Ukrainischer Präsident in Brüssel: Empfangen wie ein Held
Selenski wird bei seinem Besuch im EU-Parlament gefeiert. Und Meloni ist sauer, weil Macron sie nicht zum Essen eingeladen hat.
Doch statt Solidarität gab es erst mal Stunk. Italiens stramm rechte Regierungschefin Giorgia Meloni war sauer, weil Macron nur den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz zum Diner in Paris eingeladen hatte, sie aber nicht. Das sei „unangebracht“, schimpfte Meloni bei ihrer Ankunft zum EU-Gipfel. Es könne der gemeinsamen europäischen Sache schaden.
Bei dem bis kurz vor Beginn geheimgehaltenen Treffen in Paris am späten Mittwochabend waren Scholz und Macron gemeinsam als Gastgeber aufgetreten und hatten so ihre Solidarität mit der Ukraine demonstriert. „Russland kann und darf nicht gewinnen“, hatten beide betont.
Gerangel im Parlament – alle wollten dabei sein
Meloni war mit ihrem Frust über die deutsch-französische Geste nicht allein. Alle wollten dabei sein, wollten sich im Licht des ukrainischen Kriegsherren sonnen. Sogar im Europaparlament gab es Gerangel. Warschaus Bürgermeister Rafał Kazimierz Trzaskowski, zu einem anderen Termin in Brüssel, ergatterte in letzter Minute einen Platz.
Als Selenski dann endlich im Plenarsaal des Parlaments eintraf, war der Ärger schnell verpufft. Die Abgeordneten sprangen von ihren Sitzen, Beifall brandete auf. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, die im April 2022 als erste EU-Politikerin ins damals umkämpfte Kyjiw gefahren war, strahlte: „Dies ist ein historischer Tag.“
Die EU-Staaten müssten nun auch die „Langstreckensysteme und Kampfjets“ liefern, forderte sie. Der EU-Beitritt müsse schnellstmöglich erfolgen. Kein Abgeordneter widersprach. Dabei sind die Forderungen Selenskis nicht nur in Deutschland umstritten. Die EU könnte zur Kriegspartei werden, fürchten viele Menschen in Europa.
Präsident spricht von „historischem Kampf“
Selenski bemühte sich nicht, die Bedenken zu zerstreuen. Für ihn gibt es keinen Unterschied zwischen der Ukraine und der EU mehr. „Dies ist unser Europa, die EU ist unsere Heimat, der Beitritt ist der Weg nach Hause“, erklärte er. „Nur unser Sieg wird den Erhalt unserer europäischen Werte garantieren.“ Gemeinsam müsse man den „historischen Kampf“ gegen Russland zu Ende führen.
Wieder Beifall. Die ukrainische Nationalhymne erklang, dann die Europahymne. Danach ging es weiter ins Ratsgebäude, wo der EU-Gipfel tagte. Auch hier wurde Selenski wie ein Held empfangen. Kurz nach Beginn des Kriegs hatte er aus einem Bunker zu den 27 EU-Chefs gesprochen, unter Lebensgefahr. Nun war er endlich mitten unter ihnen.
Seinen ersten persönlichen Auftritt in Brüssel nutzte der 45-Jährige im Militärdress wie erwartet, um mehr Waffen zu fordern. Er brauche „wirklich Munition, moderne Panzer, Langstreckenraketen und Kampfflugzeuge“, sagte Selenski in seiner Rede vor den EU-Chefs. „Wir müssen schneller sein als der Angreifer“, ermahnte er die Mitgliedstaaten.
Selenski sieht Bewegung beim Thema Waffenlieferung
Ähnlich hatte er sich schon beim EU-Ukraine-Gipfel vor einer Woche in Kiew geäußert – bislang erfolglos. Frankreich hat immer noch keine Panzer zugesagt, Deutschland will keine Kampfflugzeuge liefern. Auch in Brüssel gab es keine neuen Zusagen. Kein Wunder: Der EU-Gipfel kann keine neuen Waffenlieferungen beschließen. Das ist kein EU-Thema, sondern eine souveräne nationale Entscheidung.
Immerhin scheinen sich nun doch noch einige EU-Staaten zu bewegen. „Ich habe von einer Reihe europäischer Staats- und Regierungschefs gehört, dass sie bereit sind, uns die nötigen Waffen und Unterstützung zu geben, einschließlich Flugzeuge“, sagte Selenski. Die Details werde er jetzt in bilateralen Gesprächen klären.
Wenn dabei Zusagen kommen sollten, hätte sich der Besuch in Brüssel für Selenski gelohnt. Für die EU hingegen hinterlässt das Spitzentreffen gemischte Gefühle. Italien, Deutschland und Frankreich sind aneinander geraten, die Fassade der Einheit bröckelt. Neue Beschlüsse zur Ukraine wurden nicht gefasst.
Und die Sorgen vieler Bürger spielten keine Rolle. Sie müssen sich mit einem Zehn-Punkte-Plan für den Frieden zufrieden geben, den die EU gemeinsam mit der Ukraine ausarbeiten will. Was die „Friedensformel“ beinhalten soll, ist noch offen. Auch darüber gehen die Meinungen in den EU-Staaten weit auseinander.
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