Über Fußball, Fans und Verbundenheit: Das R in Leipzig
Ein ostdeutscher Klub soll Herbstmeister der Bundesliga sein? Unsinn! RasenBallsport alias RedBull repräsentiert anderes.
U m das einmal klarzustellen: Nein, Leipzig ist nicht Herbstmeister! Es ist nicht die sächsische Großstadt, ihre Fußballkultur oder die dortige Stadtgesellschaft, die sich nun, nach dem 17. Spieltag der Fußballbundesliga, als eine Art halber Deutscher Meister feiern lassen darf.
Herbstmeister ist vielmehr RB Leipzig, das die einen mit „Red Bull“ übersetzen, die anderen, gerne mit einer gewissen hämischen Distanz versehen, als „RasenBallsport“ aussprechen. Leipziger Fußball aber ist die Konkurrenz zwischen Lokomotive und Chemie. Das sind die Traditionsklubs, die beide schon ihre Anläufe unternommen hatten, halbwegs im Profifußball mitzuhalten – Lok unter dem Namen VfB Leipzig sogar eine Saison lang in der ersten Bundesliga.
Während diese beiden Klubs – und mehr noch: ihre Anhänger – sich die alten Schlachten liefern, die man von Fußballfans kennt und erwartet, steht RB Leipzig für eine neue Form der Vergesellschaftung des Fußballs. Da ist dieser Sport nicht einmal mehr ansatzweise eine Bühne proletarischer Öffentlichkeit, wo sich Menschen, für die in der übrigen Kultur kein Platz ist, präsentieren können und wo sie sich so lange behaupten konnten.
Vielmehr ist RB das, was so mancher Traditionsklub wie Dortmund oder Schalke gerne wäre, wenn er nicht noch seine lautstarken und trinkfesten Fans hätte: ein lukratives Freizeitmodell für die ganze Familie, wo diese ganze Samstagnachmittage im Konsumrausch verbringen kann. Eine starke Marke auf dem Weltmarkt des Merchandising und der TV-Rechte. Eine Fabrikationsstätte der Fußballware mit sympathischem Image.
Wie RB nach Leipzig kam, kann, wer will, fußballhistorisch nacharbeiten: von der 2009 erfolgten faktischen Übernahme des fünftklassigen SSV Markranstädt über die Versuche, den Verein RedBull zu nennen, bis hin zu Champions-League-Teilnahme und, ganz frisch, Herbstmeisterschaft.
Das einstmals größte Stadion Deutschlands
Man kann diese RB-Landung in der Stadt aber auch verstehen, schaut man sich das Stadion an, die „Red Bull Arena“. Die ist nämlich als moderner Fußballtempel quasi wie ein gelandetes Raumschiff mitten in das alte Zentralstadion gesetzt worden. Eine Fußballkultur, die von außen, von oben dort platziert wurde, wo einst mit 100.000 Plätzen 1956 das damals größte Sportstadion Deutschlands erbaut wurde.
Dass also derzeit in der Bundesliga ein Repräsentant Ostdeutschlands, ja, gar der ehemaligen DDR nun fußballerisch groß herauskommt, lässt sich am Beispiel Leipzig nun wirklich nicht behaupten. Die alte – und meist dumme – Floskel, ein Fußballabstieg sei „schlimm für die Region“, wird im Falle RB nie zu hören sein. Nicht dass dieser Klub vor einem Abstieg gefeit wäre; wenn der österreichische Konzern das Geld herauszieht, geht das sehr schnell. Sondern weil RB den Weltmarkt repräsentiert, mit Filialen in New York, dem brasilianischen Bragantino, Salzburg und eben dem Wirtschaftsstandort Leipzig.
Wenn je im Fußball die Region abgestiegen ist, dann war das 2009, als Energie Cottbus die Erste Liga (und 2014 dann die Zweite Liga) verlassen musste. Oder 2008, als dieses Schicksal Hansa Rostock ereilte. Die hatten mit ihren Fans, mit ihren Klubführungen, mit ihren Stadien, mit ihren Vereinsnamen noch für das alte Modell der Vergesellschaftung des Fußballs gestanden; die waren noch gesellschaftliche Repräsentanten Ostdeutschlands.
RB, das in dem für die WM 2006 gebauten Raumschiff spielt, wurde also Herbstmeister, nicht Leipzig.
Fairplay fürs freie Netz
Auf taz.de finden Sie unabhängigen Journalismus – für Politik, Kultur, Gesellschaft und eben auch für den Sport. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Inhalte auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich leisten kann, darf gerne einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wolfram Weimers Genderverbot
Weg mit dem Wokismus
Sprache in Zeiten des Kriegs
Soll man das Wort „kriegstüchtig“ verwenden?
Bürgergeld
Union und SPD setzen auf Härte gegen Arbeitsverweigerer
CDU-Politikerin Saskia Ludwig
Diskutieren bei einer Gruselshow in Ungarn
Weniger Verkehrstote in Helsinki
Tempo 30 rettet Leben
Wahlrecht in Deutschland
Klöckner will Reform der Reform