Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien: Wege und Irrwege aus München
Die US-Regierung drängt auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf Verhandlungen mit Russland. Was sind realistische Optionen für die Ukraine?
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R ealpolitik beginnt mit der nüchternen Betrachtung der strategischen Wirklichkeit. Trumps Alleingang mit Putin zwingt die europäischen Regierungen in Nato und EU, ihre realen Macht- und Handlungsoptionen zur Kenntnis zu nehmen.
Realistische und zielführende Verhandlungspositionen müssen die Kerninteressen der Hauptakteure in Betracht ziehen. Für die Ukraine dürfte der Erhalt der staatlichen Souveränität mit Sicherheitsgarantien sowie eine langfristig verlässliche Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit gegen Russland unverzichtbar sein. Eine Anerkennung der Annexion der von Russland besetzten Gebiete wird Kyjiw ausschließen wollen.
Moskau wird auf jeden Fall verhindern wollen, dass die Ukraine der Nato beitritt und dass Truppen aus Nato-Staaten in der Ukraine stationiert werden. Zudem wird der Kreml das eroberte ukrainische Territorium auf jeden Fall unter seiner Kontrolle behalten wollen und eine Begrenzung des Umfangs der ukrainischen Armee als zentral ansehen.
Für die Europäer sollte zentral sein, dass jede Verhandlungslösung zu einer stabileren europäischen Sicherheitslage beiträgt, zu einer Sicherheitsarchitektur, in der sowohl Abschreckung als auch Diplomatie wirksam sind, um einen Krieg zwischen Russland und der Nato zu vermeiden.
ist Brigadegeneral a. D. sowie Diplompsychologe und Diplompolitologe. Er war stellvertretender Leiter der Stabsabteilung Militärpolitik im Verteidigungsministerium Berlin sowie militärpolitischer Berater der deutschen Ständigen Vertretung bei der Nato in Brüssel und den Vereinten Nationen in New York.
Die strategischen Ziele der USA sind angesichts der widersprüchlichen Äußerungen Trumps schwer einzuschätzen. Vermutlich werden die strategisch denkenden Vertreter der US-Administration Ruhe und Stabilität im Verhältnis zu Russland anstreben, um die Machtressourcen besser auf den Supermacht-Rivalen China konzentrieren zu können.
Die Frontkräfte der ukrainischen Armee sind überdehnt und ausgelaugt. Die Zahl der gefallenen ukrainischen Soldaten dürfte 100.000 überschritten haben, eine noch weit größere Zahl Soldaten ist vermutlich schwerstbehindert und traumatisiert. Hunderttausende Männer haben sich dem Wehrdienst entzogen. Die strategische Lage der Ukraine ist kurz vor Beginn des vierten Kriegsjahres äußerst angespannt, ihre Durchhaltefähigkeit ist gefährdet.
Kernelemente in möglichen Verhandlungen
Was sind also realistische Verhandlungsoptionen? Ohne den Verzicht Kyjiws und ebenso der Nato auf eine Aufnahme der Ukraine in das Bündnis, zumindest auf absehbare Zeit, dürfte es kein Abkommen zur Kriegsbeendigung geben. Bereits die Biden-Administration und die Bundesregierung hatten sich gegen eine zeitnahe Einladung der Ukraine in die Nato positioniert. Wie soll da der Nato-Beitritt der Ukraine noch als bargaining chip genutzt werden?
Inhalt und Form der Sicherheitsgarantien für die Ukraine werden mit der kritischste Verhandlungspunkt sein. Russland wird akzeptieren müssen, dass die westlichen Unterstützerstaaten die Ukraine wie bisher hinreichend und nachhaltig mit Waffensystemen und Ausbildung unterstützen. Darüber hinausgehende, „stahlharte“ kollektive Sicherheitsgarantien können nicht der Qualität einer Beistandsverpflichtung im Nato-Vertrag gleichkommen. Zudem könnten nur die drei westlichen Nuklearmächte, in erster Linie die USA, weitergehende Sicherheitserklärungen abgeben, weil nur diese das Nuklearwaffenpotenzial Russlands abschrecken können.
Eine europäische „Friedenstruppe“ ist ein Irrweg
In den USA wird offenbar die Idee verfolgt, in einer Pufferzone eine durchsetzungsfähige „Friedenstruppe“ auch aus europäischen Nato-Staaten einzusetzen. Unterschiedliche Personalstärken, meist über 100.000 Soldaten, werden als Kräftebedarf genannt. Doch die europäischen Nato-Staaten verfügen nicht über ausreichend einsatzfähige Kräfte, um die lange Frontlinie zu überwachen und notfalls zu verteidigen.
Zudem würde es im Falle neuer Angriffe durch Russland zu Kämpfen zwischen Truppen aus Nato-Staaten und Russland kommen. Die Ukraine ist zwar nicht Nato-Vertragsgebiet, gleichwohl ist es äußerst unwahrscheinlich, dass der Nato-Rat in diesem Szenario die im Kampf stehenden Truppen von Allianzpartnern allein lassen würde. Die Nato würde vollends in einen Krieg hineingezogen, in den dann vier Atommächte involviert wären und das deutsche Territorium als zentrale Drehscheibe der Nato stark betroffen wäre.
Sinnvoller und verhandelbar wäre indessen ein größerer Friedenssicherungseinsatz der UN mit einem Beobachtungsmandat und Truppenstellern aus unparteiischen Staaten, etwa aus dem globalen Süden, insbesondere aus dem Kreis der BRICS-plus-Staaten, wie beispielsweise Indien. Diese Lösung mag wie das gescheiterte Minsk II–Abkommen von 2015 klingen, der Unterschied ist jedoch, dass diesmal viele Staaten vor Ort eingebunden wären, auf deren Kooperation Russland angewiesen ist.
Die EU muss die Verhandlungen unterstützen
Wenn es zu ernsthaften Verhandlungen in Saudi-Arabien kommen sollte, sind zwei Grundszenarien vorstellbar. Im besten Fall: produktive Gespräche, die zwar nicht zu einem Frieden, aber zur längerfristigen Stilllegung des Krieges führen. Mit einer Ukraine, deren territoriale Integrität durch den Verlust der Kontrolle über circa 20 Prozent ihres Staatsgebiets für absehbare Zeit schwer verletzt ist, die aber ihre nationale Souveränität wahren kann und nachhaltig von den westlichen Staaten unterstützt wird, militärisch, finanziell und humanitär. Diesem Szenario steht das Risiko der weiteren Eskalation und Ausweitung des Krieges gegenüber, wenn die Verhandlungen scheitern und gleichzeitig die ukrainische Front ins Rutschen kommt. Vom Regen in die katastrophale Traufe, in eine Lage, auf die Nato- und EU-Europäer nicht vorbereitet sind.
Die Ukraine-Politik der Trump-Administration ist ein letzter Weckruf, die Zeitenwende endlich ernst zu nehmen und die militärische Handlungsfähigkeit Deutschlands und ebenso die der anderen Nato-Partner ernsthaft zu steigern. Die Europäer müssen jetzt ihr ökonomisches und finanzielles Potenzial in die Schale werfen, um die weitere Verteidigungsfähigkeit der Ukraine sicherzustellen.
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