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Türkei bittet um WirtschaftshilfeArbeitslosigkeit und weiche Währung

Der türkische Vizeregierungschef hofft auf Unterstützung aus Deutschland. Doch im Finanzministerium hält man sich bedeckt.

Reden über Geld: Mehmet Şimşek und Wolfgang Schäuble bei einem früheren Treffen Foto: dpa

Berlin taz | Das Verfassungsreferendum ist gewonnen. Zeit für Recep Tayyip Erdoğan, sich mit anderen Problemen zu befassen. Denn die Türkei leidet nicht nur unter einer politischen, sondern auch unter einer Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast 11 Prozent, und auch die schwächelnde türkische Lira erholt sich nach dem Referendum nur zaghaft. Da käme eine Finanzspritze aus dem Ausland gerade recht. Und so bittet der stellvertretende türkische Ministerpräsident und Finanzminister Mehmet Şimşek Deutschland um Wirtschaftshilfen.

„Ich denke, dass die Zeit kommen muss, zu einer Normalität in den Beziehungen zurückzukehren“, sagte Şimşek der Bild-Zeitung. Beim Treffen der G-20-Finanzminister in Washington sei über Möglichkeiten diskutiert worden, der angeschlagenen türkischen Wirtschaft zu helfen. „Dafür brauchen wir Deutschland“, sagte Şimşek der Zeitung.

Bereits im Februar hatte es ein Treffen von Finanzminister Schäuble (CDU) und Şimşek gegeben. Der Spiegel berichtete im Anschluss, bei dem Treffen sei es ebenfalls darum gegangen, wie Deutschland der Türkei wirtschaftlich helfen könne. Das Finanzministerium bestätigte damals zwar das Treffen, nicht aber den Inhalt. Şimşek trat gegenüber Deutschland und der EU im Vorfeld des Referendums erkennbar gemäßigter auf als Erdoğan.

Offene Ohren fand seine Bitte bei Schäuble offenbar dennoch nicht. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums erklärte auf Anfrage der taz, er wisse nichts von einem Gespräch Schäubles mit Mehmet Şimşek im Rahmen des Washingtoner Treffens. Finanzminister Schäuble sei jedoch der Auffassung, „dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ausbau der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen nicht sinnvoll“ sei.

Für Caner Aver vom Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen zeigt Şimşeks Bitte die tiefe Krise der türkischen Wirtschaft. „Das Problem scheint ziemlich ­dringend zu sein“, sagte Aver der taz. „Sonst würde ein hochrangiges Regierungsmitglied nicht nur wenige Wochen nach Erdoğans Nazivergleich und unmittelbar nach dem Referendum dieses Jahr bereits zum zweiten Mal in Deutschland um Hilfe bitten“.

Die Gelder würden auch nach Deutschland zurückfließen

Caner Aver, Türkeiforscher

Auch die Bundesregierung hat laut Türkeiforscher Aver ein Interesse an der Stabilisierung der türkischen Wirtschaft. „Man könnte Hilfen an Zusagen aus Ankara zum Beispiel beim EU-Türkei-Flüchtlingspakt ­koppeln.“ Nicht zuletzt kämen Wirtschaftshilfen an die Türkei auch den knapp 7.000 deutschen Unternehmen zugute, die in der Türkei investieren. „Ein Stück weit würden Gelder auch nach Deutschland zurückfließen“, sagt Aver.

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18 Kommentare

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  • Erdolf muss boykottiert werden.

    Wenn die Türkei knapp bei Kasse ist können die "deutschen AKP" Wähler ja sammel gehen für das angestrebte osmanische Reich.

  • Mich würde Interessieren was die Erdogan Wähler davon halten.

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    Sorry, Leute, ich lese immer nur"Freiheit für Deniz".

    Was ist mit den anderen Journalisten, Inhaftierten?

    Wenn der Sultan Deniz freiläßt ist alles wieder gut?

    Keine Wirtschaftshilfen und kein Gefangenenfreikauf. Das führt, wie hier schon beschrieben, nur zu weiteren Verhaftungen.

    Das sind Mafiamethoden und das ist nicht empfehlenswert.

  • Das ist schon wirklich ganz schön dreist! Erst der BRD nach allen Regeln der Kunst in die Suppe zu sche**en und dann keinen Monat später unverholen die Hand zum Betteln auszustrecken! Pfui Galle! Ein solches Maß an Unverschämtheit ist wohl kaum noch zu übertreffen! - Oder wollte Erdogan Wahlkampfhilfe für die AfD betreiben..!? Seinen verschrobenen Gedankengängen wäre dies zumindest jederzeit zuzutrauen..

    Die einzige Hoffnung wäre wohl allerhöchstens dadurch #FreeDeniz Yücel u.a. aus diesem "kleinasiatischen Staatsgefängnis" zu erretten.

    Schönen Tag auch.

    • @Ebs69:

      Da haben Sie absolut Recht. Der Punkt ist nur, dass die Bundesregierung bisher noch keine Gelegenheit ausgelassen hat, vor Erdogan einzuknicken. Ist halt dumm, wenn man sich in der für den Wahlkampf wichtigen Flüchtlingsfrage so sehr abhängig macht.

  • a.) Wirklich? unsere Regierung möchte eine Diktatur stützen?

    b.) Dachte der türkische Reis wird das Land zu neuer Blüte und Stärke führen? und eine Woche später muss der Größte Sprücheklopfer aller Zeiten betteln gehen?

    c.) Wie haben die - Regierung und gut 50% der Bevölkerung - genannt, was uns alles vorgeworfen? Ist bei unserer tollen Regierung die Demenz schon so weit fortgeschritten das das schon Vergessen ist?

    d.) Lasst sie pleite gehen, das jeder sieht was passiert wenn man Autokraten, Nationalisten, religiöse Fanatiker und die extreme an die Macht verhilft.

  • Ungeachtet der zurück liegenden verbalen Auseinandersetzungen und der Zustände in der Türkei sollte Deutschland dringend das Land wirtschaftlich unterstützen und für eine Normalisierung der (wirtschaftlichen) Beziehungen sorgen. Andernfalls wird sich Putin gerne darum kümmern und hätte nach Syrien und Libyen demnächst eine dritte Freundschaft unter Männern, an der uns in Europa noch weniger gelegen sein könnte. Das würde die Menschenrechtssituation im Land auch nicht verbessern. Dann hätten wir zwar erneut über alles diskutiert aber erneut nichts für niemanden verbessert.

  • Mehr als 150 gefangene Journalisten und abertausende andere Gefangene sitzen in der Türkei im Knast.

     

    Bevor die deutsche Regierung sich das Gelaber überhaupt anhört müssen die Leute ohne Vorbedingungen freigelassen werden.

     

    Free Deniz

  • Da könnte sich ein Deal anbahnen. Geld gegen Gefangene. Gab´s im Ost-West-D auch mal. Der Erdo hätte da schon mal fleißig "Ware" auf Lager gehortet, und auch noch überwiegend intellektuell. Herr Vogel hätte da sicher was angebahnt, so er noch lebte.

    • @lions:

      @ ANAMOLIE: Als ehemaliger DDR-Bürger sehe ich die Gefahr, dass Erdoğan diese durchaus naheliegende Idee zu einem genauso florierenden Geschäft machen könnte, wie seinerzeit die DDR-Oberen: Die BRD zahlt und die türkische Justiz sorgt für immer reichlichen „Nachschub“.

       

      Wenn überhaupt, sollte das „Tauschgeschäft“ unter umfassender Beteiligung der Medien stattfinden und keinesfalls im Geheimen. Damit es fürHerrn Erdoğan möglichst peinlich ist!

    • @lions:

      Wirtschaftshilfen gegen Freilassung von Gefangenen? Ziemlich fragwürdige Strategie, könnte ein Anreiz für Erdogan sein noch mehr Leute zu inhaftieren, weil er mit denen so viel Geld erpressen kann.

      • @vulkansturm:

        Na ja, ich hatte ja schon bemerkt, dass da sicher nicht die Dümmsten "importiert" würden. Politische Gefangene freizukaufen, hat sich durch den Nachlieferungseffekt schon damals als eher inhuman herausgestellt. Zum Menschenhandel gehören immer zwei.

        • @lions:

          Na, ich glaub eher, unsere Regierung kauft sich da mit einem Flüchtlingsdeal ihre Ruhe. Das einzige, was ihnen wirklich am Herzen liegt.

          • @Artur Möff:

            Ja, könnte man auch so deuten: Erdogan provoziert erneut den Eklat. Ich breche mal die Dämme ein, wenn ihr nichts herausrückt. In beiden Fällen der Entscheidung für D sehr brisant. Das wäre allerdings von Erdo ausgesprochen listig angedacht. Wer kam nur auf die Idee mit dem Flüchtlingsdeal?

  • Die üblen "Nazi"-Tiraden von Erdogan, und die fortdauernde Geiselhaft für Deniz Yücel sollten Grund genug für die Bundesregierung sein, derartige Anfragen aus Ankara unverzüglich in den Papierkorb zu befördern.

  • Warum ist Deniz Yücel noch nicht frei?

    • @Dorian Müller:

      Weil er Türke ist und das nichts mit Deutschland zu tun hat.

       

      Doppelpass halt :)

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...lasst erst mal Deniz frei, dann können wir darüber reden, vorher nicht.