Ukrainische Flüchtlinge in Berlin: Willkommen erster Klasse

Berlin bereitet sich auf 20.000 Flüchtlinge aus der Ukraine vor. Ihr Aufenthaltsstatus ist noch unklar. Das betrifft auch schon hier lebende Ukrainer.

Olha Sidun (r) umarmt ihre Schwester Hanna nach ihrer Ankunft am Berliner Hauptbahnhof. Hanna Sidun ist vor dem Krieg in der Ukraine geflohen und hat drei Tage aus Kiew nach Berlin gebraucht.

Immer mehr ukrainische Geflüchtete kommen in Berlin an Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Immer mehr Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine flüchten, erreichen Berlin. Während die meisten in den vergangenen Tagen privat untergekommen sind, steigt mittlerweile die Zahl derer, die in Notunterkünfte gelangen. Allein am Montag waren es laut Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) 350 Menschen. „Die Tendenz ist steigend. Es kommen vor allem Frauen und ältere Kinder“, so Kipping am Dienstag nach der Senatssitzung. „Wir richten uns zunächst auf 20.000 Menschen ein“, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) – wobei die Betonung auf zunächst liegt: „Es ist nicht klar, wie viele es werden.“

Damit sich ein Behördenversagen wie im Sommer der Migration 2015 nicht wiederholt, als Tausende Flüchtlinge tagelang auf der Straße auf ihre Registrierung und Unterbringung warten mussten, hat der Senat am Dienstag die Einrichtung einer Steuerungsgruppe beschlossen. Dieser Krisenstab soll sich um die Bereiche Ankunftsstruktur, Unterbringung sowie Sicherheit und sozialer Zusammenhalt kümmern. So sollen sich alle Neuankömmlinge zunächst im Ankunftszentrum in Reinickendorf melden, von wo aus sie auf andere Unterkünfte verteilt werden. Bislang habe man bereits 700 zusätzliche Plätze geschaffen, 400 in einem Containerdorf in Pankow und 300 in einem neu sanierten Gebäude in Lichtenberg, erklärte Kipping.

Weitere Unterbringungsmöglichkeiten wie das gerade erst geschlossene Impfzentrum Messe oder der stillgelegte Flughafen Tegel seien im Gespräch. „Noch wäre es überdimensioniert, es kann aber schnell eine Situation geben, in der wir es brauchen“, so Kipping. Auch mit Brandenburg sei man diesbezüglich im Gespräch. Zudem erhalte man aus der Zivilgesellschaft „jede Menge“ Angebote von Objekten, teilweise ganzen Gebäuden, die nun vom Krisenstab geprüft würden. „Es gibt eine Welle der Solidarität aus der Zivilgesellschaft“, freut sich Kipping.

Katja Kipping, Linke-Sozialsenatorin

Berlin geht es um alle, die vor diesem furchtbaren Krieg flüchten müssen, egal ob sie einen ukrainischen Pass haben oder nicht.“

Nun wundern sich nicht wenige, wo diese Solidarität in der Vergangenheit war, als es nicht weiße Ukrai­ne­r*in­nen waren, die in Berlin Zuflucht vor Krieg und Vertreibung suchten, sondern Syrer*innen, Kurd*innen, Af­gha­n*in­nen oder Afrikaner*innen. Von einer rassistischen Gruppierung in Geflüchtete erster und zweiter Klasse wollte Kipping am Dienstag nichts wissen. Mit Blick auf Berichte über Schwarze Menschen, die an der ukrainischen Grenze an ihrer Flucht gehindert werden sollen, während weiße Geflüchtete passieren dürfen, stellte die Sozialsenatorin klar: „Wir reden bewusst von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Berlin geht es dabei um alle, die vor diesem furchtbaren Krieg flüchten müssen, egal ob sie einen ukrainischen Pass haben oder nicht.“ Dieser ist allerdings nötig, um das Angebot der kostenlosen Nutzung von Bussen und Bahnen in Berlin und Brandenburg nutzen zu können.

Aufenthaltsstatus weiter unklar

Apropos Ungleichbehandlung von Geflüchteten: Bei der Frage, welchen Aufenthaltsstatus die Neuankömmlinge aus der Ukraine bekommen, wartet Berlin immer noch auf die Entscheidung des EU-Rats. Voraussichtlich an diesem Donnerstag wollen die Mitgliedstaaten darüber entscheiden, ob die ukrainischen Schutzsuchenden nach der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden. „Das wäre optimal“, sagte Kipping. Denn dann müssten die Menschen nicht in Flüchtlingsunterkünften wohnen, sondern könnten selbst über ihren Wohnort entscheiden, hätten Zugang zum Arbeitsmarkt und Anspruch auf Sozialleistungen und medizinische Versorgung.

Doch wenn es so „optimal“ ist, dass die Menschen, die aus der Ukraine fliehen, arbeiten können und freie Wohnplatzwahl haben, warum gilt das dann nicht für Geflüchtete aus anderen Ländern? Und was ist mit den Ukrainer*innen, die bereits in Berlin leben? Ukrai­ne­r*in­nen dürfen visumsfrei 90 Tage nach Deutschland einreisen, Berlin hat diesen Zeitraum nun bis Ende Mai verlängert. Arbeiten dürfen sie hier jedoch nicht.

„Wir beobachten schon seit Jahren, dass viele Ukrainer*innen, die visumsfrei einreisen, hier ohne Papiere arbeiten“, sagt Monika Fijarczyk von der DGB-Beratungsstelle Migration und Gute Arbeit der taz. Das sei mit erheblichen Risiken verbunden: „Die Menschen werden häufig Opfer von Ausbeutung, arbeiten unter dem Mindestlohn, teilweise wird ihnen ihr Lohn ganz vorenthalten“, so Fijarczyk.

Diese Menschen, die in Berlin vor allem als Bauhelfer, Paketzusteller oder Putzkräfte arbeiten und von der neuen Willkommenskultur gegenüber Ukrai­ne­r*in­nen bisher wenig mitbekommen haben, würden von der Massenzustrom-Richtlinie ebenfalls profitieren. Nur die nicht-weißen Geflüchteten gucken weiter in die Röhre.

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