muss zwei Etagen höher kochen gehen und die Kinder im Zimmer alleine lassen.
Kann man sich beschweren?
Ja, kannst du, aber nichts passiert.
Wissen Sie, dass es eine unabhängige Beschwerdestelle gibt für Fälle wie diesen?
Nein, wusste ich nicht. Aber das wird auch nichts helfen.
Was sagen die Sozialarbeiter in Ihrem Heim?
Die tun nichts für Roma. Die haben mir auch nicht erzählt, dass es Alphabetisierungskurse gibt, wo man Deutsch lernt und Lesen und Schreiben – das weiß ich erst, seit Anna kommt. Die Mitarbeiter im Heim wollen keine Zeit mit uns Roma verlieren, ich glaube, weil sie wissen, dass wir jederzeit abgeschoben werden können.
Anna: Hier muss ich etwas erzählen. Maria ist mal zu den Sozialarbeitern gegangen, damit sie ihr helfen, einen Termin beim Sozialamt zu machen. Sie haben sich geweigert. Dann hat sie mich geholt, wir sind zusammen hingegangen – und auf einmal ging es doch.
Maria C.: Manche Mitarbeiter schreien einen an. Ich will keine schlechten Worte sagen, aber die kommen so nah an mein Gesicht (zeigt mit der Hand kurz vor ihre Nasenspitze) und fragen: Was willst du? Du frierst ein vor Angst, so schreien sie. Zum Glück haben wir eine sehr gute neue Heimleiterin, sie spricht Russisch. Die anderen Mitarbeiter helfen immer nur den Leuten, deren Sprache sie sprechen – meistens Persisch oder Arabisch. Sie behandeln uns Roma-Leute ganz schlecht. Zum Glück gibt es das Bare-Projekt. Ich glaube, die neue Heimleitung hat verstanden, dass wir Hilfe brauchen und jemanden, der Russisch spricht. Wir waren eingesperrt wie Sklaven, und jetzt hat man die Tore aufgemacht und wir haben die Welt gesehen.
Eingesperrt?
Ja, wirklich. Um 22 Uhr müssen wir alle in unseren Zimmern sein. Um 20 Uhr müssen die Kinder im Zimmer sein, auch meine 16-Jährige. Ich koche den ganzen Tag, putze und mache, da möchte ich abends mal draußen sitzen und mit anderen quatschen. Nein, das geht nicht. Und wenn die Polizei kommt, um jemanden abzuschieben, dürfen wir die Zimmer natürlich auch nicht verlassen.
Wann waren die das letzte Mal hier?
Vor zwei Tagen haben sie Georgier geholt. Die Polizei ist mit Hunden durch die Zimmer gegangen. Sie haben bei einer Familie nur den Mann angetroffen, Frau und Kinder waren nicht da. Da haben sie aus dem Schrank Kleidung geholt und die Hunde daran schnuppern lassen und so nach ihnen gesucht.
Haben sie sie gefunden?
Nicht mit den Hunden. Sie haben die Frau dann angerufen, sie ist gekommen und wurde mitgenommen.
Passiert das oft?
Das mit den Hunden war zum ersten Mal. Aber ohne Hunde fast jeden Tag beziehungsweise Nacht. Jede Nationalität wird jede Woche abgeschoben, irgendwer ist immer dran. Wenn Roma aus Moldau abgeschoben werden sollen, gehen sie durch alle Zimmer der Roma. Die Sicherheitsleute kooperieren auch mit der Polizei und sagen, wer befreundet ist. Dann gehen sie auch dort gucken, wenn sie die Leute nicht auf ihren Zimmern finden.
Mitten in der Nacht?
Ja, sie kommen immer um ein Uhr nachts oder später. Oft um vier, fünf morgens, manchmal morgens um acht. Die Kinder haben Angst. „Mama, Mama, Polizei“, rufen sie. Es ist sehr laut. Da kommen zehn Leute mit schweren Waffen. Sind wir Verbrecher? Vor allem die weiblichen Polizisten sind laut, schreien, packen dich am Arm. Man darf nichts einpacken, sie lassen einem keine Zeit. Auch bei meiner Schwiegermutter war es so. Alle ihre Papiere, ihre Kleidung, ihre Krankenunterlagen sind noch im Heim. Ich weiß nicht, was damit passiert, wahrscheinlich schmeißen sie es weg. Als sie bei der Polizei war, hat sie gesagt, wenn ihr mir nicht glaubt, dass ich krank bin, fahrt doch mit mir ins Heim, da habe ich meine Unterlagen. Sie haben nur gelacht und gesagt, du kannst in Moldau zum Arzt gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels