Ukrai­ne­r:in­nen in Armenien: Heimat­länder in Flammen

Der letzte Krieg in Armenien liegt erst anderthalb Jahre zurück. Für dort lebende Ukrai­ne­r:in­nen ist das jetzt doppelt traumatisch.

Eine Gruppe von Menschen in einem halbdunklen Raum

31. März: Menschen in einem Schutzraum in Bashtanka, Mikolajev, Ukraine Foto: Petros Giannakouris/ap

Die Söhne meines Bruders haben auf dem Handy ihrer Mutter Musik angemacht und tanzen. Wir schweigen. Auf ein Kinderlied folgt „Wenn der Tag anbricht, geht der Krieg zu Ende“ von Okean Elzi, einer ukrainischen Band. Die Frau meines Bruders springt auf: „Macht das aus, sonst bricht mir gleich das Herz.“

Mein Bruder und seine Frau haben sich beim Studium in Polen kennengelernt – er aus Armenien, sie aus der Ukraine. Die Eltern der Braut lieben meinen Bruder, aber sie waren gegen die Heirat, weil „in Armenien Krieg herrscht“. 2014 begann der Krieg im Donbass. Seitdem wurden in der Familie meines Bruders drei Kinder geboren und es gab drei Kriege.

Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.

2020, als in Armenien Krieg war, haben wir 44 Tage lang alle Kreise der Hölle durchlebt – alle gemeinsam, in unserer Heimat. Ich wage nicht darüber nachzudenken, was die Frau meines Bruders fühlt, fern von ihrer Heimat und Familie. Die in der Ukraine zu erreichen, wird immer schwerer. „Ich glaube, ich habe Oma und Opa gerade zum letzten Mal gesehen“, sagte meine Schwägerin nach der ersten Kriegswoche. An dem Tag gab es in ihrem Heimatdorf im Gebiet Donezk zum letzten Mal Internet. Unsere Familie hat zwei Heimatländer – beide stehen in Flammen.

„Mama hat geschrieben: Es gibt noch Brot und Wasser, aber Medikamente sind bald alle. Wir haben Angst, den Keller zu verlassen“, berichtet die Frau meines Bruders. Vieles im Leben wird im Krieg einfach: Brot und Wasser, Leben und Tod, Heimat und die Furcht davor, sie zu verlieren. Alles andere wird zum Luxus oder zu Politik.

Zur gleichen Zeit ist es in Bergkarabach wieder unruhig: Aserbaidschanische Streitkräfte haben ein armenisches Dorf erobert. Der Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Alexei Danilow, meint: Eine zweite Front im Interessengebiet Russlands würde der Ukraine im Kampf gegen die Angreifer helfen. Das eine Heimatland der Frau meines Bruders ruft dazu auf, ihr anderes Heimatland zu vernichten. Vieles im Leben wird im Krieg einfach: Für die einen ist es Heimat, für die anderen eine zweite Front.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

Finanziert wird das Projekt durch die taz Panter Stiftung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Journalistin lebt und und arbeitet in Jerewan (Armenien). Sie war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

Diese Kolumne ist nur möglich dank Ihrer finanziellen Hilfe. Spenden Sie der taz Panter Stiftung und sorgen Sie damit für unabhängige Berichterstattung von Jour­na­lis­t:in­nen vor Ort.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.