UN-Verhandlungen über Schiedsgerichte: Großer Reformbedarf
Ab Montag geht es in Wien um die Zukunft der Investitionsschutzklagen. Damit können Unternehmen von Staaten Schadenersatz eintreiben.
Konzerne können Staaten vor Schiedsgerichten verklagen, wenn sie ihre Interessen durch politische Entscheidungen beeinträchtigt sehen. Eines der bekanntesten Verfahren ist das von Vattenfall gegen die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs. Immer wieder werden Staaten etwa von Tabakkonzernen und anderen Unternehmen verklagt, wenn sie neue Regeln zum Gesundheits- oder Umweltschutz verabschieden.
Schiedsgerichte sind nach Angaben der EU-Kommission in rund 3.200 geltenden Abkommen verankert. Auch das transatlantische Handelsabkommen zwischen den USA und der EU hätte eine solche Klausel vorgesehen. Beim europäisch-kanadischen Freihandelsvertrag Ceta wurde der Teil zur Schiedsgerichtsbarkeit abgespalten, damit der Rest vorläufig in Kraft treten kann. Ob alle EU-Staaten die Ceta-Schiedsgerichte ratifizieren werden, ist unklar.
KritikerInnen betrachten die möglichen Investorenklagen als Paralleljustiz, die nur Konzernen zur Verfügung steht und nicht Staaten oder Verbrauchern. „Statt die Sonderrechte von großen Konzernen weiter auszuweiten, braucht es endlich verbindliche internationale Regeln zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in globalen Lieferketten“, fordert Lia Polotzek vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Für Samstag rufen der BUND, Attac, das Netzwerk für Gerechten Welthandel und weitere Organisationen zum Aktionstag „Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!“ auf. In Berlin vor dem KanzlerInamt, aber auch in Frankfurt, Köln, Hamburg, München und anderen Städten sind Aktionen geplant.
Mehr Transparenz nötig
Befürworter sagen, Schiedsgerichte seien ein wichtiges Instrument, um im Streitfall schnelle Entscheidungen zu erreichen. „Staaten unterwerfen sich diesen Regeln, weil sie Anreize für ausländisches Kapital setzen wollen“, sagt der Marburger Schiedsrechtsexperten und Juristen Reinmar Wolff. Komme es nach einer Investition etwa zu einer staatlichen Enteignung oder Übergriffen, sei es nicht sinnvoll, wenn Unternehmen vor nationale Gerichte ziehen müssten. Davon profitieren nicht nur Konzerne, sagt er. In Turkmenistan etwa hat das Militär die Hühnerfarm eines deutschen Geschäftsmanns geplündert, weil er das Verteidigungsministerium nicht an der Firma beteiligen wollte. Ein Investitionsschiedsgericht sprach dem Mann eine Entschädigung zu.
Reinmar Wolff
Auch Wolff sieht Reformbedarf. „Das Hauptproblem ist die mangelnde Transparenz“, sagt er. Das könne relativ leicht gelöst werden, indem Staaten der Mauritiuskonvention beitreten, die klare Transparenzregeln vorsieht. Das haben bislang allerdings erst Gambia, Kamerun, Kanada, Mauritius und die Schweiz getan.
Um Fragen der Transparenz wird es auch gehen, wenn ab Montag in Wien VertreterInnen aus 60 Staaten, die in die UN-Handelskommission gewählt wurden, über die Reform beraten. Die EU schlägt die Einrichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs mit einer Berufungsinstanz vor. Dieser könne „von allen interessierten Ländern in Anspruch genommen werden und würde in Streitigkeiten im Zusammenhang mit künftigen und bestehenden Investitionsabkommen entscheiden“, teilt die EU mit.
Langwierige Verhandlungen
Schiedsrechtsexperte Wolff geht davon aus, dass durch einen Gerichtshof Verfahren sehr aufwändig würden. „Denn damit würden drei Instanzen entstehen – die Entscheidung, die Berufung und möglicherweise die Rücküberweisung an die erste Instanz“, sagt er. Heute fällen die Investitionsschiedsgerichte eine einzige Entscheidung – und die ist verbindlich.
Gegen den Vorschlag der EU sind unter anderem die USA, Russland und Japan. Sie wollen mehr Gestaltungsmöglichkeiten für einzelne Staaten. Gleichzeitig stellt etwa Südafrika Klagemöglichkeiten von Investoren an sich infrage und plädiert für eine sozialökologische Reform der zwischenstaatlichen Handelsbeziehungen. Die Verhandlungen werden lange dauern. „Die UNCITRAL ist sehr konsensorientiert“, sagt Jurist Wolff. „Bislang hat es nur eine Handvoll Entscheidungen ohne 100 Prozent Zustimmung gegeben.“
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