Tucholskystraße in Berlin-Mitte: Unklar, ob die Poller fallen
Der Beschluss des Verwaltungsgericht gegen die Sperre für den Autoverkehr in der Tucholskystraße könnte kurzlebig sein – dank der novellierten StVO.
Geklagt hatten AnwohnerInnen und Gewerbetreibende gegen die auf dem Abschnitt zwischen Oranienburger und Torstraße eingerichtete Fahrradstraße, die zusätzlich mit einem Modalfilter – einer diagonalen Pollerreihe – an der Kreuzung mit der Auguststraße ausgestattet wurde. Die Unterbrechung der Auguststraße zwinge sie und ihre KundInnen dazu, Umwege zu fahren, machten sie vor Gericht geltend – Gründe der Verkehrssicherheit gebe es für die Sperre nicht.
Das Bezirksamt, das die Fahrradstraße auf der Grundlage eines Kiezblock-Beschlusses der BVV angeordnet hatte, argumentierte dagegen, es gehe darum, mit der Unterbindung des Durchgangsverkehrs „Gefahrensituationen an Kreuzungspunkten“ zu entschärfen. Das überzeugte die VerwaltungsrichterInnen nicht: Die Verwaltung habe keine „qualifizierte Gefahrenlage“ nachgewiesen, etwa indem sie Verkehrs- oder Unfallzahlen vorgelegt hätte.
Mobilitätsgesetz hilft (noch) nicht
Die Erfüllung des Sicherheitskriteriums ist für die StVO in ihrer geltenden Form unabdingbar. Ausnahmen gibt es für die Anlage von Fahrradstraßen, nicht aber für das Aufstellen von Pollern, die die Durchfahrt verhindern. Auch auf das Berliner Mobilitätsgesetz, dem zufolge Fahrradstraßen und Nebenstraßen so gestaltet werden sollen, dass Durchgangsverkehr unterbleibt, könne sich der Bezirk nicht berufen, so das Gericht – es handele sich dabei um „stadtplanerische Erwägungen“ und Zielvorgaben, die Bundesrecht nicht „überlagern“ könnten.
Allerdings tritt dieser Tage die novellierte StVO in Kraft, die Anfang des Monats den Bundesrat passiert hat. Damit verändert sich das Panorama entscheidend, denn die Neufassung erlaubt die „Bereitstellung angemessener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr“, was auch mit Zielen wie Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz oder der städtebaulichen Entwicklung begründet werden kann. Auf dieser Grundlage hätte das Gericht die Anordnung wohl nicht als rechtswidrig einstufen können.
Auf die StVO-Novelle und ihre neuen Spielräume verweist auch der grüne Verkehrsstadtrat von Mitte, Christopher Schriner. Den Beschluss des Verwaltungsgerichts respektiere man, schreibt er in einer Pressemitteilung, das Bezirksamt werde aber „in den nächsten zwei Wochen den Beschluss eingehend rechtlich prüfen“. Eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht könnte folgen. Sollte es dazu kommen, wird sich das OVG mit einer geänderten Rechtslage auseinanderzusetzen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen