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Trotz Waffenstillstands in BergkarabachWeiter unter Beschuss

Aserbaidschans Artillerie feuert weiter auf Bergkarabach. Armeniens Premier Paschinjan bleibt untätig. Beobachter fürchten schlimme Folgen.

In Armenien protestieren Menschen gegen die Untätigkeit ihres Premiers Nikol Paschinjan Foto: Irakli Gedenidze/reuters

Wien taz | Die Angriffe auf Bergkarabach gehen unvermindert weiter. Mehr als 200 Verletzte und 32 Tote melden lokale Behörden – darunter 7 Kinder. Die aserbaidschanische Armee hatte unvermittelt am Dienstagvormittag mit dem Beschuss der seit Jahrzehnten umkämpften Region begonnen. Insbesondere die Hauptstadt Stepanakert wurde getroffen.

Mittwochvormittag sah es kurz nach Entspannung aus, als ein von russischen Friedenstruppen vermittelter Waffenstillstand verkündet wurde. Demnach hätten sich die bewaffneten Kräfte Bergkarabachs auflösen und entwaffnen müssen, wie Interfax berichtet. Die Waffenruhe trat Mittwoch um 13 Uhr Ortszeit in Kraft; kurz darauf wurde aber schon wieder geschossen. Mehrere Städte stehen weiter unter Aserbaidschans Artilleriefeuer.

Am Mittwochabend verkündete Aserbaidschans Staatschef Ilham Alijew in einer Fernsehansprache, sein Land habe die volle Kontrolle über Bergkarabach wiedererlangt. In Armeniens Hauptstadt Jerewan demonstrierten währenddessen Hunderte Menschen. Sie forderten ein Eingreifen der armenischen Armee. Armeniens Premier Nikol Paschinjan schließt das bisher aus. Er war bereits zuvor zu Zugeständnissen bereit, die früher undenkbar gewesen wären. Zuletzt bekräftigte Paschinjan, dass Russland für die Sicherheit der Karabach-Armenier zuständig sei.

Narek Sukiasyan, Politikwissenschaftler an der Staatlichen Universität Jerewan, ist für die weitere Entwicklung alles andere als optimistisch: „Schon die Waffenruhen im letzten Bergkarabach-Krieg 2020 haben nicht gehalten. Und sie wurden auf viel höherer Ebene ausverhandelt.“ Es sei zu erwarten, dass sich Russland weiterhin heraushalten werde.

Menschen auf der Flucht aus Bergkarabach

Der Preis, den die Armenier in Bergkarabach für den aktuellen Waffenstillstand zahlen sollen, ist hoch: Aserbaidschan will alle Waffen Bergkarabachs abnehmen und zerstören. Das sind ohnehin nicht viele. Armenien hat seit dem Ende des zweiten Bergkarabach-Kriegs vor drei Jahren keine Waffen und Truppen mehr in der Region.

Dass Armeniens Premier Nikol Paschinjan am Dienstag angekündigt hat, sich militärisch heraushalten zu wollen, kann Sukiasyan nachvollziehen, „weil Aserbaidschan den Krieg dann mit Sicherheit auch auf Armenien ausweiten würde. Und Armenien ist massiv unterlegen.“

Bergkarabach bleibt somit schutzlos zurück. Zahlreiche Beobachter fürchten eine Invasion und Okkupation Bergkarabachs. Dann könnte es zu Vertreibungen, Pogromen, schlimmstenfalls auch zu Massenmorden kommen – ein Szenario, vor dem Armenien seit Monaten warnte. Tausende Männer stehen Sukiasyan zufolge grundlos auf „Wanted“-Listen der aserbaidschanischen Armee.

Mehr als 7.000 Menschen aus 16 Orten in Bergkarabach wurden mittlerweile aus den beschossenen Gebieten evakuiert, eine Ausreise aus Bergkarabach bleibt aber unmöglich. Bilder zeigen Menschenmassen – angeblich bis zu 40.000 Personen – rund um den Flughafen Stepanakert, die auf eine Luftbrücke hoffen. Eine solche war Mittwochnachmittag nicht in Sicht.

Zahlreiche internationale Akteure verurteilen zwar die Angriffe, von der deutschen Bundesregierung über US-Außenminister Blinken bis hin zum EU-Außenbeauftragten Borell. Sie alle hatten monatelang zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln versucht, hatte doch Aserbaidschan bereits seit letzten Dezember Bergkarabach isoliert. Eine schwere humanitäre Krise war die Folge.

Keine Sanktionen in Aussicht

Von Sanktionen wie etwa einem Stopp der milliardenschweren aserbaidschanischen Gaslieferungen an die EU ist aber weiterhin keine Rede. „Westlicher Druck ist das einzige, das den Krieg noch stoppen könnte“, sagt Sukiasyan.

Aserbaidschan rechtfertigte seinen Angriff mit angeblichen „Antiterrormaßnahmen“. Dabei ist offensichtlich, dass für Aserbaidschan keinerlei Bedrohung durch Bergkarabach oder Armenien ausging. Beide verfügen, anders als das von der Türkei massiv unterstützte Aserbaidschan, kaum über militärisches Gerät und haben kein Interesse an neuen Kampfhandlungen.

Russlands Präsident Wladimir Putin verurteilte zwar die Angriffe und sagte, die russischen Friedenstruppen würden „alles tun, um die Zivilbevölkerung zu schützen“. Viele in Armenien glauben diesen Ankündigungen aber nicht, war es doch die monatelange Passivität Russlands, des wichtigsten Players in der Region, die Aserbaidschan überhaupt zu diesen Angriffen motivierte.

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5 Kommentare

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  • Man muss die Internationale Rechte respektieren und nicht in einem anderen Land ein Land für sich bauen hier als Erinnerung:

    en.m.wikipedia.org...-Karabakh_conflict

  • Obwohl Arzach schon am Boden liegt - und mit ihm Armenien und sein Verbündeter Russland - , könnte es sein, dass Erdogan und Alijew (und mit ihnen der Westen, ohne es offen zu benennen) nicht eigentlich mehr erreichen wollen als die endgültige Eingliederung Bergkarabachs in das aserbaidschanische Territorium?



    Nämlich den Sturz der bisher von Moskau abhängigen, in der eigenen armenischen Bevölkerung äußerst unbeliebten Paschinjan-Regierung? Den Armeniern jedenfalls gefällt die Untätigkeit ihrer Regierung sowie der russische “Verrat” in diesem Konflikt überhaupt nicht. Also die Gelegenheit für einen pro-westlichen Regimewechsel in Eriwan.

  • An diesem Gas klebt halt auch Blut, aber anderes Blut. Und ohne Gas, gehen die Lichter bei uns aus. Das weiß auch der grüne Superminister.

    • @Frankenjunge:

      Weswegen er zum Angriff auf Bergkarabach geblasen hat? Oder waren das doch die Aserbaidschaner? Mit freundlicher Unterstützung Russlands und der Türkei?

      Sie sind mir bitte nicht böse, aber das ewige Grünen-Bashing latscht sich langsam aus. Diejenigen, die uns in die Situation gebracht haben, nur noch wählen zu können, mit welchen Arschlöchern wir tun, waren m.W. die Vorgängeregierungen unter CDU-Führung. Deren Wirtschaftsminister können Sie hier nachschauen: de.wikipedia.org/w...irtschaftsminister. Wenn ich mich recht entsinne, war das kein Grüner dabei ... Und auch den tollen Flüchtlings-Deal mit der Türkei haben m.W. nicht die Grünen ausgehandelt.

      • @Libuzzi:

        Dieses unsägliche, öde Grünen-Bashing vergessen wir am besten ganz schnell … da bin ich mit Ihnen einer Meinung.



        Etwas anderer Meinung bin ich bezüglich des Konflikts um Bergkarabach: welchen Vorteil sollte Russland davon haben, das Feld zu räumen bzw. die politische Initiative im Südkaukasus zu verlieren? Genau das ist jetzt aber passiert. Bestenfalls durften die Russen noch über die Kapitulationsmodalitäten ihrer armenischen Verbündeten in Bergkarabach mitverhandeln. Auch in Armenien selbst droht ihnen der Einfluss zu entgleiten, aufgrund der jüngsten US-amerikanisch-armenischen Annäherungen sowie der Gefahr des Sturzes der Paschinjan-Regierung, deren Beliebtheit in der Bevölkerung jetzt nach dem Fall Bergkarabachs nicht gerade gewachsen sein dürfte.



        Ich bin sicher, der Westen wird es sich dann nicht nehmen lassen, hier in die Bresche zu springen, um dem gebeutelten Armenien mit entsprechender “Entwicklungshilfe” unter die Arme zu greifen.