Ugandische Autorin über Feminismus: „Jede Frau kämpft“
Jennifer Nansubuga Makumbis Roman „Die erste Frau“ wurde ins Deutsche übersetzt. Wir sprechen mit ihr über Feminismus, Tradition und Mittelschicht.
Offene Flügeltüren, sonnendurchtränkte Räume. Eine Altbauwohnung über den Dächern von Berlin-Schöneberg. „Hören Sie?“ Jennifer Nansubuga Makumbi hebt ihren Finger in die Luft. Außer den Geräuschen von draußen, die durch die geöffneten Fenster dringen, ist es still in der Wohnung. „Ich kann noch die Kinder der Vormieter hören, die hier einmal durch die Zimmer geflitzt sind, den ganzen Weg von ihren Zimmern bis in das Schlafzimmer der Eltern.“ Sie klatscht in die Hände und lacht. „Möchten Sie etwas essen oder trinken?“ Es gebe Kekse und Saft. Sie lässt sich auf die grüne Couch fallen.
taz am Wochenende: Frau Makumbi, Sie sind derzeit mit einem DAAD-Stipendium in Berlin. Wie gefällt Ihnen die Stadt?
Jennifer Nansubuga Makumbi: Ich liebe Berlin. Ich bin zu einem guten Zeitpunkt angekommen, im Sommer. Es ist so warm wie in Kampala, manchmal sogar noch wärmer. Meine Nachbarn in diesem Block sind alle sehr freundlich, und die Stadt ist es auch.
Ende August ist Ihr Buch „Die erste Frau“ im Interkontinental Verlag erschienen. Darin erzählen Sie die Geschichte von Kirabo, die in den 1970ern bei ihren Großeltern in einem Dorf in Uganda aufwächst. Was ist das für ein Aufwachsen?
Es ist ein sehr traditionelles Aufwachsen in der afrikanischen Mittelschicht. Wenn man außerhalb von Afrika lebt, vermittelt sich leider oft das Bild einer afrikanischen Kindheit, das Kinder hungernd, mit Fliegen in den Augen zeigt.
Sie finden das verkürzt?
Ja. Als ich in Uganda aufwuchs, sah ich diese Kinder nicht. Die Mittelschicht lebt überall auf der Welt ein ähnliches Leben. Ein Kind der afrikanischen Mittelschicht unterscheidet sich nicht sehr von einem der europäischen. Es ist nur die Kultur, die anders ist. Für Kirabo ist das ganze Dorf ihr Zuhause. Alle kümmern sich um sie. Diese weite, offene Welt, in der man Hügel und Wildnis erkunden kann, wollte ich beschreiben.
Kirabo, die Protagonistin Ihres Romans, liebt Folklore und Geschichtenerzählen. Welche Rolle spielen Erzähltraditionen für Sie persönlich?
Ich bin mit Büchern aufgewachsen und habe mich lange nicht mit mündlichen Überlieferungen beschäftigt. Aber als ich Literatur unterrichtete und studierte, entdeckte ich, dass meine Geschichte nicht in Shakespeare begründet liegt. Meine literarische Geschichte liegt in diesen mündlichen Überlieferungen. Das ist es, was mir meine Vorfahren hinterlassen haben. Jede Idee, die ich erforschen möchte, alles, was ich schreiben möchte, existiert bereits darin. Ich kann die Überlieferungen verändern und etwas Neues hinzufügen. Das ist es, was bei oraler Tradition passiert. Sie verändert sich ständig.
In Ihrem Roman gibt es sehr unterschiedliche Frauenfiguren. Alle wählen ihren eigenen Weg, haben aber dennoch eine enge Beziehung zueinander. Ist das die Idee, die für Sie in „mwenkanonkano“ steckt, einem ugandischen Wort für Feminismus?
Wir werden nicht alle auf dieselbe Weise Feministinnen sein. Manche kämpfen, andere passen sich an, drängen und werden zurückgedrängt, gehen Kompromisse ein. Aber wir alle sind Feministinnen. Und dafür sollten wir Respekt haben. Feminismus findet an der Basis statt. Jedes Mal, wenn eine Frau das Haus verlässt – und manchmal sogar innerhalb des Hauses –, kämpft sie. Es sind nicht nur die Ikonen, die wir sehen. Jede Frau kämpft. Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen sollten. Der andere Aspekt, über den ich sprechen wollte, war, dass überall dort, wo Frauen unterdrückt werden – und auch andere Menschen – sich diese Menschen gegeneinander wenden. Das ist es, was ich kweluma nenne.
Was bedeutet „kweluma“?
Man hört überall auf der Welt, dass Männer sagen: Frauen hassen sich gegenseitig. Frauen tun sich gegenseitig schreckliche Dinge an. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 wurde eine Debatte im Fernsehen übertragen. Trump ging hin und sammelte vier Frauen ein, die sich über Bill Clinton beschwerten. Ich weiß nicht genau, was Bill Clinton ihnen angetan hatte, sexueller Missbrauch? Trump brachte diese Frauen in den Wahlkampf und gab ihnen einen Platz in der ersten Reihe, um Hillary einzuschüchtern. Ich meine, das war so vulgär, so obszön. Und ich dachte: Was hat Hillary dir angetan? Warum bestrafst du sie auf diese Weise? Mein Buch sagt einfach: Passt auf! Zu viel Druck bringt uns gegeneinander auf. Die Kolonialisierung hat dasselbe bewirkt. Die Einheimischen wendeten sich gegeneinander, anstatt sich gegen den Kolonisator zu wenden. So ist es auch mit Rassismus. In Großbritannien gibt es Schwarze Kinder, die Schwarze Kinder umbringen. Weil sie die Wertlosigkeit verinnerlicht haben.
In einer Szene Ihres Buchs geht es um die World Conference of Women, die 1975 in Mexiko City abgehalten wurde, und die Frage, ob Frauen tatsächlich überall auf der Welt gleich sind.
Die Schriftstellerin
Jennifer Nansubuga Makumbi ist Autorin von Romanen und Kurzgeschichten. Sie ist in Uganda geboren, lebt normalerweise in Manchester und unterrichtet an Universitäten in Großbritannien Kreatives Schreiben.
Das Werk
Makumbis Debütroman „Kintu“ wurde 2014 veröffentlicht. Fünf Jahre später folgte der Kurzgeschichtenband „Manchester Happened“. Für ihr Werk erhielt sie unter anderem den Commonwealth Short Story Prize. Ihr Roman „Die erste Frau“ wurde von zahlreichen englischsprachigen Medien zum Buch des Jahres gekürt. Erschienen ist er auf Deutsch im Interkontinental Verlag.
Die Konferenzszene sollte zeigen, wie der westliche Feminismus in Afrika ankam. Es gab ein Manifest, es war auf Englisch, alle waren begeistert. Und wir haben einfach mitgemacht. Was mwenkanonkano auch macht, ist zu sagen: Wartet mal einen Moment. Das ist ein wunderbarer Feminismus, er hat uns weit gebracht …
… aber?
Frauen werden nicht überall auf der Welt auf die gleiche Weise unterdrückt. Unsere Unterdrückung ist meist kulturspezifisch. In Uganda zum Beispiel knien Frauen vor Männern nieder. Der Feminismus im Westen muss sich nicht mit diesen Problemen befassen. Und doch hatten Frauen im Westen Probleme, wählen zu dürfen. In Afrika wurden Frauen nie daran gehindert zu wählen. Was mwenkanonkano also tut, ist zu sagen: Wir müssen uns unseren indigenen Feminismus ansehen und überlegen, wie er uns helfen kann, indigene Probleme zu bekämpfen. Denn wo immer Frauen unterdrückt wurden, gab es feministische Ideen, gab es Widerstand. Doch wenn wir den westlichen Feminismus nehmen und sagen, ja, das passt auch nach Afrika, dann funktioniert das nicht. Wenn ich sage, wir müssen uns mit dem indigenen Feminismus auseinandersetzen, will ich damit keineswegs den westlichen Feminismus oder den globalen Feminismus abwerten. Ich sage nur, dass es etwas Lokaleres und Spezifischeres gibt.
Die ugandische Wissenschaftlerin Sylvia Tamale beschreibt, dass die Sexualisierung des nackten weiblichen Körpers in Uganda erst mit der Kolonialisierung angefangen habe. Kann indigener, feministischer Widerstand also auch bedeuten, nackt zu protestieren?
Nacktheit als Widerstand ist eine große Sache in Uganda. Nicht nur in Uganda. Ich erinnere mich daran, als in Kenia während Mois Regime Mütter seiner Gefangenen nackt auf die Straße gegangen sind. Weil es alte Frauen sind, respektierst du diese Nacktheit. Es war so stark, dass Männer weggerannt sind! In Liberia war es das Gleiche. Frauen kamen zu den Fabriken und sagten, wenn ihr nicht verhandelt, ziehen wir uns aus. Also ja, Nacktheit ist eine Waffe und sie wurde sich zu Nutzen gemacht.
Als Kirabo, die Protagonistin Ihres Romans, zu ihrem Vater nach Kampala zieht, verändert sich ihr Leben schlagartig. Zum Beispiel lernt Kirabo „4 p. m.“ zu sagen, anstatt „die zehnte Stunde des Tages“.
Wie spricht man über die Veränderungen für das traditionelle Leben in Uganda, ohne über Kolonialisierung zu sprechen? Auch wenn wir uns in dem Roman nicht in der Zeit der Kolonialisierung befinden, kann man die Auswirkungen in ihrem Leben spüren. Ich wollte auch den Unterschied zwischen einer verwestlichten Mittelschicht und der traditionellen Mittelschicht beschreiben.
Was sind die Unterschiede?
Ich dachte, schau dir die Leute im Dorf an, die ihre eigenen Häuser haben, die ihre eigenen Lebensmittel produzieren, die Häuser sind auf ihrem eigenen Land gebaut, und dann schau dir die Leute in der Stadt mit ihren Autos an, in Mietshäusern, die Lebensmittel vom Markt holen, die nicht mehr frisch sind. Ich wollte, dass die Leute sich fragen, was diese Art von Grau hinter den Mauern, abgeschnitten von der Gemeinschaft, ein Leben in Individualismus, mit einem macht.
Die Baganda sind eine Ethnie in Uganda, die vor, während und nach der Kolonialisierung sehr viel Einfluss hatten. Immer wieder wird im Roman von Figuren der Vorwurf erhoben, sie hätten mit den Kolonialmächten am selben Tisch gesessen.
Die Sache ist die: Wo immer die Briten hinkamen, griffen sie eine Gruppe heraus und sagten: „Ihr seid zivilisiert. Die anderen sind Wilde.“ Genau das geschah mit den Baganda. Die Hauptstadt ist in Buganda, der Flughafen ist in Buganda, es ist das Zentrum von allem. Und das hat zu einer Menge Ressentiments und Hass geführt. Als Kind habe ich immer gewusst, dass die Baganda gehasst werden.
Wie hat sich das bemerkbar gemacht?
Man hörte Sprüche wie „Ein guter Baganda ist ein toter Baganda“. Für mich als Baganda war es wichtig, die Geschichte zu verstehen. Woher kommt der Hass? Es ist eine Kritik an den Baganda. Aber eine, die aus Liebe herrührt. Natürlich können wir den Kolonisatoren die Schuld geben, dass sie uns die Flausen mit der Zivilisierung in den Kopf gesetzt haben. Aber meine Aufgabe als Autorin ist es, zu den Menschen zurückzugehen und zu sagen: Wartet mal. Mit welchen falschen Bezeichnungen labeln wir Menschen? Welche Mythen haben wir über andere Ethnien geschaffen, die falsch sind?
In den 1970er Jahren, in denen der Roman spielt, ist Idi Amin in Uganda an der Macht. Sie sind in den 1960er Jahren geboren. Wie hat sich das Regime auf Ihre Kindheit und Jugend ausgewirkt?
Ich erinnere mich daran, dass man für Zucker anstehen musste. Alles, was im Ausland hergestellt wurde, fehlte, weil wir mit niemandem mehr Handel trieben. Das bedeutete viel Leid. Doch das Elementarste passierte mir 1987. Mein Vater hat in einer Bank als Manager gearbeitet. An einem Tag kam ein Armeegeneral in die Bank, um Geld abzuheben. Aber er hatte nicht genug auf seinem Konto. Mein Vater, unvorsichtig wie er war, schaute den Kerl an und sagte: „Wenn du nicht genug Geld auf deinem Konto hast, kannst du das Geld, das du verlangst, nicht bekommen.“
Was geschah dann?
Als er nach Feierabend herauskam, wurde er verhaftet und gefoltert. Wir hatten Glück, dass wir einen Onkel hatten, der in der Armee war und ihn fand. Aber mein Vater war danach nicht mehr derselbe. Das passierte, als ich acht oder neun war. Seine Schwester zog mich auf, und meine Geschwister gingen zu anderen Teilen der Familie, die sich nicht leisten konnten, sie zur Schule zu schicken. Wir waren eine richtige Mittelklassefamilie gewesen. Und plötzlich war unser Leben weg.
Sie gingen weiter zur Schule und versuchten sich dort bereits an Theaterstücken. Was waren die Themen?
Ich vermute, die ersten Stücke handelten von Liebe und Liebeskummer? Worüber sollte ein Teenager sonst schreiben? Glauben Sie, ich habe mich mit Politik oder großen existenzialistischen Themen beschäftigt? Nein, ich habe über Jungs geschrieben, die Mädchen betrügen.
Sie arbeiten heute nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch als Dozentin. Beeinflusst die Lehre das Schreiben?
Oh ja! Beim Unterrichten an der Universität habe ich wahrscheinlich mehr über das Schreiben gelernt als bei meinen Master- und Promotionsarbeiten. Weil man eine Position des Wissens innehat. Man bereitet sich viel mehr vor. Und wenn man kreatives Schreiben unterrichtet, ist das Schreiben der Studierenden roh, ich meine roh!
Roh?
Ihnen wurde von der Verlagsindustrie noch nicht auf die Finger geschlagen, sodass sie immer noch glauben, sie können mit Literatur die Welt verändern. Deshalb ist es für mich eine wunderbare Sache, wenn ich zu dieser Art des Schreibens zurückkehre. Weil es mich daran erinnert, woher ich komme und was ich eigentlich tun wollte. Einige der schönsten Texte, die ich lese, sind von Studierenden. Aber sie werden nicht oft veröffentlicht. Das ist der Schmerz des Lehrens. Dann liest man, was veröffentlicht wird, und es ist tot. Studierende machen alle möglichen verrückten Dinge. Das ist das Einzige, was mich wieder zum Unterrichten bringt. Denn jetzt, nachdem ich dreimal redigiert wurde, schreibe ich bereits auf eine sehr makellose, gute Art. Ich glaube nicht, dass das sehr hilfreich für kreatives Schreiben ist. Man muss rau sein. Man muss roh sein, neu, einfach mit allem kämpfen. Und das ist es, was Studierende beim Schreiben tun.
Seit 2001 leben Sie in England. Nach Ihrem Dissertationsroman „Kintu“ haben Sie den Kurzgeschichtenband „Manchester Happend“ herausgebracht – worum geht es da?
In der Vergangenheit haben Menschen, wenn sie ausgewandert sind, Briefe geschrieben. Sie haben Fotos gemacht und sie mit in einen Umschlag gesteckt. Meine Kurzgeschichten sind Briefe nach Hause. Ich wollte Menschen sagen: „Das ist, was du denkst? So ist es nicht.“
Und wie war es?
Als meine Mutter mich besuchen kam, wollte sie an der Wohnung nebenan klopfen und sagen: „Hallo, ich bin Jennifers Mum.“ Wir hatten dieses Bild von Großbritannien, das wir in Filmen, Büchern und Songvideos gesehen haben. Es sagt einem nicht, wie die Welt der Arbeiterklasse in Großbritannien aussieht. Die Armut, der Rassismus. Jetzt ändert sich das. Aber als ich hierher kam, hatte ich keine Ahnung. Ich wollte den Leuten zu Hause sagen: „Wir sind nicht reich. Wir sind absolut arm.“ Wenn man nach Europa kommt, lebt man andersherum mit dem Uganda, das man zurückgelassen hat. Man hegt und pflegt es. Dann kehrt man zurück – und es ist nicht mehr da. Die Menschen haben sich weiterentwickelt, die Sprache hat sich weiterentwickelt. Da habe ich gedacht, ich muss diese Geschichten aufschreiben. Einige von ihnen sind meine Erfahrungen.
Es gibt noch nicht viele Übersetzungen ugandischer Autorinnen auf dem internationalen Buchmarkt. Dabei blüht in Uganda, besonders in Kampala, die Literaturszene.
Das ist neu. Und ich bin so stolz und erleichtert, dass das passiert. Vor allem die Kurzgeschichte floriert, sie ist schnell redigiert und schnell veröffentlicht. Die meisten von uns, die jetzt Schriftsteller sind, sind ganz anders aufgewachsen, mit anderen Erwartungshaltungen. Unsere Eltern bestanden darauf, dass man Arzt oder Anwalt wird, weil da am Ende ein Job war.
Bei Ihnen war das auch so?
Als ich von zu Hause wegging, habe ich niemandem gesagt, dass ich Kreatives Schreiben studiere. Meine Mutter fragte: „Was willst du werden?“ Ich sagte: „Ich werde Schuldirektorin.“ Als ich meinen Doktor machte, kam ich zurück und sie fragte wieder: „Was willst du damit werden?“ Ich sagte: „Dozentin an der Universität.“ Sie sagte: „Okay.“ Erst als ich den Commonwealth-Preis gewann, sagte meine Familie: „Was, du hast geschrieben? Wir hatten ja keine Ahnung.“
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