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Umbau der Schulen in der TürkeiMohammed statt Atatürk

Erdoğan setzt den Umbau der Türkei fort. An Schulen gilt künftig ein Lehrplan, der Kinder zu „nationalbewussten, gläubigen Patrioten“ heranziehen soll.

Schü­le­r:in­nen in Istanbul Foto: Ozan Kose/afp

Istanbul taz | In diesen Wochen beginnt in der Türkei nach der dreimonatigen Sommerpause überall im Land wieder die Schule. In einigen Klassen werden sich die Schülerinnen und Schüler aber mit einem ganz neuen Lehrplan konfrontiert sehen.

Seit Beginn des Schuljahres wird in der ersten Klasse, der fünften Klasse und der neunten Klasse quasi in einem landesweiten Feldversuch ein neuer Lehrplan getestet, der nichts weniger sein soll als ein „Bildungsmodell des türkischen Jahrhunderts“. Dieser neue Lehrplan soll neben praktischen Veränderungen vor allem die Jugend erziehen, und zwar zu „nationalbewussten, gläubigen Patrioten“, die „fleißig, bescheiden und familienbewusst“ sein sollen. Ausgerufen hat das türkische Jahrhundert vor einem Jahr Präsident Recep Tayyip Erdoğan anlässlich des 100. Jahrestags der Republikgründung am 29. Oktober 2023.

Entsprechend werden neue Lehrinhalte eingefügt und andere gekürzt oder ganz weggelassen. Religiöse Unterrichtung, die Geschichte des Türkentums und des Islam sowie die Worte des Propheten werden laut Bildungsministerium einen größeren Umfang als naturwissenschaftliche Fächer bekommen.

Die Geschichte der Republik hat das Ministerium dagegen zusammengestutzt, Mustafa Kemal Atatürk soll kaum noch vorkommen. Die Evolutionstheorie stellen die neuen Lehrinhalte zugunsten der göttlichen Schöpfung als Irrlehre dar oder sie wird gar nicht mehr unterrichtet. Um den SchülerInnen den neuen Lehrplan schmackhaft zu machen, werden die Anforderungen in Mathematik gesenkt und der Prüfungsdruck soll insgesamt reduziert werden.

Kampf um die Köpfe

Schon vor 15 Jahren hatte der heutige Präsident und damalige Ministerpräsident Erdoğan postuliert, unter seiner Regierung werde eine neue gläubige Generation heranwachsen. Da dies bislang nicht gelungen ist, will die regierende AKP jetzt noch einmal nachlegen.

Der Kampf um die Köpfe der Kinder wird von Erdoğan schon länger forciert. Bis in die nuller Jahre war das türkische Bildungssystem an säkularen europäischen Vorbildern orientiert. Da die staatlichen Schulen damals noch von republikanischen Lehrkräften dominiert waren, setzte die AKP darauf, parallel religiöse Schulen aufzuwerten. Die sogenannten Imam-Hatip-Schulen, ursprünglich Berufsschulen für Prediger, wurden zu Vollschulen hochgestuft. Ihre AbsolventInnen erhielten eine allgemeine Zugangsberechtigung zur Universität.

Die AKP steckte viel Geld in die Imam-Hatip-Schulen, wo der Unterricht geschlechtergetrennt stattfindet und die religiöse Erziehung viel Platz einnimmt. Doch der Andrang blieb geringer als erwartet. Die meisten Eltern wollten ihre Kinder lieber auf einer normalen staatlichen Schule anmelden.

Deshalb soll jetzt das gesamte staatliche Bildungssystem reformiert und nach den religiösen und ideologischen Vorstellungen der AKP umgeformt werden. Eine Voraussetzung dafür schuf Erdoğan 2016, als er AKP-kritische LehrerInnen im Zuge des erklärten Notstands nach dem Putschversuch 2016 suspendierte. Heute werden LehramtsanwärterInnen nicht nur auf ihre fachliche, sondern auch auf ihre politische „Eignung“ überprüft.

Ärmere Familien als Zielgruppe

Vom säkularen Teil der Gesellschaft kommt herbe Kritik an Erdoğans Schulplänen. Der Vorsitzende der linken Lehrergewerkschaft Eğetim-Sen, Kemal Irmak, schrieb in einem Rundbrief an die Gewerkschaftsmitglieder: „Das Türkische-Jahrhundert-Bildungsmodell (…) ist nichts anderes als die Rückkehr zur Kirchen- und Koranschulen-Erziehung des letzten Jahrhunderts.“ Mit dem von religiösen Stiftungen und Verbänden erstellten Programmen entferne sich das Bildungssystem rasch von den grundlegendsten wissenschaftlichen Prinzipien und einem säkularen Bildungsverständnis, schrieb er weiter.

Die Opposition befürchtet, dass Bildungsminister Yusuf Tekin sich von religiösen Sekten maßgeblich hat beraten lassen. So sagte der Vize­vorsitzende des oppositionellen CHP, Suat Özcagdas, das neue Curriculum sei „unserem Land aufoktroyiert worden von Sekten und islamischen Gemeinden, die im Gewand von NGOs ihre religiösen und nicht zeitgemäßen Vorstellungen in den neuen Lehrplänen verwirklicht haben“.

Dafür spricht, dass Präsident Erdoğan den ihm nahestehenden islamischen Sekten immer mehr Geld und Gestaltungsspielraum gerade im Erziehungs- und Bildungsbereich zuspielt. Die religiösen Organisationen betreiben oft Internate, die vor allem Kinder aus ärmeren Familien besuchen.

Die Rückabwicklung der modernen säkularen Türkei hin zu den angeblichen Idealen des Islam und des Osmanischen Reiches hat Erdoğan nie aus den Augen verloren. Für die Zukunft löst das bei vielen säkular orientierten Bürgern große Ängste aus.

Der Chefredakteur des kleinen oppositionellen TV-Kanals Tele 1, Merdar Yanardağ, sagte in einem Kommentar: „Kein Land ist mit einer religiösen Erziehung vorangekommen, das kann man sich im gesamten Nahen Osten anschauen.“ Viele Eltern, die diese Meinung teilen und ihre Kinder dem staatlichen Bildungssystem nicht mehr aussetzen wollen, bleibt nun nur noch der Weg zu den Privatschulen. Doch die sind teuer, und nur wenige können sich diesen Ausweg leisten.

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25 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Wie immer bei vom Klerus unterstützten Diktaturen:



    "Halt Du sie dumm, ich halt sie arm".

  • Ab zurück ins Mittelalter.



    Bildung und Offenheit werden abgeschafft zugunsten der (überflüssigen) Religion.

    So kann es nur noch (weiter) abwärts gehen mit der Türkei.Mir tun die Menschen dort leid. Jetzt werden mehrere Generationen verdorben, bevor jemand diese "tollen Verbesserungen" wieder abschafft.

  • Naturwissenschaften runter und Religion rauf. So führt man ein Land in die Vergangenheit.

    Nun muss Erdogan nur noch erklären, wie er die angestrebte technische Führung in der muslimischen Welt erreichen will. Moderne Technik herbeibeten?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Militärtechnisch ist die Türkei durchaus weltmarktfähig.

  • Unverändert wahr ist: Die Erde ist eine Scheibe.

    Erdogan wird den Menschen in der Türkei klar machen, dass es dagegen nicht wahr ist, dass beim Check des hiesigen Universums, der zumindest zu 90 Prozent abgeschlossen ist, Gott - ob er oder sie - noch nicht gesichtet wurde. Dürfte auch schwierig sein, denn allein unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße ist eine einfache durchschnittliche Spiralgalaxie mit 250 Milliarden Sternen (wie beispielsweise die Sonne) und Billionen Planeten. Von der Erde aus lassen sich mit aktueller Technik mehr als 50 Milliarden Galaxien beobachten. Die Forschung geht davon aus, dass sich im beobachtbaren Universum circa 1,5 Billionen Galaxien befinden. Ein paar Billionen Lichtjahre weiter haben wir vielleicht Billionen von Universen, vielleicht billionenfach größer.

    Erdogan zieht seine bewährte Strategie weiter durch: Religion und Nationalismus für die Armen, Geld und wissenschaftliche Bildung (die holt man sich im Ausland) für die Reichen.

    Wie wir alle wissen, Glauben ist "Nicht Wissen".

    Lässt sich auch auf Erdogans Wirtschaftspolitik übertragen.

    Alles Gute für die Menschen in der Türkei, insbesondere Frauen und Kinder tun mir leid.

  • Was auch immer "Türkentum" sein soll oder "der" Islam ...

    Nationalismus europäischen Ursprungs statt des für damals sehr minderheitstoleranten osmanischen Ansatzes ist keine gute Idee, auch nicht, wenn man eine seltsame Variante des Islams dazumischt.

    • @Janix:

      Die religiös-ethnische Toleranz in den muslimischen Staaten wird gerne überschätzt.

      Tatsächlich waren alle muslimischen Reiche von erheblicher ethnischer (tw. tribaler!) Klientelwirtschaft geprägt, die massiv diskriminierte. Pogrome wie in Europa gab es dort genauso.

      Die Osmanen hatten mit der Knabenlese, oder generell mit ihrer extensiven Sklaverei, zudem ganz eigene Formen rassistischer Gewalt, die man nicht romantisieren sollte.

  • Bravo, so wird die Jugend fit für die Zukunft gemacht, aber eben nur in der Türkei.



    Eltern mit Geld und/oder Hirn werden auswandern und ihren Kindern eine demokratische Erziehung angedeihen lassen.

    • @Tino Winkler:

      Sonstige Deutsche sollten Deutsche mit türkischem Hintergrund nicht diskriminieren oder in die Schublade stopfen, sondern umgekehrt um die Jugend von Istanbul werben.



      Konservative Fundis sind nicht gut für ihr Land.

  • “Erdoğan setzt den Umbau der Türkei fort. An Schulen gilt künftig ein Lehrplan, der Kinder zu „nationalbewussten, gläubigen Patrioten“ heranziehen soll.“

    Erinner mich - Achmed ein Druse!



    “Klar - beim Militär - wir unsichere Kantonisten: Auf einen Hügel laufen!



    Haltung annehmen & mit permanent - “Ich bin stolz ein Türke zu sein!“ wieder runterlaufen!“

    kurz - Der Phantasie Hirnrissiger -



    Sind keine Grenzen gesetzt •



    Aber Schland schleimt sich ein!



    Es ist schlicht zum heulen - Herr Klingbeil! Newahr



    Normal!



    (Gesprächsstoff für meine nächste ☕️☕️



    Runde. Nur Nay-spielen🪈 - da muß ich wohl noch was warten!;)

    • @Lowandorder:

      Könnten Sie Ihre Beiträge ausnahmsweise mal so formulieren, dass man sie auch ohne ein intensives Studium des Dadaismus versteht?



      Vielen Dank.

      • @Olli P.:

        Olli - (Wiglaf Droste) wo klemmts?

        Druse?“Die Drusen sind eine Religionsgemeinschaft im Nahen Osten. Weltweit gibt es etwa eine Million, von denen die Mehrheit in Syrien, Israel, Jordanien und im Libanon lebt. Sie selbst bezeichnen sich als „al-Muwahhidun“, also Monotheisten, die an die Einzigartigkeit von Gott glauben.“



        & vllt Nay-Flöte ?



        “Nay, auch ney, nai und nej (persisch نِی, DMG ney, ‚Rohr, Rohrflöte; Schilf‘, und arabisch ناي, DMG nāy ‚Flöte‘), bezeichnet eine Gruppe von Endkantenflöten ohne Mundstück. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem beidseitig offenen Rohr des Pfahlrohrs (botanische Bezeichnung Arundo donax L.) und werden als Längsflöte in der arabischen, türkischen, persischen und zentralasiatischen Musik gespielt. In einigen dieser Musiktraditionen sind ney die einzigen Blasinstrumente. Sie werden nachweisbar seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. gespielt.“



        &



        Sach mal so: “Kauf sie!“;) mein da 12jähriger - als ich als als ausgewiesener Bläser Multiinstrumemtalist nach ner 1/4 Stunde immer noch keinen Ton raushatte! I do - but über wischtöne noch immer nicht hinaus!;))



        www.youtube.com/wa...p=ygUJbmF5IG11c2lr - frauman beachte den 🪈👄Ansatz!;)(

  • Klingt gestrig, aber etwas davon würde auch uns bekommen

    • @Schö51:

      Wie meinen?



      Zu oft die Ergüsse der Frau Storch verfolgt?



      Wir brauchen keinen nationalistischen Klimbim und keinen Chrsitlichen Talibanstaat.

      • @The Calif:

        Ich habe ja im Prinzip nichs dagegen würden wir Deutschen jeder Form von Patriotismus abschwören und das Ende des Nationalstaates einleiten. Dies funktioniert aber nicht wenn nur Deutschland das macht und andere Nationen gleichzeitig wieder zum Imperialismus zurückkehren.

        • @Suchender:

          Schonn! But

          Muß ja nich all wedder wesen -



          Am Deutschen gleich die ganze Welt genesen!



          Will ja nich gleich klagen!



          Aber mit Willy “Mehr Anti-Impi!



          - Wagen!“ Woll



          Das wäre - statt ehrs gleich die Flinte ins Korn werfen - doch echt toll!



          Das würd nicht nur mich echt schärfen •

  • Gleichzeitig steigt die Abwanderung gut ausgebildeter junger Menschen immer weiter an.

    Ich hatte vor ein paar Monaten eine Veranstaltung in Istanbul, bei der es im Rahmen eines Kooperationsprojektes aus besseren Zeiten um Fachkräfterekrutierung ging. Wir hatten aus einer früheren Veranstaltung heraus mit ca. 20 Teilnehmern gerechnet. Es kamen 300 Personen quer durch das gesamte akademische Spektrum. Vom Prädikatsexamenabschluss in IT bis hin zum Professor, der nach Erdogans Aufräumen in der Öffentlichen Verwaltung keine Chancen mehr in der Türkei hat und seitdem ein Restaurant betreibt.

    Auch spannend, dass mein türkischer Bekannter grundsätzlich Taxis als "Uwe" bestellt. Die Taxifahrer kommen bei Einheimischen erst gar nicht, weil die nur den Standardpreis zahlen. Bei Ausländern wird sowieso verdoppelt.

    Resignation ist allerorten spürbar: Erdogan ist Populist und kann auf den Nationalismus setzen. Wer gegen ihn ist, hat ein Problem. Justiz, Bildung und Polizei ist mit seinen Leuten besetzt.

    • @Heike 1975:

      Danke - entspricht dem Tenor meiner ☕️☕️ Runden - auch in Türkisch Sektor;) Ihrrenfeld & zB dem multikulti Gymnasium Kreuzgasse - wenige 🥔🥔



      & dem Snack Nähe Berufskolleg etc



      (🚖 - sojet wäre in Kölle absolutes



      No Go!;) als Taxi-Altgeselle => heiteres Landsmannraten!;)) the whole world - unlängst Nachhilfe in Kontingent & Kaukasus •

  • So sieht eine islamische Gesellschaft aus. Es ist in der Türkei die Konsequenz aus, auch hier bejubelten, Entmachtung des Militärs.

    Deutschland ist von dieser Entwicklung auch betroffen, das betrifft die Moscheen und Kulturvereine, die eine sehr starke Verbindung, auch finanzieller Natur, mit der Türkei haben, die türkischen Medien und die Identifikation der jüngeren Generation.

    Eine weitere Konsequenz wird die Zunahme an Asylgesuchen sein, wer auf der Negativliste Erdogans steht, die immer länger wird, versucht zu entkommen und das mit Recht.



    Für mehr Informationen



    seyranates.de/

    • @Octarine:

      Die Militärdiktaturen der Vergangenheit haben auch nicht gerade zur Demokratisierung beigetragen, sondern eher autokratische Strukturen gefestigt, an die Erdo ja erfolgreich angeknüpft hat.



      Das die AKP Diyanet/Ditib anders als die säkularen Regierungen nicht mehr zur Kontrolle der religiösen Fanatiker, sondern für deren Unterstützung nutzt ist ja jetzt nicht neu.

    • @Octarine:

      Ja, hier, insbesondere auf der linken Seite, weiß kaum einer, dass das türkische Militär Hüter der Republik und des säkularen Staates war und immer eingriff, um die Republik insbesondere gegen Despotismus und religiösem Wahn zu schützen.

      Deswegen endete die Militärherrschaft auch ohne Revolution.

  • In den Abgrund.

    • @MeineMeinungX:

      Wenn man die Rechten hier machen lässt, dann geht das bei uns genauso, ob mit Union und "christlichen Werten", mit AgD und "germanischen Tugenden" oder BSW als "putinistisch orthodoxe Westprovinz".

  • Gute Nacht Türkei. Traurig für die vielen säkularem Türken die es (noch) gibt und eine gruselige Aussicht in die Zukunft. Umso wichtiger ist es Erdogans Einfluss auf die hier lebende türkische Gemeinde klar zu beschneiden. Eine Türkei unter Erdogan will offensichtlich zurück ins Mittelalter; diesen Weg soll sie bitte alleine gehen.