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Über Fußball, Fans und VerbundenheitDas R in Leipzig

Martin Krauss
Kommentar von Martin Krauss

Ein ostdeutscher Klub soll Herbstmeister der Bundesliga sein? Unsinn! RasenBallsport alias RedBull repräsentiert anderes.

Für wen spielen die Roten Bullen eigentlich Fußball? Foto: Thissen/dpa

U m das einmal klarzustellen: Nein, Leipzig ist nicht Herbstmeister! Es ist nicht die sächsische Großstadt, ihre Fußballkultur oder die dortige Stadtgesellschaft, die sich nun, nach dem 17. Spieltag der Fußballbundesliga, als eine Art halber Deutscher Meister feiern lassen darf.

Herbstmeister ist vielmehr RB Leipzig, das die einen mit „Red Bull“ übersetzen, die anderen, gerne mit einer gewissen hämischen Distanz versehen, als „RasenBallsport“ aussprechen. Leipziger Fußball aber ist die Konkurrenz zwischen Lokomotive und Chemie. Das sind die Traditionsklubs, die beide schon ihre Anläufe unternommen hatten, halbwegs im Profifußball mitzuhalten – Lok unter dem Namen VfB Leipzig sogar eine Saison lang in der ersten Bundesliga.

Während diese beiden Klubs – und mehr noch: ihre Anhänger – sich die alten Schlachten liefern, die man von Fußballfans kennt und erwartet, steht RB Leipzig für eine neue Form der Vergesellschaftung des Fußballs. Da ist dieser Sport nicht einmal mehr ansatzweise eine Bühne proletarischer Öffentlichkeit, wo sich Menschen, für die in der übrigen Kultur kein Platz ist, präsentieren können und wo sie sich so lange behaupten konnten.

Vielmehr ist RB das, was so mancher Traditionsklub wie Dortmund oder Schalke gerne wäre, wenn er nicht noch seine lautstarken und trinkfesten Fans hätte: ein lukratives Freizeitmodell für die ganze Familie, wo diese ganze Samstagnachmittage im Konsumrausch verbringen kann. Eine starke Marke auf dem Weltmarkt des Merchandising und der TV-Rechte. Eine Fabrikationsstätte der Fußballware mit sympathischem Image.

Wie RB nach Leipzig kam, kann, wer will, fußballhistorisch nacharbeiten: von der 2009 erfolgten faktischen Übernahme des fünftklassigen SSV Markranstädt über die Versuche, den Verein RedBull zu nennen, bis hin zu Champions-League-Teilnahme und, ganz frisch, Herbstmeisterschaft.

Das einstmals größte Stadion Deutschlands

Man kann diese RB-Landung in der Stadt aber auch verstehen, schaut man sich das Stadion an, die „Red Bull Arena“. Die ist nämlich als moderner Fußballtempel quasi wie ein gelandetes Raumschiff mitten in das alte Zentralstadion gesetzt worden. Eine Fußballkultur, die von außen, von oben dort platziert wurde, wo einst mit 100.000 Plätzen 1956 das damals größte Sportstadion Deutschlands erbaut wurde.

Die Red Bull Arena ist wie ein Raumschiff, das im alten Zentralstadion gelandet ist.

Dass also derzeit in der Bundesliga ein Repräsentant Ostdeutschlands, ja, gar der ehemaligen DDR nun fußballerisch groß herauskommt, lässt sich am Beispiel Leipzig nun wirklich nicht behaupten. Die alte – und meist dumme – Floskel, ein Fußballabstieg sei „schlimm für die Region“, wird im Falle RB nie zu hören sein. Nicht dass dieser Klub vor einem Abstieg gefeit wäre; wenn der österreichische Konzern das Geld herauszieht, geht das sehr schnell. Sondern weil RB den Weltmarkt repräsentiert, mit Filialen in New York, dem brasilianischen Bragantino, Salzburg und eben dem Wirtschaftsstandort Leipzig.

Wenn je im Fußball die Region abgestiegen ist, dann war das 2009, als Energie Cottbus die Erste Liga (und 2014 dann die Zweite Liga) verlassen musste. Oder 2008, als dieses Schicksal Hansa Rostock ereilte. Die hatten mit ihren Fans, mit ihren Klubführungen, mit ihren Stadien, mit ihren Vereinsnamen noch für das alte Modell der Vergesellschaftung des Fußballs gestanden; die waren noch gesellschaftliche Repräsentanten Ostdeutschlands.

RB, das in dem für die WM 2006 gebauten Raumschiff spielt, wurde also Herbstmeister, nicht Leipzig.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte
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23 Kommentare

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  • Lok und Chemie Leipzig Traditionsvereine? Die stehen in der Tradition der damaligen Diktatoren, die diese gründen ließen und manchmal ganze Mannschaften von Nord nach Süd tauschten. Das war so wie RB, bloß aufs ganze Land bezogen. Wer wo spielte, Meister wurde, absteigen mußte wurde von oben bestimmt. Es spricht schon etwas Ahnungslosigkeit aus dem Kommentar.

  • 0G
    07954 (Profil gelöscht)

    RB Leipzig ist Herbstmeister. Herzlichen und ehrlichen Glückwunsch dazu. Weiter so...

  • Hier kann man eine ganz besondere Form von Unverschämtheit beobachten.



    Nach dreißig Jahren Wende gibt's endlich einen Ostdeutschen Verein. Nach oben gekommen durch die reine Lehre der Marktwirtschaft.

    RB steht, neben den Westdeutschen Nazis, für die wenigen Dinge die es über die Grenze geschafft haben. Stößchen!

  • &!Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - 🥚j🥚-

    “ (Zeitungs-)Enten-Tanz taz.de/Ueber-Fussb...ndenheit/!5647628/







    Verbundenheit,,, und Verschwundenheit: "Leipziger Fußball aber ist die Konkurrenz zwischen Lokomotive und Chemie. "



    Und was ist nun der Unterschied zwischen Chemie und "RedBull"?

    kurz - Leipziger Allerlei -

  • Man hätte noch erwähnen können, dass der "Verein" bloß aus ein paar ausgewählten "Mitgliedern" besteht (lt. wiki derzeit 17!) und gar kein Interesse an weiteren besteht.



    Die würden dann wohl auch nur nerven, wenn es um die Durchsetzung von Vereins- bzw. Konzerninteressen geht.



    Und die Möglichkeit, die Spieler je nach Entwicklungsstand zwischen den verschiedenen weltweit verteilten RB-Filialen hin- und herzuschieben, hat ebenfalls kein anderer Verein.



    Das ist alles schon grenzwertig, bei allem berechtigten Lob über die Spielweise.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ob es wohl auf diesem Erdenball in einem weit entfernten Winkel so etwas wie die letzte "natürliche Unschuld" gibt? Vielleicht auf den Jungferninseln?

    Das Vergangene und Verlorene kann - je nach eigenem Wertekanon - betrauert oder bejubelt werden. Vielleicht auch nur achselzuckend zu Kenntnis genommen. Das Zeitalter der Nischen geht zuende.

    Was RB Leipzig betrifft: über das Organisationsmodell lässt sich streiten. Die Ansehnlichkeit des Fussballs ist für mich unstrittig. Fast wie meine alte Liebe Borussia Mönchengladbach 1970ff. retro. Timo Werner wie einst Alan Simonson.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      "Ob es wohl auf diesem Erdenball in einem weit entfernten Winkel so etwas wie die letzte "natürliche Unschuld" gibt? Vielleicht auf den Jungferninseln?"



      Die gibts in jedem Tümpel und Vorgarten (und evt. ja auch schon mal in Betlehem)



      ;-)



      de.wikipedia.org/wiki/Parthenogenese

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @schuhwerfer:

        Danke.

        Sie helfen mir damit - wenigstens kurzfristig - zu neuem Wissen. In meinem Alter mit unsicherer Wirkung.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Mehr kann man nicht verlangen!



          War halt plötzlich im Kopf und musste raus.

  • Wenn der moderne Fußball familienfreundlich und weltoffen ist, ist das ja wohl besser, als der homophobe, auf einem veralteten Männlichkeitsbild, Gegröhle, Gewalt und Alkoholkonusum basierende Proletenfußball, der hier unterschwellig propagiert wird und den es leider immer noch viel zu viel gibt. Die Frage ob etwas "ost" oder "west" ist, finde ich 30 Jahre der Wende ziemlich langweilig, der Osten ist heute genauso kaptialistisch, wie der Westen - und das ist auch ganz gut so.

  • Wer meint, der BVB oder Schalke wären noch Vereine der Arbeiterklasse, der ist mächtig auf dem Holzweg. Auch dort ist alles durchkommerzialisiert, jeder Einwurf wird von irgendeinem Sponsor präsentiert. Für Tickets, Verpflegung und einen Einkauf im Fanshop legt man als Familie ordentlich was hin. Bei den Underdogs wie dem SC Freiburg, Mainz 05 oder dem FC Augsburg geht es da noch ein bißchen ruhiger zu - aber die Bundesliga ist allgemein ein völlig durchkommerzialisierter Rummel geworden.

    Leider hat die Liga dadurch sehr an Attraktivität verloren. Wenn ein Verein die Liga über Jahrzehnte dominiert und nur noch die Vergabe der EuropaLeaguePlätze und der Abstiegskampf wirklich spannend ist, verliert das umworbene Publikum früher oder später das Interesse.

    Vielleicht wendet sich dann der eine oder andere wieder seinem lokalen Amateurclub zu. Oder findet wieder einen Ex-Bundesligisten spannend, der in die Regionalliga abgestürzt ist. Dort hat man vor der ständigen Werbung Ruhe - und kann auch mit Kindern hingehen, ohne ein halbes Monatsgehalt dafür ausgeben zu müssen.

    Unterstützt euren lokalen Verein. Und lasst Red Bull halt Red Bull sein. Das ist nichts anderes als eine neue Marke in der Bundesliga - und von der Sorte werden wir langfristig wohl noch mehr bekommen.

    • @Celtic:

      Ja, die Liga wird von kommerziellen Interessen getrieben. Gut ist aber, dass der Sport besser wird, da bessere Sportler gekauft werden können. Statt sich nun dem lokalen Verein in der 4. oder 5.Liga hinzuwenden, kann man sich auch wieder dem Sport zuwenden. Das wird aber für den Normalkonsumenten immer schwieriger, das viel zu viele Berichte und Kommentare sich um Pro und Contra Kommerz, Fans, Ultras, Trainerentlassung, etc. kümmern.

  • Fußball ist seit jeher ein Brot-und-Spiele-Zirkus. Früher diente es politischen (Macht-)Interessen und dann eben kommerziellen (Macht-)Interessen. Mit den Menschen die aus Freude am Sport, der Bewegung an frischer Luft und Geselligkeit in der Freizeit kicken hat das beides m.E. nie viel zu tun gehabt.

  • Amüsant ist der Kommentar leider gar nicht. RB Leipzig ist nach 17 Spieltagen erster der Bundesliga und bei gerade einmal zwei Seiten Leibesübungen sind das die Gedanken dazu? Die sind schon seit Jahren bekannt und durch Wiederholung werden sie nicht spannender. Mittlerweile interessiert mich aber auch mal, was RB so alles richtig macht, denn das ausreichend Geld noch keinen Erfolg garantiert, kennen Vereine wie z.B.der BVB. Oder was muss passieren dass ein Spieler wie Poulsen von der dritten bis zur ersten Liga immer spielt? Oder dass Nagelsmann den Fußball noch einmal besser gemacht hat. Wären eher so sportliche Fragen, für die man neben seiner eigenen Meinung aber auch mal recherchieren muss. Erwarte ich aber von bezahltem Journalismus. Diese Meinung oben lese ich auch auf Transparenten in den Kurven Deutschlands (nur weniger Worte).

    • @Viocoelen:

      Sehe ich genauso! Die Kritik am Megageschäft Fußball ist berechtigt, einerseits. Andererseits bietet die Champions League enormen Unterhaltungswert und es ist einfach falsch, zu behaupten, mit hohen Investitionen ist ein Verein automatisch an der europäischen (und damit an der Welt-) Spitze.

      • @Megatazaner Probil:

        Eben. Wer in der letzten Saison Liverpool gegen Barcelona in der CL gesehen hat, weiß, wie geil teurer Fußball sein kann und wie hart der Job ist, da hin zu kommen.

  • Fußball ist auch viel Emotion.



    Die Emotion mit Blick auf RB Leipzig ist häufig nur Neid. Frustration über mangelnde Erfolge des favorisierten Clubs. Sponsorgeld nehmen alle Clubs - aber nicht alle sind effizient.

  • Ich finde es ehrlich gesagt etwas realitätsfremd und putzig, den vermeintlichen Unterschied zwischen Traditionsverein und Retortenklub weiter zu bespielen. Der BVB ist eine AG, Schalke wird von Gazprom gesponstert und die sympathischen Bremer von einem der größten Tierquälerkonzerne Wiesenhof. Die Zeiten der 11 Freunde sind vorbei im Profifussball. Dass das noch nicht jeder verstanden hat, wird auch deutlich, wenn wieder ein böser "Söldner" den Verein wechselt, den der eigene "Traditionsverein" mit 15 Jahren einem unterklassigen Verein weggekauft hat und ihn nun als eiegene Jugend verbucht. Leipzig und Hoffenheim haben mit ihrem Konzept und ihrer Spielweise die LIga bereichert. Ist Bayer Leverkusen irgendwie besser? Oder haben sich da alle nur schon dran gewöhnt? Glyphosat oder Koffeinzuckerpampe?

    • @achim gehrke:

      Das Problem ist doch, dass im Mittelpunkt und der Grund für die Existenz von RedBull Leipzig eine Marketing Strategie ist. Denen geht es um den Verkauf ihres widerlichen Gesöffs. Das steht im Mittelpunkt und nicht der Fußball. Die anderen Vereine existieren, weil sich ein paar Fußball Freunde entschieden haben, einen Fußball Verein zu gründen. Und da dort hohe Kosten entstehen, muss man auch eine Möglichkeit finden, wie man alles finanziert. Aber der Grund der Existenz ist die Leidenschaft zum Fußball und keine Verkaufszahlen.Und schon allein die Art und Weise, diese so tun als ob, mit wenig Mitteln und Bescheidenheit, aber mit einem hervorragenden Konzept der Erfolg kam, vertuscht nur das lt. Transfermarkt.de die Dosen in den letzten 5 Jahren ein Transferbilanz Defizit wie die Bayern haben. (Stolze 170 Millionen!!!) Und das bei einem Verein, der kaum TV oder CL Gelder bekam, Klar, steht ja auch ein Milliardenkonzern dahinter. Schade, so wird Fußball erst richtig kaputt gemacht.

  • Ich bin wahrlich kein Fußballfan. Ich muss ihnen mit ihrer Analyse aber widersprechen. Fußball ist egal wo ein kommerzielles Ereignis. Ob jetzt mit Tradition oder ohne, es geht ums Geld verdienen. Alles andere ist Augenwischerei.

  • Aha. Aber solche Vereine funktionieren nunmal und haben auch ihre Fans. Hoffenheim hat seine Fans aus der Region, Leipzig aber auch. Kann einem ja gefallen oder nicht. Aber deswegen ist es doch ein ostdeutscher Klub. Oder würde das nur zählen, wenn kein Riesenkonzern dahinter stünde, sondern in der DDR verankerte Tradition? So ein Quatsch. Hab auch noch nie was von CC Leipzig gehört, äh Club-Cola Leipzig.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    "Dass also derzeit in der Bundesliga ein Repräsentant Ostdeutschlands, ja, gar der ehemaligen DDR nun fußballerisch groß herauskommt, lässt sich am Beispiel Leipzig nun wirklich nicht behaupten."

    Das stimmt nur, wenn wir "ostdeutsch" weiter mit dumpf, gewalttätig und erfolglos gleichsetzen. Die beiden anderen Leipziger Clubs versuchen sich ja beständig in diesen drei Disziplinen zu überbieten.

    Welche Menschen gehen denn zu RBL ins Stadion? Sind das etwa alles zugereiste Erfolgsfans? Ich glaube nicht. RBL ist der einzige Repräsentant des geografischen Ostens, der es im Geschäft Bundesliga geschafft hat. Das sollten wir anerkennen, anstatt dem Stumpfsinn der anderen hinterher zu trauern.

  • Ich finde diesen Kommentar beinahe schon amüsant, wie süß, es glaubt hier wirklich jemand dass es einen Unterschied gibt zwischen einem Traditionsverein und einem Retortenverein. Die Leipziger RB-Fans wollen guten Fußball sehen, um das tun zu können braucht man aber einen Großunternehmenssitz in der Stadt. Zumindestens stehen diese Fans ehrlicher zu ihrem unechten Verein als die Fans von "Traditions" Fußballvereinen die noch nicht erkannt haben dass es sich in erster Linie um Werbeunternehmen handelt und der Fußball ein Geschäft ist.