US-Demokraten: Aus Hoffnung kann Zauber werden
Niemand kann vorhersagen, ob es wirklich klappt mit Kamala Harris als erster US-Präsidentin. Doch der Verzicht von Joe Biden hat Energien freigesetzt.

W er sich festlegen will, ob Kamala Harris oder Donald Trump am 5. November die US-Wahl gewinnen wird: „Be my guest“, würden US-Amerikaner.innen sagen. Mit einem skeptischen „Wenn du meinst, nur zu“ ließe sich das sinngemäß übersetzen. Denn eine Jubelwoche macht noch keine Siegerin und eine unfallfreie Rede der Gekürten noch keine Präsidentin. Doch der Kamala-Rausch, in den sich die Demokraten in der abgelaufenen Woche auf ihrem Parteitag in Chicago hineingejubelt haben, birgt trotzdem eine gute Botschaft, eine, die über die USA hinausweist.
Die ehemalige First Lady Michelle Obama formulierte es so: „Etwas wundervoll Magisches liegt in der Luft, ein vertrautes Gefühl, das viel zu tief viel zu lang begraben war. Ihr wisst, wovon ich spreche. Es ist die ansteckende Kraft der Hoffnung, wieder einmal an der Schwelle eines helleren Tages zu stehen. Amerika, Hoffnung hat ein Comeback.“ US-Pathos, natürlich – nur hat diese ansteckende Hoffnung mit dem Phänomen Kamala Harris sogar den Sprung über den Atlantik geschafft. Seit US-Präsident Joe Biden nach innigem Bitten und flehentlichem Betteln seinen Rückzug von einer erneuten Kandidatur bekannt gegeben und Harris gleich noch als seine Nachfolgerin positioniert hat, scheint aller Zweifel vergessen.
Die erste Erleichterung über den Rückzug von Biden hat nicht einer Ernüchterung, sondern vielmehr einer Begeisterung Platz gemacht. Vergessen scheint, dass Harris nicht die Wunschkandidatin der gesamten Partei war, vergessen, dass der Vizepräsidentin Schwächen zur Last gelegt werden: fehlendes politisches Gespür, dürftiges thematisches Profil, mangelnde Bühnentauglichkeit. Sogar das Menetekel eines Trump-Siegs ist – für den Moment – in den Hintergrund gerückt. Doch warum all das?
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Menschen wollen Hoffnung, nicht Unheil. Es gibt diesen großen Teil der Gesellschaft, der gerade jetzt auf Hoffnung wartet. Und wenn die Konstellation stimmt, werden solche starken Kräfte frei. Bis vor wenigen Wochen schien kein Weg an einer zweiten Trump-Präsidentschaft vorbeizuführen. Diverse Gruppen arbeiten längst an Plänen für den Ernstfall, bereiten sich auf das vor, was unter Trump aus Zivilgesellschaft und progressivem US-Amerika werden könnte. Aber Hoffnung mobilisiert. Für den Moment hat Harris in der Wähler.innengunst aufgeholt, wo Joe Biden unterzugehen drohte. Frauen und junge Menschen insbesondere wenden sich Harris zu, auch Schwarze, Latinas und Latinos.
Das sind Momentaufnahmen, wird dem entgegnet, der Trend ist wendig, und statistische Ungenauigkeiten wiegen einen Vorsprung von drei oder vier Prozentpunkten locker auf. Kein Widerspruch. Aber Hoffnung mobilisiert – und kann die politische Wirklichkeit verändern. Denn, so unglaublich es scheint, eine Chance zumindest besteht jetzt, dass der nächste US-Präsident eine Präsidentin ist. Mit einer Kandidatin, die nicht der Liebling aller führenden Demokraten und Demokratinnen war und bestimmt nicht als zündend galt, kann nun tatsächlich eine Wende eingeleitet werden. Vielleicht war Kamala Harris da einfach nur zur rechten Zeit am richtigen Ort.
Starkes Echo aus Deutschland
Nicht nur den Vereinigten Staaten dräuen noch immer weniger helle Tage. Auch unsere Gesellschaft droht von innen ausgehöhlt zu werden und zu verrohen. Auch die politischen Entwicklungen, auf die wir hier zuvörderst blicken, wecken nicht gerade das, was man als Hoffnung bezeichnen würde: der Krieg in der Ukraine, das unmenschliche Drama in Gaza. Die Europawahl ist – mit mehr Zittern als Zuversicht – nicht zugunsten der rechten Kräfte ausgegangen, und was am kommenden Wochenende bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen recht sicher passieren wird, gibt viel Anlass, hoffnungslos zu werden.
Der Klimawandel führt dabei sogar eher ein Schattendasein. Es gibt ihn aber auch hier, diesen großen Teil der Gesellschaft, der gerade jetzt auf Hoffnung wartet. Deshalb ist es vielleicht keine Überraschung, dass die Euphorie für die Kandidatur von Kamala Harris hier, in Deutschland, in Europa, ein so starkes Echo erzeugt hat. Natürlich.
Nur können die progressiven Teile der Gesellschaft daraus überhaupt irgendetwas ableiten? Konstellationen formen sich nun mal in politischen und historischen Umständen.
Man stelle sich einfach vor, Joe Biden wäre der Kandidat geblieben. Die Demokraten hätten nicht die Kraft und den Mut gehabt, ihn zum Rückzug zu bewegen. Es ist ein angsteinflößendes Szenario. Und es sagt vor allem eines: Festhalten am Bekannten, nur weil man Angst hat, das Neue könne schlechter sein, bringt ganz gewiss keine Hoffnung. Mut zur Disruption braucht es schon.
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