Krieg in der Ukraine: Druck auf Kiew steigt

Die Lage in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wird mit jedem Tag gefährlicher. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist bedroht.

Frau mit Katze in Rucksack und drei Reisetaschen

Alles, was sie tragen kann: Eine Frau am 13. März bei der Evakuierung von Browary bei Kiew Foto: Thomas Peter/reuters

KIEW taz | Barrikaden, Checkpoints, Panzerigel und Fliegeralarm sind zu festen Bestandteilen des Lebens in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geworden. Volle Cafés, Restaurants und laute Partys scheinen wie aus einem vergangenen Leben. Der belebteste Ort in Kiew ist jetzt der Hauptbahnhof. Fast stündlich treffen hier Evakuierungszüge aus dem Nordosten und dem Osten des Landes ein, die dann gen Westen weiterfahren. Hunderttausende Menschen haben Kiew bereits verlassen. Aber die Mehrheit der Kie­we­­r*in­nen ist geblieben, um ihr Zuhause vor der russischen Besatzung zu verteidigen.

Maija Sobko steht neben einem Fass, aus dem Flammen lodern. Sie wirft Holz hinein, damit die Hitze nicht nachlässt. Sie hat sich drei oder vier Jacken übereinander angezogen und zwei Paar Handschuhe. Die blonde Frau mittleren Alters ist eine von jenen Kiewer*innen, die sich zum Einsatz bei den Einheiten der Territorialverteidigung gemeldet haben. „Heute ist Tag 18 des Krieges, oder? Das heißt, ich schiebe hier schon seit 17 Tagen Dienst“, sagt Maija und deutet auf einen Checkpoint, der sich an einer belebten Kreuzung in einer der Schlafstädte Kiews befindet.

„Ich bin von sieben Uhr morgens bis 23 Uhr hier und mache alles, was sie mir sagen. Ich schleppe Feuerholz und Flaschen und nehme Hilfsgüter von Freiwilligen an, die ich dann verteile. Und ich wärme das Mittagessen für die Jungs auf, die hier die Autos kontrollieren“, erzählt sie.

Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Maija als Kassiererin in einer Kantine gearbeitet, doch jetzt wird sie hier gebraucht – bei der Verteidigung Kiews. Sie sagt, dass ihr Kind mit ihr in Kiew geblieben sei und zeigt auf das Haus, in dem sie lebt. „Wir hatten die Möglichkeit, evakuiert zu werden, doch ich habe nicht einmal daran gedacht, Kiew zu verlassen. Hier steht mein Haus und ich werde es bis zum Schluss verteidigen. Das Schlimmste liegt noch vor uns“, sagt sie mit Bitterkeit und legt wieder Holz nach.

Kein Licht, kein Wasser, kein Gas, kein Mobilfunk

In ihrer kleinen Einheit gibt es noch weitere Frauen, sie alle wohnen in der Nähe und versuchen nach Kräften zu helfen. Am Sieg der Ukraine hat Maija keinen Zweifel, doch dafür gebe es ihrer Meinung nach eine wichtige Bedingung: „Nur gemeinsam können wir diesen gegen uns entfesselten Krieg gewinnen.“

Die Kämpfe um Kiew herum nehmen mit jedem Tag an Intensität zu. Jede Nacht schießt die Luftabwehr russische Raketen, Flugzeuge und Drohnen ab. Am angespanntesten ist die Lage im Nordwesten und Osten von Kiew. Von der Seite der Tschernobyl-Zone greifen russische Truppen mit Raketenunterstützung aus Belarus an. Aus dem Nachbarland werden die Orte sturmreif geschossen, den Rest erledigen dann Panzer und Soldaten. In diesen Siedlungen herrscht bereits eine humanitäre Katastrophe und Vereinbarungen über „grüne Korridore“ zur Evakuierung werden ständig gebrochen.

„Ich habe mit meiner Familie in Irpin gelebt, wir wurden bereits am ersten Tag des Krieges evakuiert“, erzählt Tatjana. „Mein Cousin ist in der Stadt geblieben und kämpft jetzt bei den Einheiten der Territorialverteidigung. In den vergangenen Tagen hatte ich zu ihm keine Verbindung. Ich weiß, dass es in der Stadt kein Licht, kein Wasser und Gas sowie keinen Mobilfunk gibt.

Doch dann hat er angerufen und erzählt, die Russen hätten ihn gefangen gesetzt, geschlagen und ihm seine Dokumente weggenommen. Vor seinen Augen sei unser Nachbar, der ebenfalls bei der Territorialverteidigung war, getötet worden. Ich weiß nicht, wie, aber mein Cousin konnte fliehen. Jetzt versteckt er sich mit anderen in einem Keller.“ Tatjana zufolge befänden sich in Irpin immer noch viele Zi­vi­lis­t*in­nen – vor allem Alte, Invalide und Familien mit Kindern.

Auch auf der anderen Seite des Dnjepr, in östlicher Richtung von Kiew, versuchen russische Truppen vorzurücken. Ukrainisches Militär hat in großem Ausmaß russische Technik zerstört, aber die Besatzer bombardieren mit Flugzeugen und Raketen fortwährend Ortschaften in der Region der Stadt Browary, während sie sich Kiew von Tschernihiw her nähern.

Vorwurf von Kriegsverbrechen

Gleichzeitig lässt die russische Armee nicht zu, dass Zi­vi­lis­t*in­nen evakuiert werden, ihr werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Am 11. März nahmen die russischen Besatzer einen Evakuierungskonvoi unter Beschuss, der sich entlang des vereinbarten „grünen Korridors“ bewegte und aus Autos bestand, in denen ausschließlich Frauen und Kinder saßen. Sieben Menschen wurden getötet, darunter ein Kind.

Danach zwang das russische Militär den Konvoi dazu, in das Dorf zurückzukehren, aus dem die Menschen hatten evakuiert werden sollen. Die Verletzten erhielten medizinische Hilfe, doch über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. In dieser Richtung wurden bereits die Privathäuser Hunderter Zi­vi­lis­t*in­nen zerstört. Doch die russischen Truppen greifen auch Lagerhallen mit Vorräten an, von denen es in dieser Gegend ziemlich viele gibt.

In der Nacht zum 12. März erfolgte ein Luftangriff auf ein Lager mit Tiefkühlprodukten, das vollständig abbrannte. Offensichtlich will die russische Armee eine Nahrungsmittelknappheit im Falle einer Blockade Kiews erzwingen. Parallel dazu hat die Kiewer Stadtverwaltung die Versorgung der Geschäfte mit Lebensmitteln erhöht, damit die Be­woh­ne­r*in­nen die Möglichkeit haben, sich mit Vorräten einzudecken, sollte sich die Situation weiter verschlechtern.

In der dritten Woche des russischen Angriffes auf die Ukraine haben die Ukrai­ne­r*in­nen so viel Kummer und Unglück gesehen, dass sich das Gefühl von Angst vor den Militärschlägen in eine rasende Wut verwandelt hat. Sie lässt es, trotz der moralischen Anspannung, nicht zu, müde zu werden.

Aus dem Russischen von Barbara Oertel

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