US-Historiker über den 4. Juli 1776: „Die USA sind ein rassistisches Land“
Die Amerikanische Revolution gilt als Geburtsstunde der Demokratie. Sie war aber eine Gegenrevolution und hat die Sklaverei befördert, sagt Gerald Horne.
taz: Am Freitag feiern die USA mit Feuerwerken und Partys ihre Unabhängigkeit. Der 4. Juli 1776 gilt als Beginn von Freiheit und als Tag fortschrittlicher Revolution. Sie hingegen sprechen von Konterrevolution. Warum?
Gerald Horne: Wegen der Sklaverei. Unmittelbarer Auslöser für den 4. Juli 1776 war die Tatsache, dass London sich auf die Abschaffung der Sklaverei zubewegte. Das hätte zahlreiche Vermögen auf dem nordamerikanischen Festland gefährdet, die im Süden auf der Sklaverei und im Norden auf dem Sklavenhandel basierten.
Ging es in der Amerikanischen Revolution denn nicht um Steuern und Religionsfreiheit?
1776 war ein Schlag gegen die Monarchie und gegen das göttliche Recht von Monarchen. Es markiert den Waffenstillstand in den sogenannten Religionskriegen, die Europa jahrhundertelang erschüttert hatten: das protestantische London gegen das katholische Frankreich und gegen das katholische Spanien und alle zusammen gegen jene, die keine Christen waren. Aber auf der anderen Seite hat 1776 das Recht der europäischen Siedler auf den Besitz von Menschen bestätigt und verstärkt. Das Thema verschob sich dann von Religion zu race. Leute mit Wurzeln vom Atlantik bis zum Ural bekommen Privilegien. Jene, die nicht weiß sind, bekommen den Knüppel.
Warum wollte London die Sklaverei abschaffen?
Sein Hauptkonkurrent Spanien hat seit dem 16. Jahrhundert Afrikaner bewaffnet. Die Spanier höhlten die Gewinne des britischen Empires in den Amerikas schnell aus. Der Wendepunkt war 1741 die Schlacht von Cartagena im heutigen Kolumbien. Mit Unterstützung von Truppen afrikanischer Herkunft haben die Spanier dort die „Redcoats“ [die Soldaten der britischen Armee; Anm. d. Red.] geschlagen und die spanische Vorherrschaft in dieser Hemisphäre gesichert.
Cartagena ist weit weg von den USA.
Florida [das bis 1819 zu Spanien gehörte; Anm. d. Red] hat flüchtigen Sklaven Asyl geboten und sie bewaffnet. Immer wieder zogen bewaffnete Afrikaner von Florida aus über die Grenze nach South Carolina, um dort zu brandschatzen. Das hat die Spaltung zwischen London und den europäischen Siedlern vertieft. Letztere verfolgten ein Entwicklungsmodell, das jede Bewaffnung von Afrikanern ausschloss, indem Afrikaner im Wesentlichen Sklaven waren.
geboren 1949, lehrt an der Universität Houston und ist Autor von „The Counter-Revolution of 1776: Slave Resistance and the Origins of the United States of America“.
Sie beschreiben die europäischen Siedler als homogene Gruppe. Aber es gab doch Unterschiede zwischen dem Norden, wo es wenige Sklaven gab, und dem Süden, dessen Wirtschaft auf Sklavenarbeit basierte.
Sie irren. Zwei der größten Sklavenaufstände auf dem nordamerikanischen Festland vor 1776 gab es in Manhattan: 1721 und 1741. Außerdem war der Sklavenhandel hauptsächlich aus New York, Rhode Island und Massachusetts finanziert. Dabei blieb es auch, nachdem die USA im Jahr 1807 zugestimmt hatten, den internationalen Sklavenhandel zu beenden.
Wer hielt 1776 an der Sklaverei fest?
Die Sklavenbesitzer. Die Händler. Und die Großhändler. Nur eine Minderheit der europäischen Siedler war gegen die Sklaverei. Das oft beschriebene, starke Gefühl unter den weißen Siedlern auf dem nordamerikanischen Kontinent, die Abschaffung der Sklaverei betreffend, gab es nicht.
Weshalb hielten die Siedler an der Sklaverei fest?
Die Profite stiegen um bis zu 1.700 Prozent. Das begünstigte andere Industrien wie Banken, Versicherungen, Schiffsverkehr. Da sind enorme Vermögen entstanden. Die Anfänge des Reichtums in Nordamerika basieren auf dem Landraub von Ureinwohnern und auf der Sklaverei. Die Ideologie, wonach Afrikaner nicht wirklich menschlich waren, hat dieses Profitstreben erleichtert.
Welche Rolle haben afrikanische Sklaven und freigelassene freedmen in der Amerikanischen Revolution gespielt?
Mehrheitlich waren sie gegen die Siedler und haben auch gegen sie gekämpft. Natürlich gab es einige, die auf der Seite der Siedler standen. So wie heute einige Schwarze für die Republikaner stimmen.
Wie hat die Amerikanische Revolution das internationale Sklavengeschäft verändert?
Der transatlantische Sklavenhandel hat sich intensiviert. Die neu entstandenen USA haben ihn ausgebaut. Nach 1776 haben sie ihre alte Kolonialmacht verdrängt und den Sklavenhandel auch nach Kuba und Brasilien ausgedehnt. Dort übernahmen ihn die USA im Wesentlichen von Spanien und Portugal. Der Sklavenhandel blieb ein Streitpunkt zwischen Washington und London. Als London im 19. Jahrhundert versuchte, ihn zu bremsen, führte das 1812 zum Krieg. Damals kämpfen Afrikaner erneut auf der Seite Großbritanniens. Im August 1814 halfen sie, Washington D. C. zu brandschatzen.
Wie hat die Unabhängigkeit den Alltag von Sklaven in den USA verändert?
Ihr Los verschlechterte sich. Der reichste Staat, Virginia, wurde ein Zuchtstaat, wo Sklaven gezüchtet wurden wie Vieh. Sie wurden zu Fußmärschen über Hunderte von Meilen in den Süden gezwungen. Es kam zu Konflikten. All das klingt bis heute in den race relations nach. Die afroamerikanische Bevölkerung spürt weiterhin die Verletzung – nicht nur durch die Sklaverei, sondern auch dadurch, wie sie in den Geschichtsbüchern behandelt wird. Als wäre es 1776 nicht um sie gegangen. Und als hätten sie nicht gegen die Siedler gekämpft.
Die USA haben einen afroamerikanischen Präsidenten. Aber auch Obama spricht nicht über das Festhalten der Amerikanischen Revolution an der Sklaverei. Wie erklären Sie sich das?
Die Euroamerikaner sind auf eindrucksvolle Weise und quer über alle Klassengrenzen rückwärtsgewandt. In einem Staat wie Mississippi stimmen neun von zehn Euroamerikanern rechts. Sie wollen nicht an die verabscheuungswürdige Rolle der Siedler erinnert werden und drohen Obama mit einem Amtsenthebungsverfahren. Wer weiß, was passieren würde, wenn Obama begänne, über die Sklaverei zu spräche.
US-amerikanische Historiker haben sich kritisch mit den Revolutionen in Frankreich, Russland und Kuba auseinandergesetzt. Warum nicht auch mit der eigenen?
Es mag viele Gründe geben, weshalb Historiker diese Geschichte nicht erzählen. Wer sich an die Regeln hält, kann in den amerikanischen Vororten ein schönes Leben führen.
Auch andere Kolonialmächte profitierten von der Sklaverei. Weshalb sind die unabhängigen Länder, die sie hinterlassen haben, etwa Spanien oder Portugal, so anders als die USA?
In Kuba hat es ein Verschmelzen des Kampfes gegen die Sklaverei mit dem spanischen Kolonialismus gegeben. Dies trifft zu einem gewissen Grad auch auf Mexiko zu. In den USA hingegen waren die beiden Ziele konträr. Die führenden Figuren im Kampf gegen Kolonialismus waren zugleich Sklavenbesitzer. Diese Republik basierte auf dem Recht, andere Menschen zu versklaven. Es überrascht nicht, dass das zu einem konservativen Vorgehen geführt hat.
Warum haben Sie sich entschieden, darüber zu forschen?
Ich bin afrikanischer Herkunft. Ich weiß, dass die USA ein rassistisches Land sind. Ich habe mit dem 20. Jahrhundert begonnen, dann musste ich einfach weiter zurückgehen. Die Geschichte des 18. Jahrhundert war schrecklich.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihren Forschungen 238 Jahre nach der Amerikanischen Revolution oder Gegenrevolution?
Ich hoffe, dass mein Buch das schwere Leben von Afroamerikanern beleuchtet – auch in der Gegenwart. Sie sind überrepräsentiert bei Todesurteilen und Hinrichtungen, überrepräsentiert in den Gefängnissen. Und kürzlich kam heraus, dass schwarze Kleinkinder häufiger von der Vorschule suspendiert werden.
Ein Teil der Erklärung ist, dass Menschen afrikanischer Herkunft 1776 gegen die Proklamation der sogenannten Republik gekämpft haben und dass sie sich auch gegen das Apartheidregime – die „Jim-Crow-Gesetze“ zur Rassentrennung – gewehrt haben, das auf die Abschaffung der Sklaverei im Inneren der USA im Jahr 1865 gefolgt ist. Die Sieger bestrafen jene, die gegen sie gekämpft und verloren haben. Das ist Teil dessen, was heute der afroamerikanischen Bevölkerung passiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“