Über die beiden Erben der Loveparade: Wieder einer dieser Spinner sein
Loveparade mausetot? Von wegen. Dr. Motte hat sich mit dem Rave-the-Planet-Event etwas Neues ausgedacht. Und der Zug der Liebe ist ja auch noch da.
S tundenlang zu Technomusik tanzend durch die Straßen ziehen – diese Demonstrationsform wurde bekanntlich in Berlin erfunden. Man nannte es Loveparade. Eigentlich dachte man ja, die sei mausetot, nachdem es zu diesem tragischen Ereignis in Duisburg gekommen war, wohin der Technoumzug irgendwann verfrachtet wurde.
Aber das war ganz offensichtlich falsch gedacht. Vor drei Wochen rief Loveparade-Erfinder Dr. Motte zum Rave-the-Planet-Event in Berlin, und es kamen mehr als 200.000 Leute. Und nun fragen sich viele, wie sich dieser Erfolg erklären lässt.
Ist es Nostalgie? Ein Stück weit wohl schon. Es war auffällig, dass viele der Rave-the-Planet-Raver alt genug waren, um noch die Loveparade selbst erlebt zu haben. Das allgemeine Neunziger-Revival hat einfach die Erinnerung an Zeiten verstärkt, in denen es so richtig losging mit Techno, vor allem in Berlin. Eine Dokuserie über die Entwicklung von Techno und House in Deutschland, derzeit in der ARD-Mediathek, und eine Ausstellung im Kraftwerk, die das 30-jährige Jubiläum des Technoclubs Tresor feiert, zeugen davon.
Aber ich denke, dass der Grund fürs Techno-Paraden-Revival ein anderer ist. Ich glaube, die Idee von Dr. Motte ist einfach zu gut, um sie für immer tot erklären zu können. Zu lauter Musik auf der Straße zu tanzen hat eine ungemein befreiende Kraft. Ich war auf der Loveparade und auf der Fuckparade, und jedes Mal hat es sich ziemlich irre angefühlt. Alle möglichen Leute, nicht wenige echte Freaks, versammelten sich auf Straßen, die extra für den herrlichen Quatsch gesperrt wurden, und wollten gemeinsam eine gute Zeit haben.
Und es fühlte sich gut an, wenn die Spießer am Straßenrand komisch schauten und sich fragten, was das denn für ein Aufzug von Spinnern ist. Ich freue mich, dass ich nun wieder einer von diesen Spinnern sein kann.
Gequatsche von Liebe und Weltfrieden
Es ist ein wenig gemein, dass Dr. Motte, der mit seinem Gequatsche von Liebe und Weltfrieden nerven kann, alle Aufmerksamkeit bekommt. Dabei versucht schon seit 7 Jahren der Zug der Liebe ebenfalls, das Erbe der Loveparade auf seine Weise zu verwalten. Allerdings nicht annähernd so erfolgreich. Bis zu 50.000 Raver kamen immerhin schon einmal zu einem Zug der Liebe, nach Polizeiangaben waren es im letzten Jahr allerdings nur noch 4.000.
Wobei das vielleicht nicht fair ist, da der Umzug in einem harten Pandemiejahr stattfand. Am 27. August, an dem wieder zum Zug der Liebe gerufen wird, werden sich bestimmt wieder mehr einfinden.
Beim Zug der Liebe soll übrigens nicht einfach nur getanzt werden, sondern ebenso für Tier- und Umweltschutz und allerlei Begrüßenswertes mehr. Damit auch die mitmachen, denen es nicht reicht, einfach nur eine gute Zeit zu haben auf einem Straßenrave.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen