Türkische Offensive in Nordsyrien: Kurden einigen sich mit Damaskus

Assad verlegt Truppen in den Norden Syriens, um die türkische Armee zurückzuschlagen. Derweil wird in Brüssel beraten, wie sich die EU in dem Konflikt verhalten wird.

Soldaten auf einem Panzer

Soldaten der syrischen Nationalarmee patrouillieren am Sonntag auf einer Straße von Suluk Foto: Anas Alkharboutli/dpa

DAMASKUS/LUXEMBURG/PARIS/BEIRUT dpa/rtr/afp | Die syrische Regierung stationiert Truppen in der Grenzstadt Tel Tamer, die sich der „türkischen Aggression“ entgegenstellen sollen. Die Soldaten seien bereits in Tel Tamer im Nordosten des Landes eingerückt, berichteten Staatsmedien am Montag. Die Kurdenverwaltung hatte zuvor eine Einigung mit Assad über eine Stationierung syrischer Truppen nahe der Grenze zur Türkei bekannt gegeben, um die türkische Offensive in Nordsyrien zurückzuschlagen, teilte die Kurdenverwaltung am Sonntag mit.

Die Armee solle die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), ein Bündnis der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und arabischer Milizen, unterstützen, hieß es von Seiten der Kurden. Der libanesische TV-Sender Al-Mayadeen berichtete, Kontrollpunkte der SDF würden geöffnet, um der Armee Zugang zur Region zu verschaffen. Die YPG werde mit der Führung des Einsatzes betraut. Weitere Angaben zu der Vereinbarung, etwa ob die Kurden Kompromisse bei ihrer Selbstverwaltung im Norden machen würden, wurden nicht gemacht.

Die Türkei hatte die lang geplante „Operation Friedensquelle“ am Mittwoch mit Angriffen auf syrische Orte entlang der gemeinsamen Grenze begonnen. Ankara betrachtet die dortigen Kurdenmilizen als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation.

Die mit Russland verbündete Regierung von Präsident Baschar al-Assad beherrscht acht Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs große Gebiete im Zentrum sowie im Westen und im Süden des Landes. Im April hatte die Regierung zudem eine Offensive gegen die letzte große Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten begonnen.

Embargo und Sanktionen

Derweil wollen die EU-Außenminister am Montag in Luxemburg über mögliche Sanktionen wegen des Einmarschs türkischer Truppen beraten. Schweden hat sich im Vorfeld der Gespräche offen für ein EU-weites Waffenembargo gegen die Türkei ausgesprochen und will bei einer Verschlechterung der Lage auch Wirtschaftssanktionen oder Sanktionen gegen Einzelpersonen vorschlagen.

Auch die französische Regierung hat das Thema Sanktionen aufgeworfen. Paris kündigt Schritte zur Gewährleistung der Sicherheit der französischen Truppen und Zivilisten im Nordosten Syriens an. Nach einer Dringlichkeitssitzung des Verteidigungskabinetts sagte die französische Präsidentschaft am Montag, dass „in den kommenden Stunden“ Maßnahmen ergriffen werden, um die französische Streitkräfte und Zivilpersonen zu schützen, die als Teil der internationalen Koalition gegen den „Islamischen Staat“ (IS) kämpfen oder humanitäre Hilfe vor Ort leisten.

Dass es schnell eine EU-Entscheidung in Richtung Sanktionen geben wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Diplomaten in Brüssel verweisen darauf, dass die Türkei noch immer Nato-Partei sei und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise als Partner gebraucht werde. Zudem gibt es die große Hürde, dass EU-Sanktionen einstimmig beschlossen werden müssten. Als wahrscheinlich gilt deswegen, dass die EU-Staaten vorerst jeweils selber entscheiden müssen, ob sie einen Waffenexportstopp oder andere Strafmaßnahmen verhängen.

Merkel fordert sofortigen Stopp

Länder wie die Niederlande haben bereits unilateral einen Lieferstopp für Rüstungsgüter angekündigt. Deutschland hat seine Rüstungsexporte an den Nato-Partner als Reaktion auf den Einmarsch teilweise gestoppt. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich mit Blick auf das Treffen in Luxemburg zuversichtlich. Er sei sich „ziemlich sicher, dass es dazu eine geschlossene Sprache“ in der EU am Montag geben werde, sagte Maas in der ARD. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach in der Süddeutschen Zeitung (Montag) von einem „ersten, wichtigen Schritt“. Erstrebenswert sei aber eine „gemeinsame europäische Verständigung“ über weitergehende Maßnahmen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am Sonntag in einen Telefonat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zum sofortigen Stopp der Militäroffensive aufgefordert. Diese war auch Thema bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Sonntagabend in Paris. Beide warnten vor einem Wiedererstarken des IS durch das Vorgehen der Türkei in Nordsyrien. Am Sonntag hatten die kurdische Autonomiebehörde und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitgeteilt, dass rund 780 Angehörige von IS-Extremisten aus einem Lager ausgebrochen seien.

Unterdessen wollte die US-Regierung mit dem Abzug von rund 1.000 Soldaten aus Nordsyrien beginnen. Verteidigungsminister Mark Esper erklärte am Sonntag im US-Fernsehen, es bestehe die Gefahr, dass die USA zwischen zwei vorrückende Armeen gerieten. Einen Zeitplan nannte er nicht. Auch blieb unklar, wohin die US-Soldaten sich zurückziehen sollten.

Vertrauensschutz hiesiger Lieferfirmen

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock forderte eine Sondersitzung des Nato-Rats wegen der Militäroffensive der Türkei. „Ein Kriegsverbrechen ist nicht weniger ein Kriegsverbrechen, ein Bruch des Völkerrechts nicht weniger ein Bruch des Völkerrechts, nur weil der Aggressor ein Nato-Mitglied ist“, sagte Baerbock der dpa.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter verlangte im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Montag, es dürfe keine neuen Hermes-Bürgschaften für die Türkei geben. Baerbock und Hofreiter forderten ferner, bereits genehmigte Rüstungsexporte zu stoppen. Das lehnte Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul im RND mit dem Hinweis ab, das würde „den Vertrauensschutz hiesiger Lieferfirmen verletzen und uns gegebenenfalls Schadensersatzansprüchen aussetzen“.

Am Wochenende hatten in mehreren Städten Deutschlands Tausende gegen das türkische Vorgehen protestiert. Allein in Köln waren es nach Schätzungen über 10.000 Menschen. Der türkische Botschafter in Deutschland, Ali Kemal Aydin, verteidigte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ das Vorgehen seines Landes.

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