Kenia verklagt Uganda wegen Victoriasee: Wer hat die Macht über den Pegel?
Das Wasser steht so hoch wie nie, ganze Dörfer in den Anrainerstaaten des Victoriasees sind geflutet. Kenia macht Uganda verantwortlich.
Seit April wurden in den drei Anrainerstaaten Uganda, Kenia und Tansania ganze Dörfer überflutet, zum Teil vollkommen zerstört. Industrieanlagen, Häfen und die darin liegenden Schiffe wurden geschädigt. Über 200.000 Menschen haben ihre Häuser verloren.
Die Kläger aus Kenia geben Ugandas Regierung die Schuld dafür. Sie habe versäumt, den Abfluss des Wassers aus dem See zu kontrollieren, und damit gegen internationale Verträge verstoßen. Jackson Twinomujuni von Ugandas Ministerium für Wasser und Umwelt bestätigt gegenüber der taz, dass die Klage eingegangen sei und sich nun Ugandas Staatsanwaltschaft damit beschäftigen werde, sie abzuwehren.
Der Victoriasee in Ostafrika ist mit einer Größe von Bayern das größte Süßwassergewässer auf dem Kontinent. Er wird von Zuflüssen aus allen Himmelsrichtungen gespeist. Doch es gibt nur einen Abfluss: den Nil, der in der ugandischen Kleinstadt Jinja abfließt und sich von dort aus gen Norden bis ans Mittelmeer schlängelt.
Der Zugang zu sauberem Wasser ist auf der Welt höchst ungleich verteilt. Ein Rechercheprojekt auf verschiedenen Kontinenten über Trinkwasser, Dürre, Überschwemmungen und Geldströme in der Entwicklungszusammenarbeit unter taz.de/wasser
Jenseits der Nilquelle in Jinja hat Uganda drei Staudämme errichtet, die Strom generieren – und über die lässt sich der Wasserstand regeln. Deswegen findet Kenia, dass Uganda verantwortlich ist, wenn das Wasser zu hoch steigt.
Wassermengen vertraglich geregelt
Wie viel Wasser in Jinja durchfließen darf und soll, ist eigentlich vertraglich geregelt: zum einen durch eine Vereinbarung unter den Mitgliedstaaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) von 2012 und zum anderen durch einen Rahmenvertrag für das Nilbecken, den sämtliche Nil-Anrainerstaaten, darunter auch Ägypten, Sudan und Äthiopien, unterzeichnet haben. Über die Umsetzung dieser komplizierten Vereinbarung wird jedoch bis heute gestritten.
Uganda kann über seine Dämme das Wasser auf- und abdrehen. In den vergangenen zwei Jahren fiel in der ganzen Region des Victoria-Beckens so viel Regen, dass das Wasser stetig anstieg. Dann kam es im April zum Eklat: Marschland aus Wasserlilien von der Größe von knapp zehn Fußballfeldern löste sich vom Ufer nahe Jinja und trieb wie eine schwimmende Insel durch die Strömung in Richtung Nilabfluss.
Der Morast verstopfte die dortigen Staudämme, die Turbinen standen wochenlang still. Die Folgen: Es kam in Uganda und in Teilen Kenias zu Stromausfällen und der Wasserstand des Sees stieg rasant an. Dörfer am Ufer wurden geflutet.
So auch in der großen Stadt Kisumu im Westen Kenias am See. „Wir Kenianer, die in Kisumu wohnen und Häuser am Seeufer besitzen, haben enorme Schäden davongetragen“, so Isaac Okero, ehemaliger Vorsitzender des kenianischen Anwaltverbandes und Hauptkläger im derzeitigen Verfahren.
Die Anwälte aus Kenia fordern von Ugandas Regierung sowie von der Betreiberfirma der Staudämme, Eskom Uganda, Schadensersatz. Sie argumentieren, Eskom Uganda habe die Schleusen der Dämme nicht ausreichend geöffnet. Die Entscheidung, wann wie viel Wasser abfließt, sei allein nach dem Strombedarf ausgerichtet worden, nicht nach dem Wasserstand und der Notwendigkeit, Überschwemmungen zu verhindern.
Ugandas Kommissar für Planung und Regulierung von Wasserressourcen, Callist Tindimugaya, bestreitet, dass Uganda für die aktuellen Überschwemmungen in Kisumu verantwortlich sei: „Was auch immer in Kisumu passiert, hängt nicht mit dem zusammen, was Uganda tut“, sagte er.
Zuflüsse oder Abflüsse entscheidend?
Im Moment fließe weitaus mehr Wasser ab als die üblichen vereinbarten 1.000 Kubikmeter pro Sekunde, nämlich fast doppelt so viel. Tindimugaya versichert: „Je höher der Wasserstand, desto mehr setzen wir frei.“ Der Wasserstand werde täglich kontrolliert.
Die Klage berührt aber eine Grundsatzfrage: Wer hat die Macht über den Wasserpegel des Victoriasees?
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Kenias Anwälte argumentieren, dass der Nil-Abfluss in Uganda entscheidend sei. Sie verweisen auf eine Weltbankstudie von 2005, als Dürre herrschte und der See besonders niedrig war. Weltbankspezialist Daniel Kull kam damals zum Schluss, „dass 45 Prozent der großen Abnahme des Wasserstandes in 2004 und 2005 auf Dürre zurückzuführen sind und 55 Prozent darauf, dass Uganda viel Wasser abfließen ließ“. Im Umkehrschluss sei Überschwemmung hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Uganda zu wenig Wasser abfließen lässt, lautet nun die kenianische Argumentation.
Ugandas Wasserexperten argumentieren hingegen, dass nicht nur der Nil-Abfluss in Betracht gezogen werden solle, sondern auch die 23 Zuflüsse aus allen drei Ländern und dem erweiterten Becken, auch aus Ruanda und Burundi. Denn aufgrund verstärkter Abholzung und zunehmender Regenfälle durch den Klimawandel würden auch diese Zuflüsse stetig mehr Wasser in den See spülen. Es müssten mehr Studien unternommen werden, die das ganze System untersuchen – eine Vereinbarung im Rahmen der EAC, die bislang nicht umgesetzt worden sei.
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