Toxische Männlichkeit: Eppi Aua im Speisewagen
Unsere Autorin saß mit betrunkenen, pöbelnden Männern im Zug. Alle Reisenden duckten sich weg und überließen kampflos das Revier.
V or ein paar Wochen will ich mich gerade in die Menükarte des tschechischen Speisewagens vertiefen, da rumpelt eine Horde Männer herein. Die vier wirken fossilienhaft: Gesichter ohne Mimik, Sidecuts, dicke Bäuche, die sich über zu enge Hosen wölben. Und sie strahlen Stress aus. Noch bevor sie sich neben meinen Tisch plumpsen lassen, suche ich mir einen Platz außerhalb ihrer Schusslinie. „Eppi Aua“ – „Is etz Eppi Aua?“, dröhnt es durch den Waggon, und ihr salvenartiges Gebell führt mich gedanklich an einen Ort, der so düster ist, dass man augenblicklich das Licht anknipsen möchte.
Es mag an den jüngsten Wahlen liegen, aber mit biertrinkenden Männergruppen verbinde ich seitdem mehr denn je Brutalität, Stumpfheit, und ja, auch rechtes Gedankengut. Ich sehe Burschenschaftler vor meinem geistigen Auge, die auf Mädchenfang gehen, und Pils exende Füchse, die kurze Zeit später kotzend über dem Papst hängen. Ich lese, dass Hitlers Aufstieg in Bierkellern seinen Anfang nahm und ein Mann kürzlich seine Schwiegermutter mit einer Axt ermordet hat – weil kein Bier im Haus war.
Im Feldwebelton bestellen die vier Männer eine Runde Bier nach der nächsten. Während sie saufen, rauscht die verwunschene Landschaft an ihnen vorbei. Villen, bewaldete Hügel, der sich schlängelnde Fluss. Nichts interessiert sie, außer, noch mehr von dem pissgelben Gebräu in sich hineinzupumpen. Der Kellner serviert Braten, mit leeren Augen schaufeln sie diesen weg.
Ich denke an die großen Besäufnisse bei den EMs und WMs und daran, wie zu meiner Jugendzeit nach ein paar Tabletts Lüttje Lage aus harmlosen Bekannten nichtsnutzige Raufbolde wurden. Ich erinnere mich an eine Schlagzeile vom letzten Oktoberfest, wonach drei von vier Kellnerinnen bei ihrer Arbeit sexuell belästigt worden sind, und frage mich, wie sehr mein eigenes Sicherheitsempfinden darunter gelitten hat, dass ich in einer Umgebung groß geworden bin, wo die Menge an Herrenhäuser Handgranaten darüber entschied, wer oben und wer unten ist.
Keine*r schreitet ein
Einer der Männer muss aufs Klo – schon wieder. Er schwankt bedrohlich nah an mir vorbei. Luft anhalten. Eine neue Runde, ein neues Rülpskonzert. Plötzlich geraten zwei aus der Gruppe in einen Streit. Laut, aggressiv, vokabelarm. „Du machst immer Mist, Junge“, bellt der Rundenälteste.
„Halt die Fresse!“, schießt es zurück. Sein Sitznachbar starrt einer vorbeilaufenden Frau auf den Po. „Nö, pfui, bist du Single, oder was?!“ Gelächter. Längst dominieren die vier den gesamten Speisewagen, aber keine*r schreitet ein. Der Kellner nicht, der die immer dreister werdenden Rufe nach ihm einfach überlächelt, und auch wir Mitreisenden nicht, seien wir nun jung oder alt, männlich oder weiblich oder nonbinär. Wir alle ducken uns weg und hoffen, dass diese Fahrt möglichst schnell vorübergeht. Weil den Mund aufmachen könnte ja unangenehm werden. Oder gefährlich. Und so überlassen wir diesen Typen nicht nur das Revier, sondern auch ein Stück unserer Lebenszeit, kampflos und unwidersprochen.
Ab der Grenze hört sich dann selbst die Lautsprecherdurchsage nach Hitler an. Blechern, kalt. „Das ist Deutschland“, höre ich eine Mitfahrerin mit osteuropäischem Akzent flüstern. In Dresden steigt endlich auch der Letzte aus der Truppe aus, aber nicht, ohne dass er sich mit einem lauten Furz von uns verabschiedet. Wenn das so weitergeht, wird der Gestank von brauner Scheiße noch lange in der Luft liegen.
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