Ein Mädchen mit Eimer steht bis zu den Oberschenkeln in Seewasser.

Foto: Karim Kara

Trinkwassermangel in Kenia:Nur Dreckwasser ist umsonst

Der Victoriasee ist heute eine trübe Brühe. Wer in Kenia sauberes Wasser braucht, muss es aufbereiten oder kaufen – nur wenige können das bezahlen.

Ein Artikel von

27.9.2020, 18:04  Uhr

Viermal am Tag läuft Sherit Otieno mit ihrem gelben Eimer zum Ufer des Victoriasees. Erst geht es über einen unebenen Pfad und dann vorsichtig über riesige handgeknüpfte Fischernetze, die in der Sonne trocknen. Dann watet sie bis zur Taille ins Wasser und lässt den Eimer volllaufen. Wieder am Ufer hebt die 13-Jährige den vollen Eimer auf den Kopf und geht zurück zum Haus ihrer Großmutter in dem winzigen kenianischen Dorf Kanyaywera.

„Das Wasser ist zum Trinken, Kochen und Waschen. Es ist immer dreckig und trübe“, erzählt sie. „Wenn wir genug Geld haben, benutzen wir Medizin, um das Wasser sauber zu machen. Wenn nicht, dann haben wir oft Durchfall.“ Sherit wiegt 40 Kilo und hat am Ende jeden Tages das Doppelte ihres Gewichts an Wasser nach Haus getragen.

Ihre Mutter arbeitet als Putzfrau in der 75 Kilometer weit entfernten Großstadt Kisumu und verdient etwas weniger als 50 Euro pro Monat. Es ist das einzige Einkommen für sie, die Großmutter und die zwei Töchter. Das Wasser aus dem See mit Chlor zu behandeln und trinkbar zu machen, würde im Monat rund 30 Euro kosten.

„Meine Großmutter holte auch Wasser, aber sie ist hingefallen und hat seit Monaten eine große Wunde am Bein, die nicht heilen will, selbst nicht mit teurer Medizin“, sagt Sherit. Das Mädchen hat jetzt Zeit, um täglich Wasser zu holen, weil die Schulen wegen der Coronapandemie geschlossen sind. „Vorher musste ich das ganz frühmorgens machen, bevor ich in die Schule ging. Ich würde gerne wieder früh aufstehen, weil die Schule mir sehr fehlt.“

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Ein Wasserkiosk für Kendu Bay

Es mangelt nicht an Wasser im Westen von Kenia. Aber es gibt ein großes Defizit an sauberem Trinkwasser. Laut der NGO „Water Organisation“ aus den USA sind 40 Prozent der knapp 50 Millionen Kenianer auf unreines Trinkwasser aus Flüssen und Seen angewiesen. Auf dem Land kostet Wasser pro Monat durchschnittlich 30 Euro, weil es chloriert werden muss oder von weit weg transportiert wird. Etwa 65 Prozent der Bevölkerung haben monatlich ein Einkommen von höchstens 90 Euro.

Nicht weit vom Dorf Kanyaywera liegt das Städtchen Kendu Bay, vor etwas mehr als hundert Jahren von arabischen Händlern gegründet. Im alten Stadtviertel Mjini holen die Menschen das Wasser nicht mehr aus dem See. Denn es gibt einen Wasserkiosk – ein kleines Gebäude mit großem Wassertank. In den Tank fließt aufbereitetes Wasser aus einer zentralen Leitung der lokalen Wassergesellschaft, und am Kiosk wird es verkauft. 20 Liter kosten knapp 5 Euro-Cent. Die Wassergesellschaft Homawasco der Region Homa Bay bekommt davon 2 Cent, die restlichen 3 Cent decken die Betriebskosten. Die kleine muslimische Gemeinde verwaltet den Service selbst.

Karte der Region rund um den Victoriasee

„Früher holten wir Wasser aus dem See, aber seit wir einen Wasserkiosk haben, ist das Leben einfacher und wir haben seltener Durchfall“, erzählt der 17-jährige Sadiq Anyango, dessen Familie in der verfallenen Altstadt wohnt. Der Kiosk ist nur fünf Minuten Fußweg vom Haus entfernt, das er mit seinen Eltern und sieben Geschwistern teilt.

Trotzdem macht er sich Sorgen. „Meine Eltern haben nur ab und zu mal einen Tag Arbeit. Das Geld reicht uns oft nicht, und dann müssen wir doch wieder Wasser aus dem See holen, das nicht gesund ist.“ Für Sadiq ist Gesundheit sehr wichtig, nicht nur weil das Coronavirus lauert, sondern auch weil er Sichelzellenanämie hat, eine erbliche Krankheit der roten Blutkörperchen. „Anfang August ist meine Oma gestorben. Sie verdiente Geld mit dem Verkauf von Bananen und davon wurde meine Medizin bezahlt. Meine Eltern können sich das jetzt nicht leisten.“

In der Region Homa Bay, wo Menschen von der Fischerei, kleiner Landwirtschaft und Viehzucht leben, bieten mehrere Verkaufsstellen sauberes Wasser an. Vier der Wasserkioske wurden im Rahmen eines deutschen Entwicklungsprojekts gebaut, so auch der Kiosk, den Sadiq besucht. Insgesamt hat Deutschland von 2011 bis 2014 über die Kreditanstalt für Wiederaufbau 12 Millionen Euro in das Projekt investiert.

Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation folgt die taz ein Jahr lang dem Wasser. Fünf taz-Korrespondentinnen recherchieren in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils. Denn vor allem im Globalen Süden gibt es zu wenig oder kein sauberes Wasser. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen. Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen. Mehr unter taz.de/wasser

Chaos bei der Wasserversorgung

Inzwischen sind die meisten Kioske außer Betrieb. Homawasco-Ingenieur Samuel Fatayah sieht die Schuld dafür bei denjenigen, die die Kioske führen sollten. „Die Kioske sind Eigentum von Homawasco und wir vermieten sie vor allem an Gruppen von Frauen, Jugendlichen und Behinderten. Einzelpersonen sehen die Kioske nur als Möglichkeit, um Geld zu verdienen, und vergessen, dass sie auch dafür sorgen müssen.“

Klimatologe Clifford Omondi in Homa Bay sieht aber auch Versäumnisse bei den Behörden. „Wir haben seit sieben Jahren eine Dezentralisierung in Kenia. Für Wasser sind die 46 Regionen verantwortlich. Die Regierung von Homa Bay hat noch immer keine ordnungsgemäßen Richtlinien für die Wasserversorgung. Es mangelt an Kapazität und Geld und dazu kommt auch noch Korruption und Missmanagement.“

Plausch am Wasserkiosk in Sondu, Kenia Foto: Karim Kara

Nur 6 Prozent des Victoriasees gehören zu Kenia, aber viele Flüsse aus dem Land speisen das riesige Gewässer. Auf dem Weg aus dem kenianischen Hochland verschmutzen Landwirtschaftschemikalien und Kot von Menschen und Tieren das Wasser. Dasselbe passiert entlang des Seeufers. Dazu dazu kommt noch das Abwasser der Industrie.

„Das Wasser verschmutzt immer mehr, weil die Bevölkerung stark gewachsen ist“, erklärt Omondi. „Ein großes Problem ist der Mangel an guten Toiletten. Die Menschen gehen meistens in den Busch und bei Überschwemmungen sind viele primitive Toiletten eingestürzt oder überflutet worden.“

Dazu kommt noch die Verstopfung des Sees durch Wasserhyazinthen seit 1990. Nicht nur entnehmen die Pflanzen dem Wasser Sauerstoff, so dass die Fische ersticken – sie blockieren auch die Zuflüsse, wodurch die Verunreinigungen länger in Ufernähe hängen bleiben.

Ein Ruderboot liegt am Ufer in Wasserlilien.

Abwasser und giftige Stoffe rauben Millionen Menschen am Victoriasee die Lebensgrundlage. Wuchernde Wasserlilien und Klimaextreme lassen den Victoriasee steigen, viele umliegende Dörfer mussten den Fluten weichen. Auch Uganda kämpft gegen die schmutzigen Fluten. ▶ Mehr zum Thema

Omondi sagt: „Ich bin aufgewachsen in Homa Bay und erinnere mich an das Seewasser vor 15 Jahren. Es war klar, wir tranken es und hatten keine Probleme damit.“

Vorher-nachher-Effekt: Aus dem Flusswasser (rechts) wird das Trinkwasser vom Kiosk (links) Foto: Karim Kara

Kinder sterben in Homa Bay an Durchfall

55 Kilometer östlich wissen die Einwohner des Handelsdorfs Sondu, am gleichnamigen Fluss, einigermaßen Bescheid über Verschmutzung und sauberes Trinkwasser. Dort hat die kenianische NGO „Safe Water and Aids Project“ (SWAP) einen Wasserkiosk gebaut, teils mit Geld vom deutschen Konzern Siemens. Auf einer ehemaligen Müllhalde am Fluss, wo das Wasser zunächst die Farbe von Kakao hat, fließt klares Wasser aus zwei Hähnen in einer kleinen Bude.

„Hier muss ich oft anstehen und warten, weil so viele Wasser holen“, erzählt Sheila Auma. „Ich bin umgezogen, um hier in der Nähe zu wohnen, weil mein 11-jähriger Sohn immer Durchfall hatte. Seit ich hier Wasser hole, hat er keine Beschwerden mehr.“ Weltweit ist Durchfall der zweithäufigste Grund für Sterblichkeit bei Kindern unter fünf Jahren, in Kenia sogar der häufigste. Kaum irgendwo in Kenia ist die Kindersterblichkeit so hoch wie in Homa Bay – wegen Durchfall sowie HIV.

Rund 60 Flüsse durchqueren Kenia und das Land zählt mehrere Seen. Trotzdem mangelt es an genügend Wasser für Menschen, Tiere und Landwirtschaft. Trockenheit und Dürre nehmen zu und wechseln sich mit heftigem Regelfall und Überschwemmungen ab.

Laut Ökologen ist die Abholzung in Wassereinzugsgebieten das größte Problem. Kenias Regierung gibt an, dass sieben Prozent des Landes mit Bäumen bedeckt sind – laut unabhängigen Experten sind es nur noch drei Prozent. Versuche, Wälder besser zu schützen, scheitern meist daran, dass das Land für Ackerbau benötigt wird.

„Seit wir hier den Kiosk haben, sehen die Kinder gesünder aus“, meint Grace Opiyo, die das Wasser an dem Kiosk verkauft und nebenbei als freiwillige Gesundheitshelferin arbeitet.

Das Wasser im Kiosk in Sondu kostet ebenfalls 5 Eurocent für 20 Liter. In der Regenzeit kaufen die 7.000 Einwohner ungefähr 1.000 Liter am Tag, in der Trockenzeit 4.000 Liter. Den Kiosk gibt es seit 2016; seit Anfang dieses Jahres leitet ihn ein Bürgerkomitee.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

„Es war nicht nur eine Sache von: Kiosk bauen, Wasser hochpumpen und chlorieren“, sagt SWAP-Gründerin Alie Eleveld. „Wir haben viel Zeit aufgewendet für die Information der Bevölkerung und Training des Komitees, das es jetzt führt. Es gab Probleme, aber jetzt funktioniert es.“

Das Komitee hat ein eigenes Bankkonto, auf das die Einnahmen fließen und von dem die Wasserverkäuferin und fällige Reparaturen bezahlt werden. Auf dem kleinen Gelände steht auch eine moderne, kostenpflichtige Toilette. „Wasser ist nicht nur ein Menschenrecht“, sagt Eleveld, „sondern auch nötig, um zu überleben.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.