Dokureihe über elektronische Clubmusik: „Tanz dich frei“

Die ARD-Doku „Techno House Deutschland“ erzählt solide von elektronischer Clubmusik. Doch Neues erfährt man dabei kaum.

Portrait

Seit 1999 ein DJ-Duo: Lexy und K-Paul Foto: Nico Wöhrle/MDR

Wie das Lebensgefühl in den frühen Jahren von House und Techno war? Darauf haben die Prot­ago­nis­t:in­nen der achtteiligen Reihe „Techno House Deutschland“ ähnlich gelagerte Antworten. „Es ging eigentlich nur ums Tanzen. Tanzen, tanzen, tanzen“, sagt Klaus Stockhausen, einst bekannter DJ des Clubs Front in Hamburg. „Alles, was neu und frisch war, wurde eingeatmet und ausgetanzt.“ Der Frankfurter Star-DJ Sven Väth spricht hingegen von Räumen, „wo man sich entfalten kann und den Alltag hinter sich lässt“. Die Türsteherin Iris Harder – ebenfalls aus Frankfurt/Main – bringt es auf die 6-Worte-Formel: „Tanz dich frei, lass alles raus“.

Um Befreiung ging es ganz wesentlich, als die elektronischen Musikstile in den Acht­zigern und Neunzigern aus ­Detroit und Chicago nach Deutschland schwappten und zu großen (sub-)kulturellen Phänomenen wurden. Befreiung von der DDR-Diktatur, Befreiung von der BRD-Disziplinargesellschaft. Derzeit findet eine neue Welle der Historisierung und Musealisierung dieser Epoche statt: im April eröffnete das Museum of Modern Electronic Music (MOMEM) in Frankfurt am Main, in diesen Tagen erscheint mit „Trance“ von Leonhard Hieronymi ein Buch, das sich der Main-Szene widmet, und in der ARD startet eingangs erwähnte Dokumentation.

Die Koproduktion von HR, RBB, SWR und MDR setzt auf das Standard-Oral-History-Format, bei dem DJs, Ver­an­stal­te­r:in­nen und andere Szenemenschen berichten, während historisches und aktuelles Material aus den Clubs eingeblendet wird. Die ersten vier Teile behandeln die Szenen in Frankfurt, Berlin, Hamburg und München von damals bis heute. Zwei Episoden sind der Club- und Festivallandschaft im Osten der Nachwendezeit gewidmet, zwei weitere dem Festival Nature One im Hunsrück.

Die ersten vier Episoden sind kulturelles Bildungsfernsehen im besten Sinne. Sehr vollständig wird erzählt, wie die elektronische Musik nach Deutschland kam, wie sie über Frankfurt und Berlin zum Massenphänomen wurde und was in der Rückschau fragwürdig wirkt (zum Beispiel, dass es fast eine reine Männerkultur war).

„Techno House Deutschland“, acht Episoden, ab Freitag, 29. Juli., in der ARD Mediathek und am 31. Juli, 23.40 Uhr, ARD

Dazu werden Pioniere wie Alan D. Oldham (DJ T-1000) oder der DJ/Label-/Clubbetreiber Ata interviewt, weibliche DJs wie Monika Kruse, Ipek und Anja Schneider kommen zu Wort, während die jüngere Generation (Franziska Berns, Jakojako) erzählt, wie sie die damalige Zeit geprägt hat. Auch im Techno komme der alte Sound zurück, meint Alan D. Oldham: „Viele der jungen Talente sind zu jung für die 90er, sie machen ihre eigenen 90er.“

Die vier Teile kommen nicht ohne Auslassungen aus. So spielt etwa der tiefste Underground Berlins eher keine Rolle, auch die Kölner Szene kommt etwas zu kurz – es wird von weitgehend bekannten Phänomenen erzählt. Dafür arbeiten die Au­to­r:in­nen fast pflichtbewusst verschiedene Aspekte ab: die schwarzen und queeren Wurzeln des Techno, die Kommerzialisierung, feministische Ansätze, den Techno-Jetset, die Situation nach der Pandemie. Nur filmisch ist der ständige Wechsel zwischen den O-Tönen der Prot­ago­nis­t:in­nen und den Dance­floor­szenen recht monoton (die Settings gleichen sich sehr oft). Insgesamt bieten diese Episoden einen guten Überblick.

Dagegen fallen die vier anderen Teile etwas ab. Auch über Techno im Osten lernt man sehr viel, alle relevanten Clubs und Festivals der Nachwendezeit kommen vor. Die inflationär verwendeten Stimmen der Prot­ago­nis­t:in­nen bieten allerdings nicht viel Mehrwert, es bleibt nur hängen, dass es eine geile Zeit war, in der es eben viele Freiräume gab. Zum Teil porträtieren die Au­to­r:in­nen eher die Prot­ago­nis­t:in­nen und ihre Familien (inklusive Kitschfaktor) – was aber sozial, politisch und gesellschaftlich passiert ist, fangen sie nicht ein.

In den letzten beiden Teilen zum Nature-One-Festival fragt man sich, warum dieses Festival – das fraglos als großes Massen­event relevant ist – derart stark gewichtet wird. Da wirkt die Reihe zusammengeschustert. Sich dem Thema ein weiteres Mal zu widmen, ist in Ordnung – zwar scheinen die 90er in Berlin dann doch mal langsam auserzählt, aber das trifft eben auf andere lokale Szenen nicht zu. Schade ist, dass es so wenig überraschende Seitenpfade in der Reihe gibt und sie so konventionell erzählt wird.

Neue Standards in der Historisierung von Techno und House setzt sie nicht – für Nachgeborene, die die Geschichte der Clubkultur kennenlernen wollen, eignet sie sich trotzdem.

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