US-Linke bei den Midterms: Make America Left Again
Bei den Midterms haben die Demokraten besser abgeschnitten als erwartet. Warum das Ergebnis auch ein Erfolg der amerikanischen Linken ist.
Was ist die Geschichte dieser Midterms? Es gibt viele: Die rote Welle der Republikaner blieb bei den US-Kongresswahlen aus, auch weil einige von Donald Trumps Kandidaten schwächelten. Trotzdem werden dem Repräsentantenhaus bald noch mehr Republikaner angehören, die sich hinter Trumps Lüge von der gestohlenen Präsidentschaftswahl stellen.
Die Demokraten haben voraussichtlich die Mehrheit in mindestens einer Kammer des Kongresses verloren, aber insgesamt besser abgeschnitten als gedacht. Inflation und Abtreibungsrechte waren die dominierenden Themen der Wahlen, an denen so viele junge Menschen teilnahmen wie lange nicht mehr.
Schaut man etwas genauer hin, gibt es Entwicklungen, die Hoffnung machen. Vieles spricht dafür, die Midterms auch als einen Erfolg der US-Linken in der Demokratischen Partei zu bezeichnen. An zahlreichen Orten wurden nämlich gerade offensiv-emanzipatorische Kampagnen mit positiven Ergebnissen belohnt.
Ein Beispiel ist der Wahlkampf von Summer Lee, die im 12. Wahlbezirk von Pennsylvania, in Pittsburgh und Umgebung, das Rennen für sich entscheiden konnte. Lee trat mit einer klaren Vision an, die einzelnen Punkte hat sie immer wieder betont: eine staatliche Krankenkasse für alle, ein Green New Deal, eine Reform des Justizsystems, Stärkung der Gewerkschaften.
„Lasst uns weitermachen!“
Radikal kann man solch ein Programm nennen oder eben vernünftig, angekommen in der Realität. Von einer Mehrheit der US-Bevölkerung werden die Forderungen, mit denen Lee antrat, laut Umfragen jedenfalls schon länger unterstützt.
Ein ganzes Jahr dauerte Lees Wahlkampf. Sie musste es zunächst in den Vorwahlen der Demokraten mit einem konservativen Parteigenossen aufnehmen, den das Partei-Establishment unterstützte. Ein umkämpftes Rennen, das sie knapp gewann. In den Hauptwahlen traf die 34-Jährige dann auf den Republikaner Mike Doyle, einen Hardliner, der Abtreibungen kriminalisieren und Immigration aufhalten will.
Lee kämpfte aber nicht allein. Unterstützt wurde sie von progressiven Organisationen wie den Justice Democrats, der Working Families Party und dem Sunrise Movement, die ihre Mitglieder zur Mobilisierung von Tür zu Tür schickten. Der große Aufwand war vor allem deshalb nötig, weil Lee eine Reihe konservativer Lobbygruppen mit reichlich Kapital gegen sich hatte, Gruppen, die vieles wollten, aber sicher keine linke Schwarze Frau im Parlament.
Im Januar wird Lee nun ins Repräsentantenhaus in Washington einziehen. „Wir haben gezeigt, wie eine echte Bewegung der Arbeiter*innenklasse in diesem Land aussehen kann“, sagte sie am Wahlabend. „Lasst uns weitermachen! Wir können uns nicht leisten, auch nur einen Tag freizunehmen“, fuhr sie fort. „Na gut, einen Tag schon, aber nicht zwei“, schob sie hinterher.
Mobilisierung von links
Eine Mobilisierung von links konnte auch in anderen Landesteilen wichtige Erfolge feiern. In Kentucky wurde der Versuch, ein Abtreibungsverbot in der Verfassung zu verankern, von der Mehrheit der Wähler*innen abgelehnt. Verschiedene linke Bewegungen hatten sich dort im Vorfeld über Monate hinweg koordiniert, konnten so genug Leute für ein Nein aktivieren. In Kalifornien, Michigan und Vermont stimmten die Wähler*innen dafür, das Abtreibungsrecht über die Landesverfassung zu schützen.
In Illinois wurde per Volksabstimmung eine Gesetzesänderung erreicht, die Gewerkschaften strukturell stärkt. Das Gleiche wird für Michigan erwartet, wo das Parlament zum ersten Mal seit 40 Jahren in die Hände der Demokraten wechselt. Historisch auch das Resultat einer Initiative in New Mexico, die dazu geführt hat, dass Eltern dort nun ein Recht auf kostenlose Kleinkinderbetreuung haben. In diversen anderen Staaten wurde Marihuana entkriminalisiert und der Mindestlohn angehoben.
Haben die Leute eine Chance, direkt über konkrete Inhalte zu entscheiden, das wurde bei diesen Midterms deutlich, wird diese Chance oft emanzipatorisch genutzt. Dazu kommt, dass dort, wo Kandidat*innen mit einem glaubwürdigen, mutigen Programm für mehr soziale Gerechtigkeit angetreten sind, meist Siege herauskamen. Summer Lee ist nur einer von vielen Namen, die man im Kopf behalten sollte.
Namen, die man sich merken sollte
Da wäre Greg Casar, 33 Jahre alt und Sozialist, der in seinen Jahren im Stadtrat von Austin als Stimme für Arbeiterinnen- und Mieterrechte aufgefallen war und nun für Texas ins US-Repräsentantenhaus ziehen wird.
Da wäre Delia Ramirez, 39, die aktuell noch im Parlament von Illinois sitzt und davor jahrelang für wohnungslose Menschen gekämpft hat. Sie wurde ebenfalls neu in den Kongress gewählt.
Und da wäre Maxwell Frost, Jahrgang 1997 und bis vor Kurzem Uber-Fahrer, der in Florida als Aktivist gegen Waffengewalt bekannt geworden ist und nun als erster Vertreter der Generation Z in Washington Politik machen wird.
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Diese vier werden den sogenannten Squad erweitern, wie sich die kleine Fraktion linker Abgeordneter um Alexandria Ocasio-Cortez nennt, von denen alle bei den Midterms wiedergewählt wurden. Zusammen mit den wenigen linken Senatsmitgliedern, insbesondere natürlich Bernie Sanders, bilden sie eine Kraft, die zwar auch innerhalb der Demokratischen Partei weiterhin klein ist, aber mit jeder Wahl wächst.
Wenn es eine Hoffnung auf Neuorientierung der Demokratischen Partei gibt, dann ist es dieser Flügel, sagt der Soziologe Jonathan Smucker, der sich mit sozialen Bewegungen beschäftigt. Während die Demokraten viel zu lange Politik „für wohlhabende Leute in den Vororten“ gemacht hätten, sei durch den Squad deutlich geworden, was die Partei mal war und auch wieder sein könnte: „Eine Partei, die sich an den Bedürfnissen von normalen arbeitenden Menschen orientiert“, sagt Smucker, der sich in Pennsylvania für die Demokraten im Wahlkampf engagierte.
Freier, zukunftszugewandter, lustvoller
In den großen Medien wurden bislang vor allem die Biografien der neuen linken Kongressmitglieder betont: Sie sind unter 40, nicht-weiß und kommen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte. Politisch bedeutsamer ist allerdings, dass Lee, Casar, Ramirez und Frost sich mit einer Agenda durchgesetzt haben, die sich vom Mainstream der Partei klar unterscheidet.
Sie verfolgen eine Politik, die freier ist, da von Unternehmensspenden unabhängig, zukunftszugewandter, weil der Klimawandel ihr ganzes Handeln rahmt, lustvoller, was man in der Kommunikation und den Kampagnen spürt, und ja, in dem Sinne auch radikaler, weil sie nicht nur Symptome abschwächt, sondern die materiellen Lebensbedingungen der Menschen dauerhaft verändern will.
Darauf angesprochen, dass Texas ein Bundesstaat der Republikaner sei, sagte Greg Casar in einem TV-Interview in der Wahlnacht: „Texas ist kein roter Staat, es ist ein unterorganisierter Staat.“ Marxistische Analyse ist dieser Generation spürbar lieber als moralische Distinktion.
Verfolgt man die linken Wahlerfolge der vergangenen Jahre zurück, zeigt sich eine entscheidende Dynamik. Die einzelnen Kandidaturen wurden von Anfang an von außerparlamentarischen Organisationen unterstützt. Beeindruckend ist vor allem die Bilanz der Justice Democrats, 2017 von Aktivist*innen aus dem Bernie-Sanders-Team gegründet, die sich in jedem Wahljahr auf eine Handvoll Kandidat*innen konzentrieren und diese strategisch und finanziell begleiten. Ohne die Justice Democrats würde es den Squad nicht geben.
„Das Terrain weniger feindlich gestalten“
Breiter in der Masse und lokal verankerter wirken die Democratic Socialists of America, kurz DSA, die seit 2016 von unter 10.000 auf knapp 100.000 Mitglieder gewachsen sind. Bei den diesjährigen Midterms seien 77 Prozent der unterstützten Kandidat*innen erfolgreich gewesen, sagt Kristian Hernandez, die im texanischen Dallas wohnt und Teil des Vorstandes der DSA ist. „Wir sind mittlerweile besser in der Führung von Wahlkämpfen.“
Immer deutlicher sei in den vergangenen Jahren aber auch geworden, dass man sich nicht nur dort einmischen dürfe, wo es bereits linke Strukturen und Aussicht auf baldigen Erfolg gibt. „Wir haben eine Verantwortung als größte sozialistische Organisation“, sagt Hernandez. Manchmal gehe es schlicht darum, „das Terrain weniger feindlich zu gestalten“.
Sie meint die Bundesstaaten, in denen Republikaner an der Macht sind und immer gezielter demokratische Mechanismen außer Kraft setzen. „Minority rule“ nennt sich das: autoritäre Regierungen, die über den Willen der Wählenden hinweg entscheiden. Allein an dieser Konstellation zeigt sich: Die Bedingungen für linke Politik in den USA sind immer noch prekär.
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