Uefa vergibt EM 2024: „Chance, über Rassismus zu reden“
Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir erklärt, warum Deutschland die EM 2024 austragen wird und erzählt von einem besonderen Stadionbesuch.
taz: Herr Özdemir, Sie sind am Freitag auf dem Staatsbankett. Rechnen Sie mit einer miesen Stimmung? Es gibt ja auf jeden Fall einen Verlierer.
Cem Özdemir: Erdoğan hat versucht, im Vorfeld seines Deutschland-Besuchs schön Wetter zu machen. Doch das kann nicht über die katastrophale Menschenrechtslage in der Türkei und die Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaat hinwegtäuschen. Deshalb enthält die türkische EM-Bewerbung auch keinen Menschenrechtsbericht, was hätte man auch reinschreiben sollen? Das wäre entweder eine Enzyklopädie gewesen oder ein leeres Blatt, und sie haben sich für das leere Blatt entschieden. Aus meiner Sicht ist es nach Putins WM-Spektakel unvorstellbar, dass jetzt Erdoğan eine Propagandashow veranstalten kann. Nach objektiven Bewertungskriterien kann die Entscheidung also nur für Deutschland ausfallen.
Wir sind erstaunt, dass Sie sich da so sicher sind. Die letzten großen Turniere haben gezeigt, dass Evaluierungs- und Menschenrechtsberichte keine Bedeutung haben. Warum sollte es diesmal anders sein?
Tatsächlich ist eine Sitzung des Uefa-Exekutivkomitees kein grüner Bundesparteitag oder eine taz-Mitgliederversammlung. Die EM-Vergabe entzieht sich in höchstem Maße der Transparenz. Nicht nur als Politiker, sondern vor allem auch als Fußballfan wünsche ich mir da eine transparentere Entscheidungsfindung. Trotzdem hoffe ich, dass die Uefa sich nicht die Blöße geben wird, die Menschenrechtslage im gastgebenden Land völlig zu vernachlässigen.
Freuen Sie sich denn, wenn Deutschland den Zuschlag bekommen sollte?
Aber sicher würde mich das freuen. Zumal ich aus Sicherheitsgründen momentan nicht in die Türkei gehen kann und einen fußballbegeisterten Sohn habe. Aber wir haben ja vielleicht schon davor die Gelegenheit, ein Spiel live zu erleben, bei der Europameisterschaft 2020 in 13 Austragungsstätten. Eine geniale Idee, das könnte ich mir gut für die Zukunft vorstellen. Das wäre auch eine gute Gelegenheit, den einen oder anderen EU-Beitrittskandidaten auf dieser Ebene einzubeziehen.
Das heißt aber, Sie freuen sich trotz der Özil-Affäre und trotz DFB-Chef Reinhard Grindel?
Fußball ist Gott sei Dank mehr als die Özil-Affäre und Herr Grindel.
52, war während der Jamaika-Sondierungen als Außenminister im Gespräch. Jetzt sitzt er für die Grünen-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Die türkisch-deutschen Beziehungen sind eines seiner Schwerpunkt-Themen.
Es wäre ja auch ein Erfolg für Herrn Grindel.
Wir lassen uns den Fußball nicht kaputt machen. Die Özil-Affäre hat nicht gerade die Nachwuchsarbeit erleichtert. Aber ich hoffe, jeder hat seine Lektion daraus gelernt. Das Foto von Lothar Matthäus mit Putin fehlte mir übrigens in der öffentlichen Empörung, die doch sehr auf Özil und Gündogan gerichtet war. Und Teil 2 des Skandals war der Umgang des DFB mit der Affäre. Spätestens, als die Kritik ins Rassistische schwappte und die AfD sich dieser Geschichte bemächtigte, wäre ein klares Stop-Signal vom DFB wünschenswert gewesen.
Für wie glaubwürdig halten Sie diese Bewerbung mit Herrn Grindel an der Spitze?
Ich hoffe, Herr Grindel hat seine Lehren gezogen aus der Özil-Affäre. Es bleibt der Schaden. Ich höre von Übungsleitern an der Basis, dass es nun schwerer ist, junge Leute mit Migrationshintergrund für den Fußball zu begeistern. Und zu sagen: Wenn ihr euch anstrengt, steht euch der Weg zur deutschen Nationalelf offen. Auf der anderen Seite hat Erdoğan das Foto nicht nur gemacht, um seine Enkelkinder zu beeindrucken. Ihm ging es um Wahlkampf und um die EM-Vergabe. Erdoğan sieht den Fußball auch als ein Mittel, um Deutschtürken für sich zu gewinnen.
Nun instrumentalisiert nicht nur Erdoğan den Fußball, sondern auch die deutsche Politik, namentlich Angela Merkel, die sich zum Beispiel mit dem Nationalteam in der Kabine fotografieren lässt.
Es gehören immer zwei dazu: Eine Bundeskanzlerin, die da rein geht und sich gerne mit schwitzenden Männern ablichten lässt, und Fußballer, die sich ablichten lassen – das sind ja erwachsene Männer.
Also wären Sie für ein Kabinenverbot von Angela Merkel? Oder wie sollen die Spieler sich wehren?
Nein, soweit würde ich nicht gehen. Die Spieler könnten ja auch ihre Sympathien für die Grünen äußern. Aber im Ernst: Ein Selfie mit einer demokratisch gewählten Kanzlerin ist doch etwas völlig anderes als das Foto mit einem Despoten mitten in dessen Wahlkampf.
Haben Sie sich für solche Sympathien mit Tayfun Korkut fotografieren lassen?
Das ist der Trainer meines Vereins, dem VfB Stuttgart. Das Foto ist zufällig entstanden weil ich ein Spiel bei Sky kommentiert habe und er nach mir mit einem Interview dran war. Ich war stolz wie Bolle, dem VfB-Trainer die Hand geben zu dürfen. In einem solchen Moment bin ich in erster Linie Fan.
Der Kicker hat unter das Bild geschrieben: Korkut lässt sich mit Özdemir fotografieren. Es war also umgekehrt.
Das habe ich nicht gelesen, ernsthaft?
Ja.
Naja, ich empfand das anders. Das Ganze war ja nach meiner AfD-Rede im Bundestag. Ich sollte das Spiel kommentieren und hatte mich vorbereitet, mit Fußballwissen glänzen zu können. Das Problem war nur: Die Journalisten wollten alles von mir wissen, nur nichts über Fußball. Aber eines werde ich mein Leben lang nicht vergessen: Nach dem Interview bin ich am Spielfeldrand entlang gegangen. Da sind die Fans aufgestanden und haben geklatscht wegen der AfD-Rede. Und das sind keine Fans, die alle schon auf dem Parteitag der Grünen waren. Sie haben gesagt: Es war super, dass du es denen mal gezeigt hast.
Ist das nicht auch ein politischer Profit, den man aus dieser Annäherung an den Fußball zieht?
Das ist nicht politischer Profit. Das war wirklich ein Gänsehautmoment und ein tolles Lob, das mir viel bedeutet: Wenn du tagtäglich diese AfD-Gestalten im Bundestag siehst und damit leben musst. Und dann siehst du da noch ein anderes Deutschland: Diese Menschen, die sich bei aller Unterschiedlichkeit hinter einen stellen, der nicht Hans oder Eberhard heißt, sondern so ein Ötzelbrötzel-Namen trägt wie ich. Und die in dem Moment sagen, der sprach auch für uns und das im Fußballstadion. Damit habe ich nicht gerechnet, das hat mich bewegt.
Fehlt der deutschen Euro-Bewerbung nicht eine Vision? Man könnte das Turnier doch beispielsweise mit ehrgeizigen ökologischen Zielen verbinden.
Man muss fairerweise sagen, sie haben mit dem Ökoinstitut ein Nachhaltigkeitskonzept für die EM 2024 vorgelegt. Das hätten sie nicht gemusst, weil es leider kein verbindliches Kritierium ist. Menschenrechte sind es immerhin.
Sehen Sie eine Vision? Das Motto „United by football“ ist recht nichtssagend.
Ja, wie das bei Mottos oft so ist. Gemessen an der Türkei ist, glaube ich, die deutsche Bewerbung gut begründbar. Es wäre natürlich weltfremd, einfach das Sommermärchen wiederholen zu wollen und so zu tun, als hätte sich seither nichts geändert. Im Zusammenhang mit der WM-Vergabe 2006 stehen Vorwürfe von Korruption und Schmiergeldzahlungen im Raum. Und inzwischen haben wir die AfD im Bundestag sitzt. Da kann man nicht spurlos dran vorbeigehen. Positiv formuliert ist das auch eine Chance, das Thema Rassismus gerade in den unteren Ligen zum Thema zu machen. Und die Nachhaltigkeit muss künftig ein verbindliches Kriterium bei der Vergabe sein.
Wie sollte Deutschland reagieren, wenn die Türkei den Zuschlag bekommt?
Die Nationalmannschaft sollte natürlich auf dem Spielfeld ihr Können zeigen. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sich die Strukturen bei der Uefa und der Fifa grundlegend ändern.
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