Türkische Offensive gegen PKK: Tod aus der Luft
Im Nordirak führt die Türkei einen Drohnenkrieg gegen die PKK. Immer öfter werden dabei auch Zivilist:innen zu Opfern.
D er Donner hallt wider von den Felswänden der Kandil-Berge, als Mina Abdullah die Beweisstücke aus dem Kofferraum seines Geländewagens holt. Zwei Stück rostiges Metall. „Das sind die Reste der Rakete, die die Türkei abgeschossen hat“, sagt der 57-Jährige. „Es ist ein Wunder, dass niemand getötet wurde.“
Es ist Anfang April, als Mina Abdullah von dem Angriff erzählt, der das Dorf für immer verändert hat. Am 15. Februar 2021 feuerte eine türkische Kampfdrohne sieben Raketen auf Abdullahs Heimatdorf Shenie am Fuße der Kandil-Berge, wenige Kilometer entfernt von der iranischen Grenze, und verletzte dabei eine zivile Person schwer. Zwei Drittel der Bewohner:innen hätten seitdem das Dorf verlassen, er selbst habe seine zwölf Kühe verkauft, weil es inzwischen zu gefährlich sei, die Tiere hinauf in die Berge zu treiben, sagt Abdullah. „Fast jeden Tag fliegen die Drohnen über dem Dorf, und immer, wenn es donnert, zucken die Kinder zusammen und rufen: Bombardieren sie uns wieder?“
Wir stehen auf einer Anhöhe wenige Kilometer entfernt von Shenie, mit dem Finger wischt Mina Abdullah auf seinem Smartphone über die Fotos von eingestürzten Hauswänden. Eigentlich hatte er uns in sein Dorf eingeladen, doch die Soldaten am irakischen Checkpoint haben uns aufgrund von Sicherheitsbedenken die Durchreise verweigert. „Sie wollen nicht, dass jemand darüber spricht, was hier passiert“, glaubt Abdullah.
Was derzeit in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak passiert, ist eine weitere Etappe eines Kriegs, der seit mehr als zwei Jahrzehnten weitgehend fernab der Aufmerksamkeit internationaler Medien ausgetragen wird. Eines Kriegs, den die Türkei gegen die Milizen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) führt, die von der Türkei und ihren Nato-Partnern Deutschland, EU und USA als Terrororganisation eingestuft wird – und dem immer mehr Zivilist:innen zum Opfer fallen. Es ist ein Krieg, der seit Ende April erneut eskaliert.
Am 23. April hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine neue Offensive unter dem Namen „Operation Klauenblitz“ gegen die PKK im Nordirak gestartet und die Regionen Metîna, Avaşîn und Zap aus der Luft angreifen lassen. „Mehrere Terroristen wurden neutralisiert“, erklärte Erdoğan kurz darauf in einer Videobotschaft. Ziel der Offensive sei es, die „Terrorbedrohung“ entlang der türkischen Südgrenze „vollständig zu beenden“. Die PKK erklärte kurz darauf, der Widerstand gegen die Invasion der türkischen Armee sei ein Kampf von „historischer Bedeutung“, der verhindern solle, dass die Türkei an der Grenze eine Pufferzone einrichte und mit der Besatzung die Kontrolle über die kurdischen Gebiete im Irak erlange.
1978 hatte der kurdische Politiker Abdullah Öcalan gemeinsam mit anderen Aktivisten die marxistische kurdische Partei PKK gegründet. Infolge der verstärkten Repression gegen Kurd:innen nach dem Putsch im Jahr 1980 begann die PKK 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat, in dem bis heute etwa 40.000 Menschen gestorben sein sollen. Schon Anfang der 90er hatte die PKK ihr Hauptquartier in die Kandil-Berge verlegt. Im Jahr 1992 hatte der irakische Diktator Saddam Hussein der Türkei erlaubt, die PKK auf irakischem Territorium zu bekämpfen.
Sechs Jahre später verpflichteten sich die beiden größten kurdischen Parteien im Nordirak im von den USA mediierten Washington-Agreement, der Türkei im Kampf gegen die PKK zu helfen. Das türkische Militär bekam die Erlaubnis, Operationen bis 40 Kilometer ins Landesinnere durchzuführen. „Der Kampf gegen die PKK sichert die Raison d’Être der Autonomieregion Kurdistan“, sagt die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim, die am GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg forscht.
Im Zuge der Friedensgespräche zwischen der Türkei und der PKK hatte sich die Guerilla 2013 bereit erklärt, sich komplett aus der Türkei in die Kandil-Berge zurückzuziehen. Doch der Abbruch der Gespräche hat den Kampf 2015 neu entfacht. Es ist ein Krieg, den die Türkei ohne Bodentruppen und vorwiegend mit Drohnen führt.
„Eigentlich sollten Drohnen dazu führen, zivile Schäden zu begrenzen“, sagt Chris Woods von der britischen Nichtregierungsorganisation Airwars, die Daten zu Luftkriegen auswertet. „Trotzdem sehen wir im vergangen Jahr einen Anstieg um 31 Prozent von Vorfällen, bei denen Zivilist:innen betroffen sind.“ Zwischen 27 und 33 Menschen seien dabei getötet worden. Die Menschenrechtsorganisation Christian Peacemaker Team (CPT) zählt seit 2015, dem Ende der Waffenruhe, 99 zivile Todesopfer und 109 Verletzte in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak.
Es ist ein Freitag Ende März. Bakr Baiz Ali, ein kleiner Mann in Anzug und Adiletten, steht unter der Eiche auf seiner Veranda in der Kleinstadt Qalat Dizah, als er uns begrüßt. „Diese Angriffe sind das Resultat eines innenpolitischen Konflikts in der Türkei, und doch sind wir es, die den Preis dafür zahlen müssen“, sagt der 56-Jährige. Er ist Bürgermeister der Region Peshdar im Nordosten des Irak, wo knapp 150.000 Menschen leben. Auch das Dorf Shenie gehört zu seinem Regierungsbezirk.
Elf Mal sei die Region im vergangenen Jahr angegriffen worden, 3.399 Menschen seien vertrieben worden, 48 Dörfer hätten evakuiert werden müssen. Auch die Stadt Qalat Dizah mit ihren 80.000 Bewohner:innen ist 2019 Ziel eines Angriffs geworden, als die Türkei auf dem Universitätsgelände einen PKK-Kämpfer bombardiert hat.
Für Bakr Baiz Ali ist die Schuldfrage schnell beantwortet: „Wir sind Opfer einer türkischen Staatsmentalität, die nach Expansion strebt, weil sie davon ausgeht, dass wir noch immer in Zeiten des Osmanischen Reichs leben. Die PKK wird als Vorwand genommen, um die Expansion weiterzuführen.“ Dabei sei die PKK lediglich die Reaktion auf eine autoritäre Staatsführung innerhalb der Türkei. „Jeder, der sich auflehnt, wird als Terrorist diffamiert.“
Das Schlimmste sei die Instabilität, die nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat im Jahr 2017 in der Region durch die türkischen Drohnen geschaffen werde. „Wir wissen nicht, ob wir unsere Kinder heute zur Schule schicken oder ob wir morgen unsere Felder bestellen können. All das hängt von der Stimmung der türkischen Remote-Piloten ab“, sagt Bakr Baiz. Er fühle sich hilflos, weil er – obgleich Bürgermeister – die Betroffenen nicht einmal entschädigen könne. Zwar schicke er nach jedem Drohnenangriff einen Bericht in die Hauptstadt der Autonomieregion, nach Erbil, doch die Regierung ignoriere seine Bitten um Hilfsgelder meist.
Dies hat auch damit zu tun, dass die regierende Partei in Erbil, die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) der Barzani-Familie, eng mit der Türkei zusammenarbeitet. „Es gibt lange geheimdienstliche, militärische und auch wirtschaftliche Verstrickungen zwischen der Türkei und den kurdischen Parteien im Nordirak“, sagt die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Inzwischen hat die Türkei im Einverständnis mit der Regierung der kurdischen Autonomieregion in Erbil insgesamt 37 Militärbasen auf irakischem Territorium errichtet. Laut Recherchen der Menschenrechtsorganisation CPT auch jene, von denen aus die Bayraktar-TB2-Drohnen gesteuert werden, die einen Großteil der Angriffe im Nordirak fliegen. Wahrscheinlich auch jenen Angriff, der sich am 27. Juni 2019 in Bakr Baiz’ Regierungsbezirk ereignete. Auf der Zickzackstraße, die in die Kandil-Berge führt.
Eine Gänsefamilie watschelt über den islamischen Friedhof in Chwarqurna, am Himmel hängen schwere, dunkle Wolken. Mamost Mohammed Abdallah Ally trägt eine Sonnenbrille und stützt sich mit dem linken Arm auf seinen Krückstock, mit dem rechten auf den Grabstein. Nebeneinander sind hier sein Vater, sein Bruder Haryed und seine Schwester Kurdistan begraben, gestorben mit 43, mit 18 und mit 29 Jahren. In den Beton, in den die Gräber eingelassen sind, hat jemand geritzt: „Hier ruhen die Märtyrer der Zickzackstraße“.
Kekse für eine türkische Firma
„Das Tragischste an der ganzen Sache ist“, sagt der 33-Jährige, als er später die Bilder von der Unglücksstelle zeigt, „dass ich mit diesem Lastwagen Kekse für eine türkische Firma ausgeliefert habe und uns dann ausgerechnet eine türkische Rakete zerbombt hat.“ Bei dem Angriff am 27. Juni 2019 wurden laut Angaben der PKK drei Guerillas getötet – und drei von Allys Familienangehörigen. Sein Bein wird zerfetzt, er verliert einen Teil seines Gehörs.
An jenem Tag hätten sie das Dorf seines Vaters in den Bergen besucht. Ally, die Eltern, seine Frau, die zwei Kinder und zwei seiner Geschwister. Als sie sich am Nachmittag auf den Heimweg ins Tal machten, sei ein Wagen dicht hinter ihnen gefahren. „Wir waren uns sicher, dass das ein PKK-Pick-up war, und wollten ihn an uns vorbeiwinken“, sagt Ally. Doch das Auto habe sie weiterhin verfolgt, bis es plötzlich in einer Kurve versucht habe, sie zu überholen. In diesem Moment habe es den ersten Einschlag gegeben, dann den zweiten, er sei aus dem Auto geschleudert worden. Erst habe er die Mutter aus dem Auto gehievt, dann seine Frau und die Kinder. Für die anderen habe er nichts mehr tun können. Seine Schwester sei von der Rakete in den Bauch getroffen worden. „Es sah aus, als hätte sie jemand am Sitz festgenagelt.“ Ihre Körper verbrannten. Die Überreste liegen jetzt auf dem Friedhof in Chwarqurna.
Ally ist wütend. Er habe der Regierung in Erbil geschrieben, erzählt er, doch bis heute habe er keine Entschädigungszahlung erhalten. Doch die Schuld für den Tod seiner Verwandten gibt Ally allein der PKK. „Die sollen uns einfach in Ruhe lassen und den Krieg in ihrem Land austragen“, sagt er. „Es ist doch klar: Die Türkei ist wie ein Bienenstock, wenn du da hineinstichst, dann wehrt sie sich. Ohne die PKK wären meine Familienangehörigen heute noch am Leben.“
Allys Geschichte ist eine, wie sie den Verantwortlichen in Ankara gefallen dürfte. Immer wieder betonte Erdoğan in der Vergangenheit, es gebe keinen Raum für die „separatistische Terrororganisation“ in der Zukunft der Türkei, des Iraks oder Syriens. Gerade hat mit der „Operation Klauenblitz“ die 13. türkische Militäroperation seit 1984 im Nordirak begonnen. Wie viele zivile Opfer es seitdem gegeben hat, will das türkische Verteidigungsministerium auf Anfrage der taz „aufgrund von Sicherheitsmaßnahmen“ nicht sagen. Die Regierung veröffentlicht lieber Videos, die zeigen, wie vermeintliche Terroristen aus der Luft getötet werden. Insgesamt sollen seit 2015 laut Aussagen der PKK etwa 2.500 Guerillakämpfer im Nordirak getötet worden sein.
Auch anderswo hat die türkische Drohnenflotte Konflikte jüngst entscheidend beeinflusst: In Libyen hat sie Haftars Truppen beim Vormarsch auf Tripoli gestoppt. Bei einem Angriff im syrischen Idlib im März 2020 sollen laut türkischer Regierung über 100 Panzer zerstört und über 2.000 syrische Kämpfer getötet worden sein. In Bergkarabach hat die türkische Armee mit Drohnen armenische Stellungen zerstört und den Krieg zugunsten Aserbaidschans entschieden. „Türkische Drohnen sind zum Game-Changer in internationalen Konflikten geworden“, sagt Chris Woods von der NGO Airwars.
In der Türkei werden die Drohnen auf Paraden gefeiert wie Helden, besonders die Bayraktar-TB2-Drohne, die im Nordirak eingesetzt wird. Entwickelt wurde sie von der Rüstungsfirma Baykar Makina, die von Selçuk Bayraktar geführt wird – dem Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Erdoğan. Doch den Erfolg verdanken die Drohnen auch den Präzisionsraketen des quasistaatlichen Herstellers Roketsan. Zwar betont das türkische Verteidigungsministerium immer wieder, dass diese in der Türkei produziert werden, doch das ARD-Magazin „Monitor“ hat im vergangenen Jahr aufgedeckt, dass deutsche Firmen mit ihrem Know-how zur Entwicklung der Raketen beitrugen. Die bayerische Firma TDW soll „Bauteile, Gefechtsköpfe und Technologie“ für die „Panzerabwehrlenkwaffen“ geliefert haben, die in der Türkei später womöglich weiterentwickelt wurden.
Ob die Türkei in den Bergen des Nordiraks so viel Erfolg haben wird wie in Bergkarabach oder Libyen, ist zu bezweifeln. „Die PKK ist seit fast 40 Jahren in Südkurdistan [Nordirak] und hat die Bevölkerung schon gegen den IS verteidigt“, sagt Zagros Hîwa, der Sprecher der PKK im Nordirak. „Das ist kein Krieg zwischen zwei Ländern, das ist der Freiheitskampf unseres Volkes gegen eine Kolonialmacht, die eine Reihe von Massakern gegen unser Volk verübt und ihren faschistischen Staat auf unserem Land errichtet hat.“ Die Fragen der taz beantwortet er mit Sprachnachrichten. „Dieser Feind kennt keine Gnade mit den Kurden, ganz egal ob Freiheitskämpfer oder nicht. Für die Türkei zählt: Nur ein toter Kurde ist ein guter Kurde.“
Es ist einer der Gründe, warum Mina Abdullah sein Dorf Shenie trotz des Angriffs im Februar, der vermutlich PKK-Kämpfern galt, die sich in der Nähe des Dorfes aufhielten, nicht verlassen will. „Wenn wir jetzt aufgeben, dann wird die Türkei dieses Gebiet besetzen“, sagt er. „Wir sind es gewohnt, Widerstand zu leisten, wir haben keine andere Wahl.“
In den 80ern habe der irakische Diktator Saddam Hussein sie angreifen lassen, in den 90ern die Türkei, 2011 seien sie vom Iran beschossen worden. Er selbst hat ab 2014 als Peschmerga gegen den sogenannten Islamischen Staat gekämpft, Seite an Seite mit der PKK, wie er erzählt. Zweimal sei er dabei verwundet worden. Stolz zeigt er den Ausweis, den ihm die Soldaten der Anti-IS-Koalition ausgestellt haben. Wie viele Menschen im Nordirak ist er vom Westen enttäuscht und fühlt sich benutzt. Sie seien gut genug gewesen, um gegen den IS zu kämpfen – aber vor den türkischen Drohnen beschütze sie niemand.
Dass es bald Frieden geben wird im Nordirak, daran glaubt derzeit niemand. Erdoğan hat mit Blick auf die PKK angekündigt, die Türkei werde „kämpfen, bis wir diese Mörderbanden beseitigt haben“.
Bakr Baiz, der Bürgermeister des Peshdar-Distrikts, fürchtet die neue Offensive. „Nur die Türkei kann diesen Konflikt beenden. Sie haben den PKK-Gründer Abdullah Öcalan eingesperrt, sie haben den Oppositionsführer Selahattin Demirtaş von der HDP eingesperrt, und sie haben kein Problem gelöst. 40 Jahre Krieg haben kein Problem gelöst – vielleicht sollten sie es einmal mit Demokratie versuchen.“
Die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim sagt: „Das ist kein Konflikt, den die Türkei führt, um jemanden zu besiegen.“ Genau wie die Frage der Anerkennung des Genozids an den Armenier:innen sei der Konflikt ein mächtiges innenpolitisches Instrument, „das immer dann aktiviert wird, wenn es gerade nicht gut läuft für die Regierung“.
Mit der wirtschaftlichen und innenpolitischen Krise der Türkei steigt jetzt wieder die Versuchung, den Konflikt zu eskalieren. Inzwischen hat auch das irakische Außenministerium reagiert, es hat am 3. Mai den türkischen Botschafter in Bagdad einbestellt und die Angriffe sowie die „fortlaufenden Verstöße gegen die irakische Souveränität […] durch die türkischen Streitkräfte“ verurteilt.
Was vom alten Leben übrig blieb
Payman Talib, 31, sitzt auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer in der kleinen Ortschaft Kuna Masi. Neben ihr steht ein Glas mit süßem Schwarztee, an der Wand daneben lehnt ihre Beinprothese. Einmal die Woche fährt sie eineinhalb Stunden mit ihrem Mann aus der Großstadt Sulaimaniyya hierher, um zu reparieren, was von ihrem alten Leben übrig geblieben ist. Aus dem Fenster kann sie den Dorfladen sehen, aus dessen brüchigen Wänden noch Metallbänder ragen. Dort unten stand sie am Nachmittag des 15. Juni 2020 und hat Getränke an die Ausflügler aus der Großstadt verkauft.
„Ich hatte ein wunderbares Leben, ich war eine gesunde Frau mit glücklichen Kindern“, sagt Talib. „In nur einer Sekunde hat sich das alles geändert. Meine Arme sind verbrannt, ich habe ein Bein verloren, und meine Kinder haben noch immer Schrapnelle unter der Haut, die wahrscheinlich nie entfernt werden können.“ Payman Talib erinnert sich an jedes Detail des Angriffs. „Es war ein sonniger Tag. Viele Touristen waren im Dorf. Mein Mann war Eier holen, ich war mit den Kindern allein im Laden. Zehn, fünfzehn Minuten waren wir dort. Dann gab es plötzlich eine Explosion. Erst dachte ich, eine Gaskartusche sei explodiert. Dann bemerkte ich, dass ich den unteren Teil meines Körpers nicht mehr spüre. Ich wurde ins Auto verfrachtet und ins Krankenhaus nach Sulaimaniyya gefahren.“
Später wird Human Rights Watch rekonstruieren, dass es eine türkische Drohne war, die an diesem Nachmittag eine Präzisionsrakete auf Kuna Masi abfeuerte; dass der Angriff einem Kämpfer der Iranian Kurdish Party for Free Life of Kurdistan (PJAK) galt, einer Schwesterpartei der PKK, der dabei getötet wurde. „Ich wusste das alles nicht, bevor ich die Nachrichten gesehen haben“, sagt Payman Talib, und es sei ihr egal, warum die Rakete abgefeuert wurde. „Mein Leben ist zerstört.“ Ihretwegen lebt die Familie inzwischen nicht mehr im Dorf, sondern in der Stadt Sulaimaniyya. Mehrmals pro Woche muss sie ins Krankenhaus, um sich dort behandeln zu lassen.
Entschädigung habe ihr bis heute niemand gezahlt. Weder die PKK noch die Regierung in Erbil, noch die Türkei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“