piwik no script img

Ukrainische Halbinsel KrimBewaffnete besetzen Parlament

Unruhen auf der Krim: Bewaffnete Unbekannte haben offenbar Regierungsgebäude besetzt. Derweil bieten die USA der Ukraine eine Kreditbürgschaft an.

Nicht ruhig ist es auf der Krim – Simferopol am Mittwoch Bild: reuters

SIMFEROPOL dpa/afp/ap | Auf der ukrainischen Halbinsel Krim haben bewaffnete Unbekannte die Gebäude von Parlament und Regionalregierung besetzt. Die etwa 30 Männer hätten mit Schnellfeuergewehren das Glas der Eingangstüren zerschossen und sich Zugang verschafft, sagte ein Behördenmitarbeiter am Donnerstag der Agentur Interfax zufolge in Simferopol. Die ukrainische Polizei ist daraufhin in Alarmbereitschaft versetzt worden, gab der kommissarische Innenminister Arsen Awakow bekannt.

Die Gruppe bezeichnet sich angeblich als Selbstverteidiger der russischsprachigen Bevölkerung der Krim. Ein Sprecher der Krimtataren teilte mit, die Männer würden Uniformen ohne nähere Kennung tragen. Es gebe zunächst keine Forderungen.

Der Eingang des Parlaments sei mit einer Barrikade aus Holz und Abfalltonnen versperrt, hieß es. Am Sitz des Ministerrats wurden zahlreiche Sicherheitskräfte zusammengezogen. „Die Behörden wollen schnell klären, wer die Besetzer sind und was sie wollen“, sagte der Abgeordnete Andrej Sentschenko von der Partei der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Der Verwaltung zufolge hält sich wegen eines arbeitsfreien Tages kein Angestellter im Parlament auf. Augenzeugen berichteten, auf den Gebäuden wehe die russische Fahne.

Die Mehrheit der Krim-Bewohner sind ethnische Russen. Der Hafen Sewastopol ist Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Am Vortag war es vor dem Regionalparlament in Simferopol zwischen Befürwortern und Gegnern einer Annäherung an Russland zu Zusammenstößen gekommen. Dabei waren mindestens 30 Menschen verletzt worden, einige davon mussten im Krankenhaus behandelt werden. Zwei Männer starben, einer davon an einem Herzinfarkt. Angesichts zunehmender Proteste auf der Krim hat Russland den Schutz seiner Schwarzmeerflotte verstärkt.

Jazenjuk soll bestätigt werden

Das Parlament in Kiew soll derweil am Donnerstag den Politiker Arseni Jazenjuk als Interims-Regierungschef wählen. Der 39-Jährige ist eine Schlüsselfigur der Protestbewegung in der Ukraine. Die Abstimmung über das neue Kabinett gilt als weiterer Schritt zu einer Beruhigung der Lage in der Ex-Sowjetrepublik.

Die Personalien hatte der sogenannte Maidan-Rat der Demonstranten am Unabhängigkeitsplatz in Kiew am Mittwochabend vorgeschlagen. Die prominenten Politiker Julia Timoschenko und Vitali Klitschko standen hingegen nicht auf der Kabinettsliste.

Unterdessen haben die USA der Ukraine am Mittwochabend eine Kreditbürgschaft von einer Milliarde US-Dollar (727 Millionen Euro) zugesagt. „Wir schnüren erst mal eine Garantie von einer Milliarde Dollar, zusammen mit einigen weiteren Elementen“, sagte US-Außenminister John Kerry am Mittwoch vor Reportern in Washington. Die EU bereitet nach seinen Worten Kreditbürgschaften in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar für die frühere Sowjetrepublik vor.

Kerry formulierte das erste konkrete Hilfsangebot, seit das Parlament in Kiew den bisherigen prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch am Samstag abgesetzt hatte. Nach den monatelangen Massenprotesten ist die Ukraine in akuter Finanznot. Russland hatte Kiew zwar Notkredite von 15 Milliarden Dollar (knapp 11 Milliarden Euro) zugesagt. Doch nach einer ersten Auszahlung legte Moskau die weiteren Tranchen angesichts der dramatischen Entwicklungen in der Ukraine auf Eis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • HS
    Hari Seldon

    Der Titel des Artikels: "Bewaffnete besetzen Parlament". Und wie war der Titel wenn die bewaffneten Nazihorden in Kiew das Parlament und anderen Regierungsgebäuden besetzt haben? "Die Helden der Demokratie und Menschenrechten, Freiheit, usw." Tja, was ist Doppelmoral?

  • Die Krim ist mit einem Bevölkerungsanteil von 58 Prozent Russen, 24 Prozent Ukrainern und zwölf Prozent Tataren die „russischste“ Region der Ukraine.

    -

    Drei Viertel aller Bewohner der Krim bezeichnen Russisch als ihre Muttersprache, Ukrainisch hingegen nur ein Zehntel. Nach Angaben des Internationalen Kiewer Instituts für Soziologie verwenden 97 Prozent der Bevölkerung die russische Sprache.

    -

    Auf der Krim gibt es praktisch keine eigene Wirtschaftselite und auch keine europanahe Elite. Seit die Ukraine unabhängig ist, wurde die Krim schwer heruntergewirtschaftet.

    -

    In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre entdeckten die ukrainischen Oligarchen ihr Interesse an den Urlaubsorten auf der Krim und investierten Geld, aber es war fremdes Geld.

    -

    Aus diesem Grund ist die Elite der Krim auch weniger für den Einfluss der EU oder der USA zugänglich, als man das in Donezk oder Dnepropetrowsk ist.

  • Interessant sind zurzeit Zeitungen die der polnischen Regierung nahe stehen.

    -

    Da werden schon alte Karten auf der Titelseite gedruckt, die Polen im 18 Jahrhundert zeigen als es noch von Littauen bis nach Rumänien reichte und der große polnischen Traum vom Zugang der Südmeere (Schwarzen Meer) beschrieben wird.

    -

    Dazu passt, dass Polen wie Russland auch gerade Truppen an die ukraninische Grenze verlegt hat und ein Manöver durchführt nur leider schreiben Deutsche Medien darüber nichts und nur über böse Russen.

  • Wäre es möglich, daß die TAZ auch mal über die aktuelle Lage der Krimtataren berichtet? Bisher gibt es dazu nicht viel...und ich wüßte auch selbst nicht, wo hierzu verläßliche Informationen zu finden wären. Hakan Kirimli von der Universität Bilkent könnte vielleicht Auskunft geben.

    • @Irma Kreiten:

      Dieses Interesse teile ich und schliess mich dem Wunsch an.

      • A
        ausgewandert
        • @ausgewandert:

          Die Rede war von verläßlichen Informationen zur aktuellen Lage, nicht von geschichtsklitternder, russisch-nationaler Propaganda, die von "aggressive lobbying for Crimean Tatar rights" spricht und die Diskriminierung der Krimtataren dagegen in Anführungszeichen setzt.

          • T
            toddy
            @Irma Kreiten:

            Auch die Tataren waren nur Okkupanten "Die 27.000 Quadratmeter große Halbinsel hat eine wechselvolle Geschichte. In den Jahrhunderten vor Christus lebten hier Taurer und Skythen. Später bauten die Griechen ihre Kolonien, auch Goten, Hunnen und Tataren ließen sich zeitweilig nieder. 1783 annektierte Katharina die Große die Krim als russischen Besitz." Wie gehts also den Taurer und Skythen? Interessant das sie immer betroffen "Schreien" wenn Allahu Akbar Jünger betroffen sind. Kämpfen sie doch zur Abwechselung mal für Indios und Nordamerikanische Ureinwohner Oder für die Völker die von ihrem britischen Lohnschreibers Auftraggeber unterjocht wurden/ werden...

    • D
      D.J.
      @Irma Kreiten:

      Nach dem ÖR Fernsehen hätten die Krimataren gestern gegen die russischen Natonalisten demonstrier (aber das werden Sie schon wissen). Klar, die Vorbewohner (Ureinwohner, wie im ZDF behauptet, ist natürlich ein unsinnniger Begriff), von Stalin vertrieben und v.a. nach der Unabhängigkeit teils zurückgekehrt, meinen, sie können bei einer russ. Aggression auf der Krim (verkappt oder offen) nur verlieren, und ich befürchte, sie könnten Recht haben (siehe z.B. die Duldung ethischer Säuberungen - an Georgiern - in Abchasien durch Russland).

  • HS
    Hari Seldon

    Das Spiel ist noch nicht vorbei: Der rechtmäßige Präsident, Janukowitsch meldete sich mit einem "Präsidententenbefehl" zurück ("Указ Президента Украины № 90/2014 от 27 февраля 2014" unterschrieben durch Janukowitsch). Augenscheinlich konnten nicht alle Pläne der Putschisten ausgeführt werden: Janukowitsch wurde noch rechtzeitig informiert und er konnte schneller fliehen als die Putschisten ihn gefangen nehmen konnten. Sikorski war am Samstag indiskret: Er konnte nicht verstehen, dass Janukowitsch noch nicht zurückgetreten war (in der Vereinbarung mit der 3 EU-Aussenminister war das Zurücktreten nicht drin).

     

    Noch eine Anmerkung: Die Neutralität und das Schweigen der Militär bis jetzt ist auffällig. Vergessen wir es nicht, dass die Armee in der Ukraine früher grossenteils Bestandsteil der sowjetischen Armee war. Ukraine wäre für die russischen Streitkräften ein Heimspiel.

     

    Krim: Die Berichterstattung aus dem Krim ist bei uns leider "etwas" biased --> im Internet-Zeitalter geht es so nicht. Es hat sich herausgestellt, dass die meisten gestern demonstrierenden "Tataren" überhaupt keine Tataren waren.

     

    Mal sehen, was passieren wird: Wir können höchstens spekulieren. Die wichtigsten Infos über die Verhandlungen im Hintergrund werden nicht veröffentlicht (vielleicht erst nach 30-50 Jahren). Die Auswirkungen der Krise in der Ukraine werden aber für Otto Normalbürger in Deutschland ganz sicher teuer.

  • S
    Simon

    hinter den s.g. ehtnischen konflikten stehen nicht unzufälltig geopolitische interessen.... wieso bleiben diese in den medien immer derart unterbelichtet?

     

    "gas monopoly"

     

    http://www.shabka.org/2014/02/25/euromaidan-good-news-bad-news-news-eine-medienkritik/

    http://www.shabka.org/2013/12/10/ukraine-europaische-friedenstauben-gegen-den-russischen-baren/