Umgang in den sozialen Medien: Der Ton erschöpft

Viele haben Angst, wegen Fehlern diskreditiert zu werden. Dabei sollten gerade jene, die gemeinsame Ziele haben, einander konstruktiv begegnen.

Illustration von Wesen mit offenem Mund

Wann ist es okay geworden, unter dem Deckmantel „Kritik“ ein Arschloch zu sein? Foto: getty

Ich bin eine Frau, die Diskriminierung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt, auf Social Media aktiv ist und stark darauf achtet, niemanden zu diskriminieren und sich dabei selber reflektiert – also die perfekte Voraussetzung, um von Menschen, die für Ähnliches einstehen wie ich, geoutcallt oder gar gecancelt zu werden. Sobald man mit Themen, mit denen man diese Gesellschaft etwas besser machen will, etwas „Berühmtheit“ auf Social Media erlangt, muss vor allem frau damit rechnen, geshitstormt zu werden.

Ich kommentiere deshalb auf Twitter so gut wie nichts und poste selber hauptsächlich Belangloses. Trotzdem erreicht mich täglich die Information von Fremden, dass sie mich scheiße finden, noch sind es hauptsächlich Menschen, deren Werte ich ohnehin nicht teile, das kann ich verkraften. Von Menschen, die einem ähneln, die auch gegen Diskriminierung kämpfen, diskreditiert zu werden, ist die große Angst – zu oft habe ich das bei anderen beobachtet.

Ich dachte lange, es läge an Twitter, und bin seit August auf Instagram geflüchtet. Ich habe mein privates Profil öffentlich gestellt und seit einer Woche mit die_chefredaktion einen journalistischen Instagram-Kanal für junge Menschen gestartet, der den Anspruch auf Diversität hat. Die Redaktion steht nicht und ist noch nicht zwei Wochen alt und schon muss sie sich rechtfertigen, wieso der Name nicht gegendert ist (wollen den Begriff „Chefredaktion“ enteignen und neu besetzen), wieso keine Untertitel (arbeiten daran, ist für Insta-Storys nicht so einfach).

Die Etablierten freuen sich

Auch wenn die Kritik berechtigt ist – sie erschöpft in dem Ton, in dem sie formuliert wird: „Euch scheint Gleichberechtigung scheißegal zu sein, sehr heuchlerisch“. Meine noch nicht etablierten Kol­le­g:in­nen äußern immer öfter ihre Angst davor, einmal gecancelt zu werden, obwohl sie fast schon pedantisch darauf achten, alles richtig zu machen.

In manchen großen Redaktionen lachen sich ältere etablierte Kolleg:innen, die nicht annähernd so sensibel für diese wichtigen Themen sind, ins Fäustchen, dass alle, die versuchen, es besser zu machen, es trotzdem niemandem recht machen können – sie fühlen sich bestätigt, alles beim Alten zu lassen.

Das soll kein Freifahrtschein sein, diskriminierenden Müll zu posten und sich dann bei berechtigter Kritik über das Canceln zu beschweren (zwei kritische Kommentare sind kein Canceln by the way). Ich meine auch kein Lisa-Eckhart-Canceln, das zu mehr verkauften Büchern führt. Ich meine das An-den-Pranger-Stellen von hauptsächlich auf Social Media bekannten jungen Frauen, die versuchen, die Welt etwas besser zu machen und dabei vielleicht einmal etwas übersehen, jemanden unabsichtlich ausschließen und die, wenn man ihnen das sachlich schreiben würde, das einsehen würden.

Aber wann ist es okay geworden, unter dem Deckmantel „Kritik“ ein Arschloch zu sein?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.