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UN-Bericht zum Gazakrieg"In den Papierkorb der Geschichte"

Der UN-Sonderermittler Goldstone räumt Fehler im Gaza-Bericht ein. Beweise für die absichtliche Tötung von Zivilisten hätten nicht vorgelegen. Israel will die Annullierung.

Muss Fehler einräumen: Richard Goldstone. Bild: dpa

JERUSALEM taz | Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu würde den UN-Untersuchungsbericht zum Gazakrieg am liebsten wegwerfen. Der Vorsitzende der Kommission, Richter Richard Goldstone, der in seinem fast 600 Seiten umfassenden Bericht zum Krieg vor zwei Jahren Israel und die Hamas der Kriegsverbrechen beschuldigte, machte Ende letzter Woche deutliche Abstriche von seinen Vorwürfen gegenüber Israel. Fausi Barhoum, ein Sprecher der Hamas im Gazastreifen, vermutete, dass das Umdenken des Richters auf "jüdische Morddrohungen" zurückzuführen sei.

Die Rückschlüsse, Israel habe absichtlich Zivilisten getötet und verletzt, schrieb Goldstone in der Washington Post vom vergangen Freitag, bezögen sich auf "Situationen, für die unsere Untersuchungsmission keine Beweise hatte, um zu einem unterschiedlichen Ergebnis zu kommen". Er bedauerte, dass Israel die Untersuchung boykottierte. Neue Angaben der israelischen Streitkräfte deuteten darauf hin, dass die Soldaten nicht absichtlich zivile Ziele ausgewählt hätten. Dies war einer der schärfsten Vorwürfe in dem Bericht über den Gazakrieg 2008/2009.

Der Regierung in Jerusalem reicht das offene Eingeständnis Goldstones, Dinge fehleingeschätzt zu haben, nicht aus. Für Netanjahu gehört der Bericht annulliert und "ein für alle Mal in den Papierkorb der Geschichte".

Mehr als 1.400 Palästinenser waren während der gut dreiwöchigen Invasion der israelischen Truppen im Gazastreifen getötet worden, rund die Hälfte davon Zivilisten. In derselben Zeit starben auf israelischer Seite zehn Soldaten und drei Zivilisten. Der UN-Bericht forderte beide Seiten auf, eventuelle Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Israel solle, laut Empfehlungen des UN-Berichts, Unbeteiligten, die während des Krieges Schaden genommen haben, Wiedergutmachungen zahlen. An die Hamas appellierte Goldstone, den entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit umgehend wieder auf freien Fuß zu setzen.

Die Hamas mit einer Untersuchung zu beauftragen, räumte Goldstone in seinem Artikel ein, "mag ein missliches Vorhaben gewesen sein". Der pensionierte Richter lobte hingegen die israelischen Untersuchungen von über 400 Fällen eines möglichen Fehlverhaltens auf Seiten der Soldaten.

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17 Kommentare

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  • L
    Lucia

    >>Die Hamas mit einer Untersuchung zu beauftragen, räumte Goldstone in seinem Artikel ein, "mag ein missliches Vorhaben gewesen sein".

  • A
    Anna

    Viele schein zu ignorieren, dass Goldstone seinen Bericht keinesfalls zurücknimmt, wie schnell von der isrealischen Seite behauptet wurde und wird.

    Er hat nur wenige Teile des Berichts relativiert.

    Warum es dazu kam, darüber kann man spekulieren.

     

    Er sei durch die Hölle gegangen, seit er das Gutachten verfasst hat, berichten seine Freunde.

    Er wurde beschimpft und bedroht, erlebte einen einhelligen Boykott durch die jüdische Gemeinde.

    Er musste mehrmals seine Telefonnummer und E-mail-Adresse wechseln. Er musste aus Sicherheitsgründen sogar die Teilnahme an der Religionsmündigkeitsfeier seines Enkelsohnes in Israel absagen.

     

    Er litt sehr unter dieser "Hexenjagt" und war laut Aussage eines Freundes ein gebrochener Mann.

     

    Und nun nahm er Teile seines Gutachten zurück, nur wenige Tage nachdem der Uno-Menschenrechtsrat den Entwurf einer Resolution formulierte, durch die das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag den Goldstone-Report als juristische Grundlage für die Strafverfolgung israelischer Soldaten und Politiker nutzen sollte.

    Und sogleich prüft eine israelische Sonderkommission, ob es nun eine rechtliche Grundlage gibt diese Resolution zu stoppen...

  • Z
    zensursula

    darf aus der süddeutschen nicht zitiert werden? is ja nich zu glauben ...

  • JR
    Josef Riga

    @Senckbley et. al.

    Es bedeuted garnichts, dass keine Beweise für "absichtliches Töten" von Zivilisten gefunden wurden. D. h. nur, dass eben keine Dokumente gefunden wurden. Die Tatsachen bleiben: mörderischer Overkill bei jeder sich (dankbar) bietenden Gelegenheit gegen arabische Menschen, seit 1948!

    Das ist die Realität, und kein Papierkorb dieser Welt wird sie entsorgen koennen! Das ist der Skandal, an dem nicht zu deuteln ist. Es gibt für diese Gewalt keine Entschuldigung, denn Menschen sind keine Tiere, die sich auffressen müssen. Sie könnten zusammen in einem Staat leben, aber das wollen sie nicht. Lieber bringen sie sich gegenseitig um. Mit wem soll man da mehr Mitleid bekommen, mit den Tätern oder mit den Opfern?

  • W
    WahrheitIstAuchNurEinWort

    @MikaL

    das frage ich mich auch .....

     

    hier nochmal der vollständigkeit halber:

     

    "Die neuen Einschätzungen des renommierten Richters kamen auch für die Regierung in Jerusalem überraschend. Goldstone, der als Jude stets das Recht des jüdischen Staats auf Selbstverteidigung betonte hatte, war seit der Vorlage seines Berichts zum Ziel heftiger, auch persönlicher Angriffe geworden. Er wurde maßgeblich dafür verantwortlich gemacht, dass sich Israels Ansehen in der Welt nach dem Gaza-Krieg dramatisch verschlechtert hatte. Nun verlangte Präsident Schimon Peres von Goldstone eine Entschuldigung."

     

    quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/israel-bericht-zum-gaza-krieg-goldstone-nimmt-vorwuerfe-gegen-israel-zurueck-1.1080740

  • L
    Lucia

    >>Die Hamas mit einer Untersuchung zu beauftragen, räumte Goldstone in seinem Artikel ein, "mag ein missliches Vorhaben gewesen sein".

  • M
    MikaL

    Wieso muß die taz die Möglichkeit, dass hier "Einfluß"auf Herrn Goldstone ausgeübt wurde, zensieren? Ist der Gedanke...verboten?

  • K
    Katharina

    "ohne jegliches Zutun israelischen Behörden und proisraelischer Organisationen, diese haben in den ganzen zwei Jahren nicht versucht, mit ihm in Kontakt zu treten"

     

    Naja, abgesehen von der kleinen Schmutzkampagne, den Drohungen und dem Rufmord, denen er ausgesetzt war zumindestens. Macht ja auch nichts, wenn man als selfhating jew, als Antisemit und Verräter beschimpft wird und wenn die Familie mit reingezogen wird. Der Mann ist sicher ganz von alleine auf den Gedanken gekommen, dass er seinen professionellen Bericht in einem Op-ed relativieren sollte. Und das ausgerechnet, weil Israel ja so glaubwürdig seine Kriegsverbrechen untersucht hat...

     

    Der Mann kann einem nur leid tun.

  • B
    Boris

    die Knaul halt:

     

    "Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu würde den UN-Untersuchungsbericht zum Gazakrieg am liebsten wegwerfen."

    - Dass es vielleicht einen sachlichen Grund geben könnte, den Bericht tatsächlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, muss in Knauls Welt natürlich wieder erstmal auf eine bloße Meinung reduziert werden: "würde [...] am liebsten wegwerfen"

     

    "Der Vorsitzende der Kommission, Richter Richard Goldstone, der in seinem fast 600 Seiten umfassenden Bericht zum Krieg vor zwei Jahren Israel und die Hamas der Kriegsverbrechen beschuldigte, machte Ende letzter Woche deutliche Abstriche von seinen Vorwürfen gegenüber Israel."

    - schon nicht mehr zu hoffen, aber es taucht tatsächlich vor den (gar nicht so impliziten) Schmähreden gegen Israel etwas sachliches auf: Residuen dessen, was früher Journalismus hieß...

     

    "Fausi Barhoum, ein Sprecher der Hamas im Gazastreifen, vermutete, dass das Umdenken des Richters auf "jüdische Morddrohungen" zurückzuführen sei."

    - ...um dann aber auch bei erster Gelegenheit die Sache wieder ins rechte (oder linke) Licht zu rücken: die Verschwörungstheorien eines Hamassprechers dafür zu benutzen, gerade die Lügen (hier im Jargon äquivalent: "Meinung", "Perspektive", "andere Seite", "Ausgewogenheit"), die zumindest von Goldstone für einen Moment zurückgenommen wurden, wieder als Schema für die Deutung der Realität zu rehabilitieren, ist einfach zu naheliegend, als dass man sich auch nur eine Sekunde zurücknehmen müsste, sich von der Welt beeindrucken ließe, (Selbt-)Besinnung aufkommen lassen könnte und dann vielleicht doch aus Knauls Welt ausbräche.

     

    Dass es so weiter geht, ist hier nur anzumerken und nicht auszuführen.....

  • L
    Lucia

    >>Die Hamas mit einer Untersuchung zu beauftragen, räumte Goldstone in seinem Artikel ein, "mag ein missliches Vorhaben gewesen sein".

  • NF
    noch fragen?

    "Die neuen Einschätzungen des renommierten Richters kamen auch für die Regierung in Jerusalem überraschend. Goldstone, der als Jude stets das Recht des jüdischen Staats auf Selbstverteidigung betonte hatte, war seit der Vorlage seines Berichts zum Ziel heftiger, auch persönlicher Angriffe geworden. Er wurde maßgeblich dafür verantwortlich gemacht, dass sich Israels Ansehen in der Welt nach dem Gaza-Krieg dramatisch verschlechtert hatte. Nun verlangte Präsident Schimon Peres von Goldstone eine Entschuldigung."

     

    quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/israel-bericht-zum-gaza-krieg-goldstone-nimmt-vorwuerfe-gegen-israel-zurueck-1.1080740

  • TF
    Thomas Fluhr

    Wer('s) glaubt wird selig.

  • J
    JGO

    Es ist eigentlich egal was Richter Goldstone oder die israelische Regierung tun oder sagen.

    Fast 1.500 tote Zivilisten (darunter viele Frauen und Kinder) sprechen in meinen Augen eine eindeutige Sprache.

  • F
    Florentine

    Hi, hi, hi, diese "Wende" ist nun aber die "Wahrheit". Eine frei von "Druck", "Lobbyismus", "Einfluß" und "Erpressung" gefundene.

    Es gibt zwei Länder auf dieser Welt mit absoluter Narrenfreiheit, die sie vor dem Hintergrund des wirtschaftlich-politisch-militärischen 'Schirms' der USA ausleben: die USA selbst. Und eben Israel.Andere sollen vor irgendwelche Gerichtshöfe (Al-Baschir, Gaddafi...). Andere ....bekommen Friedensnobelpreise und dürfen fremdes Land annektieren.

  • D
    diktat

    es war mir klar,dass sie goldstone bald soweit haben,dass er den bericht als ein missverständniss hinstellt.es kann doch nicht wahrsein,dass die israelische armee über 1400 menschen tötet,dass sie phosphor sowie murmelbomben auf unschuldige zivilisten abwirft und dann noch behauptet,sie hätten nicht mutwillig zivilisten getötet.in den ausländischen medien waren berichte darüber,dass die IDF, zivilisten in ein gebäude gelockt haben,mit dem vorwand dort sein sie sicher und anschließen haben sie das gebäude in die luft gesprengt.wie kann ein UN-ermittler einfach so sein bericht zürückziehen.man kann davon ausgehen,dass goldstone und seine familie bedroht wurden und er(goldstone),deshalb den bericht als falsch hinstellt.das stinkt zum himmel.

  • S
    Senckbley

    Tja, GrünLinks hatte es sich so schön eingerichtet in der Vorurteilsecke, und jetzt das. Auch Goldstone hat sich von den potemkinschen Dörfern Paliwoods blenden lassen. Bin gespannt, ob hierzulande wenigstens ein paar Leute wach werden.

  • D
    Dimitri

    Der Goldstone-Bericht ist ein gutes Lehrstück für die rechten Israelis. Denn anstatt Goldstone von vornherein als antiisraelisch einzustufen und seine Kommission zu boykottieren, hätten sie mit ihm ehrlich zusammenarbeiten sollen, dann wäre der Bericht auch nicht so einseitig ausgefallen und hätte dem Ansehen Israels in der Welt womöglich sogar genützt. Stattdessen haben die israelischen Machthaber Israel auf der internationalen Bühne unermesslichen Schaden zugefügt, nur um nicht gegen die eigenen Soldaten ermitteln zu müssen. Aber ermitteln mussten sie dann doch und die Ergebnisse hätten eigentlich noch vor zwei Jahren in den UN-Kommissions-Bericht gehört, wo sie die meisten Vorwürfe gegen die israelischen Streitkräfte entwertet hätten. So war der israelkritische (aber keineswegs antiisraelische) Grundton des Berichts vorprogrammiert, denn von wem hätten denn die proisraelischen Argumente und Beweismittel kommen sollen?

     

    Dass nun Netanyau, Liberman, Barak und Peres eine Entschuldigung Goldstone's und die Annulierung seines Berichts fordern, ist lächerlich, denn die Schuld für das "schlechte Abschneiden" Israels darin liegt bei ihnen selbst. Es ist ja auch bezeichnend, dass Goldstone zu seinen Relativierungen ebenfalls selbstständig kam, ohne jegliches Zutun israelischen Behörden und proisraelischer Organisationen, diese haben in den ganzen zwei Jahren nicht versucht, mit ihm in Kontakt zu treten und durch neue Beweise neues Licht auf die Ereignisse des letzten Gaza-Kriegs zu werfen, der Richter musste diese neuen Erkenntnisse selbst suchen und zusammentragen, was ihn nochmals als sehr gewissenhaften und objektiven Menschen herausstellt.

     

    Leider lassen die israelischen Rechten keine Fähigkeit zum Lernen aus den eigenen Fehlern erkennen, denn schon hat der Außenminister Liberman die israelischen NGOs wegen ihrer Zusammenarbeit mit der Goldstonekommission angegriffen und sie als Feinde des Staates Israels verleumdet, die dem Staat absichtlich Schaden zugefügt haben. Der Mann lässt wirklich keine Gelegenheit aus, Israel international zu demontieren.