Tücken der Energiewende: Ökostrom für die Tonne
Das Vattenfall-Pumpspeicherwerk an der Elbe bei Geesthacht könnte die Erzeugung von grünem Strom von dessen Nutzung entkoppeln, aber es arbeitet kaum.
Auch Hamburg sucht dafür nach Lösungen: Eine Pilotanlage im Hafen etwa kann 130 MWh durch die Erhitzung von Vulkangestein speichern und bei Bedarf wieder in Strom verwandeln. Doch eigentlich muss die Technologie dafür gar keine Weltpremiere sein, wie beim ETES. Manchmal hilft es, sich auf Altbewährtes zu besinnen.
Hier kommt das Vattenfall-Pumpspeicherwerk (PSW) in Geesthacht ins Spiel, ein paar Kilometer elbaufwärts. 1958 in Betrieb genommen, beträgt die Maximalleistung seiner drei Turbinen zusammen 120 MW. Lässt man das Becken leer laufen, können bis zu 600 MWh Strom erzeugt werden.
Das Prinzip: Überschüssiger Strom hebt Wasser aus einem Unter- in ein Oberbecken; bei Strombedarf treibt das Wasser umgekehrt Turbinen an. Das PSW-Unterbecken ist die Elbe, das Oberbecken ein künstlicher See, der bis zu 3,6 Millionen Kubikmeter Wasser fasst.
Doppeltes Netzentgelt
Nur: Das PSW arbeitet kaum, wie Jens Heidorn, Stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands Hamburg des Bundesverbands Windenergie sagt: „Alle Welt schreit nach Speichern. Aber das PSW wird in den letzten Jahren kaum noch genutzt.“
Ein Problem sind hohe Abgaben. Doppelte Netzentgelte, für die Ein- wie für die Ausspeicherung, fressen an der Wirtschaftlichkeit. Ein anderes: Sanierungsbedarf. Im Becken gibt es belastete Sedimentablagerungen. Die Folge: temporäre Stilllegung.
Geht es nach Heidorn, ist der Weiterbetrieb des PSW „auf jeden Fall zu sichern“. Vor allem gelte es, neue energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen. „Wir haben das oft mit der Politik besprochen, quer durch alle Parteien“, sagt Heidorn frustriert. „Aber da tut sich bisher leider nicht viel.“
Das stört auch Stephan Jersch von der Fraktion Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft. Anfang 2022 hat er in seiner Kleinen Anfrage den Senat gefragt, ob das PSW in die Energiewende „konzeptionell oder praktisch eingebunden gewesen“ sei oder das noch geschehe.
Keiner wagt sich ran
„Dazu hat der Betreiber der zuständigen Behörde keine Informationen zugeliefert“, beschied der Senat knapp. Zwar sei das PSW „von energiewirtschaftlichem Interesse“. 2019 habe Hamburg ausführlich über eine Übernahme der vorhandenen Leistung verhandelt. „Bisher konnte keine Einigung erzielt werden“, teilte der Senat mit. Ein möglicher Verkauf der Anlage an die Stadt oder ihre Energieunternehmen stand damals nicht zur Debatte.
„Das PSW könnte einen großen Beitrag zur Energiewende leisten“, findet Jersch. Aber geschehen ist nichts. Und das, obwohl das in die Tage gekommene PSW mehr als viermal soviel Speichervolumen wie der brandneue ETES hat. Niemand wagt sich dran – auch die Hamburger Energiewerke nicht, zumindest nicht mit einem Kauf.
Es gebe „aktuell keine Pläne, das Pumpspeicherwerk Geesthacht zu übernehmen“, sagt deren Sprecherin Karen Kristina Hillmer. Pumpspeicherwerke seien der einzige Stromspeicher in Deutschland, der in einem nennenswerten Volumen zur Verfügung stehe. Aber: „Diese Bedeutung besteht unabhängig von der Eigentümerfrage.“
Könnte Vattenfall es sich vorstellen, das PSW an Hamburg Energie abzugeben? „Vattenfall wurde mit einer derartigen Anfrage bislang nicht kontaktiert“, sagt Sprecher Stefan Müller. Ob das PSW derzeit Strom erzeugt, durchgängig oder sporadisch, wie viel das ist, wie er genutzt wird? Müller schweigt dazu.
Blogger vermutet Zockerei
Das PSW Geesthacht befinde sich nach wie vor im 'Übergangsbetrieb, teilt Müller lediglich mit. Dieser stelle die Reaktion auf das technische Alter der Anlage in Verbindung mit der technischen Verfügbarkeit dar. „In diesem Betriebszustand werden weiterhin alle wasserwirtschaftlichen Aufgaben und Verpflichtungen wahrgenommen und die Anlage regelmäßig in verschiedenen Betriebsarten eingesetzt“, versichert Müller.
Dirk Seifert, Blogger unter „umweltfairaendern“ und einst im Vorstand des BUND-Hamburg, wundert das nicht: „Seit einiger Zeit behandelt Vattenfall alle Zahlen als Betriebsgeheimnis“, sagt er. „Das Werk läuft nur noch homöopathisch, damit nichts reinrostet.“ Vattenfall zocke bei den Verhandlungen, vermutet er. „Ich denke, die warten jetzt auf ein gutes Angebot, und solange passiert halt nichts.“
Nicht allein wegen der Energiewende findet Seifert das fatal. Gerade vor dem Hintergrund der Krise um Russlands Gaslieferungen müsse man alle Handlungsräume nutzen, fordert er. „Da müssen dringend Puffer ins System.“ Seifert regt solche Untätigkeit auf. Da würden auch in Hamburg Windkraftanlagen abgeregelt, wenn sie überschüssigen Strom produzieren, und zeitgleich liege ein großer Speicher brach. „Das ist doch widersinnig“, ärgert sich Seifert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“