Umgang mit Mittelmeer-Flüchtlingen: Italien bleibt allein
Libyen soll mehr Geld für den Grenzschutz erhalten. Und Italien für die Flüchtlingsaufnahme. Was Italien wirklich will, ist Solidarität.
![Migranten sitzen in einem überfüllten Schlauchboot auf dem Mittelmeer. Helfer von Hilfsorganisationen nähern sich ihnen und verteilen Schwimmwesten Migranten sitzen in einem überfüllten Schlauchboot auf dem Mittelmeer. Helfer von Hilfsorganisationen nähern sich ihnen und verteilen Schwimmwesten](https://taz.de/picture/2111124/14/fluechtlinge.jpeg)
Drei Bedingungen will Italien erfüllt sehen, wenn es auf diese Maßnahme verzichten soll. Erstens soll die EU die Aktivitäten der Rettungsschiffe mit einem Verhaltenskodex reglementieren. Dazu gehört die Kontrolle über die Finanzen der NGOs und über die an Bord ihrer Schiffe präsenten Besatzungen, die bindende Vorschrift, deutlich außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer zu operieren, ebenso wie die Verpflichtung, auf das Abschalten der Transponder, die die Lokalisierung der Schiffe erlauben, zu verzichten.
Zweitens soll die EU der libyschen Regierung deutlich stärker unter die Arme greifen. Ein weiterer Ausbau der libyschen Küstenwache müsse ebenso finanziert werden wie die Schaffung eines funktionierenden Grenzkontrollsystems an Libyens Südgrenze. Als Partner gilt dabei die Regierung unter Fajes al-Sarradsch in Tripolis, auch wenn sie gerade mal die Hauptstadt unter Kontrolle hat.
Drittens schließlich sollen andere EU-Staaten deutlich mehr Flüchtlinge aus Italien aufnehmen. Auch die Forderung, Schiffe mit Flüchtlingen sollten direkt Häfen in Frankreich oder Spanien ansteuern, brachte Italien ins Spiel.
Das Nein aus Paris und Madrid kam umgehend. Und die EU tut sich auch diesmal schwer mit einer Antwort auf die Krise. Allerdings gab es bereits am Sonntag eine deutsch-französische Krisensitzung. Die EU-Kommission hat zudem einen Aktionsplan vorgelegt. Er sieht vor, dass die EU den Behörden in Libyen noch stärker unter die Arme greift.
Seenotrettungszentrum in Libyen
In Brüssel erwägt man, in Seenot geratene Flüchtlinge künftig nicht mehr nach Italien, sondern zurück nach Libyen zu bringen. Zu diesem Zweck hat die Kommission vorgeschlagen, die Einrichtung eines sogenannten Seenotrettungszentrums in Libyen zu unterstützen. Die EU-Kommission liefert zusätzlich zwar verbalen Beistand für Rom – Jean-Claude Juncker nannte Italien und Griechenland gar „heroisch“ –, doch statt konkreter Angebote gab es vor allem neue Forderungen.
Gewiss, Italien soll weitere 35 Millionen Euro aus EU-Töpfen für die Flüchtlingsaufnahme erhalten. Gewiss, die Regierungen der anderen EU-Staaten werden wieder einmal aufgefordert, Italien mehr Flüchtlinge abzunehmen. Gewiss, Libyen soll 45 Millionen Euro aus der EU-Kasse erhalten, um seine Grenzkontrollen zu verbessern.
Doch im Gegenzug soll Italien weitere 3.000 Plätze in den Registrierungszentren für die Flüchtlinge schaffen und die Asylverfahren ebenso wie die Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber beschleunigen. Im Kern wird sich mithin nichts daran ändern, dass die in Italien ankommenden Flüchtlinge weitgehend Italiens Angelegenheit bleiben.
Am Donnerstag wollen sich die EU-Innenminister bei ihrem informellen Treffen in Tallinn mit der Krise befassen. Ein Durchbruch wird jedoch nicht erwartet. Die Osteuropäer weigern sich weiter beharrlich, Flüchtlinge aus Italien oder Griechenland aufzunehmen. Das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren hat die Fronten eher noch verhärtet.
Auch Berlin und Paris, die sich gern als Freunde und Anwälte Italiens präsentieren, haben bisher keine neuen Angebote zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge gemacht. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans betonte zwar, Italiens Forderungen seien „völlig gerechtfertigt“. Doch auf Timmermans hört kaum noch jemand. Die Wunden der Flüchtlingskrise von 2015 sind noch längst nicht verheilt.
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