Im tschechischen Speisewagen: Journalisten lieben Knödel

Ein Essen im tschechischen Speisewagen gehört schon fast zum Pflichttermin für die schreibende Zunft. Warum eigentlich?

Tschechischer Speisewagen mit drei Passagieren. auf den Tischen weiße Decken und rote Läufer

Traditioneller Speisewagen mit den beliebten Tischdecken im Eurocity der tschechischen Bahn Foto: Foto: Robert Fishman/imago

Vergangenen Herbst habe ich etwas gewagt, das mir fast den Rauswurf aus der Journalistenkammer eingebracht hätte. Ich bin mit dem Eurocity nach Prag gefahren und habe nicht im tschechischen Speisewagen Knödel gegessen.

Dabei vergöttern Journalisten diesen Ort, alle waren sie schon hier: die FAZ („… schon ist man in Tschechien. Das liegt an dem Wagen mit den roten Ledersitzen und den großen weißgedeckten Tischen, dem Speisewagen“), die Zeit („Mit dem Eintritt in den Speisewagen ist jedes Mal ein Gefühl des Aufbruchs verbunden … lebt eine Ahnung vom alten Orient-Express weiter“), der Tagesspiegel („Der Zauber des Reisens ist heutzutage ja weitgehend auf der Strecke geblieben. … der tschechische Speisewagen dagegen hat so was – Altmodisch-Zivilisiertes.“).

Und auch die taz weiß: „Der Speisewagen der tschechischen Eisenbahn České dráhy ist Kult.“ Gefahren wird dabei übrigens immer die Strecke Berlin–Prag, serviert werden die Knödel im Idealfall genau, wenn hinter Dresden das romantische Elbtal beginnt.

Nun ist es natürlich okay, wenn alle das Gleiche gut finden, denn es kann ja auch einfach gut sein. Aber dieser Speisewagen ist mehr. Er drückt alle Journalisten-Knöpfe. Da wäre zum Ersten die Nostalgie: Der Wagen atmet den Geist einer früheren Zeit, und zwar der guten alten. Damals, als die Welt noch entschleunigt und analog war. Denn natürlich wird auch gelobt, dass Handy und Laptops im Speisewagen unerwünscht sind, denn ein wenig Zivilisa­tions­kritik hat noch nie geschadet. Von der mit der Nostalgie verwandten Ostblockromantik ist auch immer was zu spüren.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Dann lieben wir Journalisten es, über Soulfood zu schreiben, die kleinen #gönndir-Oasen in der Enthaltsamkeitswüste von Degrowth und Selbstoptimierung. Wie eben Knödel mit Braten. (Ähnlicher Dauerbrenner: die kultigen Freibad-Pommes.) Und schließlich gibt es keinen Text über den České-dráhy-Speisewagen, in dem als Kontrast nicht auch die Trostlosigkeit deutscher ICE-Bordrestaurants erwähnt wird. Das Essen nur aufgewärmt, der Service grausig, das Interieur zweckmäßig. Ein Nichtort. Und wie wir alle wissen, gehen Tiere, Kinder und Kritik an der Deutschen Bahn im Journalismus immer.

Je nun. Neulich war ich auf dem Weg von Dresden nach Berlin, es war Abendbrotzeit und ich bin halt doch zu hypeneugierig. Ich habe mir also gegönnt und bin in den Speisewagen. Und ja, die rote Einrichtung ist heimelig. Und ja, es war reichlich und gar nicht teuer. Und ja, die böhmischen Knödel sind lecker. Und ja, der dazugehörige Svíčková-Rinderbraten auch, wenngleich ich die Sauce stets etwas zu süßlich finde. Nur das gezapfte Pilsener, das war eher schal. Aber, ja: Das kann man schon machen.

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Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.

Viele hassen die Bahn. Und viele lieben sie. Oder schätzen sie zumindest. Die Bahn ist die ökologischere Alternative zu Auto und Flugzeug, das wird den Leuten doch immer klarer. Ohne die Bahn wird aus der Verkehrswende nichts. Mit dem 49-Euro-Ticket, das ab dem 1. Mai gilt, versucht die Bundesregierung, dieses veränderte Bewusstsein zu stärken. Grund genug, dass sich die taz der Bahn intensiv widmet.Wieso reiben sich so viele an der Bahn? Wie ist Zugfahren mit Hund? Erinnert sich noch jemand an die Schönheit der Kursbücher? Was ist der Reiz der Knödel im tschechischen Speisewagen? Diese und viel andere Fragen beantwortet die taz nach und nach unter taz.de/bahnspezial

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