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Todestag prorussischer AktivistenKeine Heilung für die Wunden

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Am Jahrestag des Feuers im Gewerkschaftshaus von Odessa gibt es keine Gedenkveranstaltungen. Wenige Worte Selenskis hätten Wunder wirken können.

Trauer um eine nur 28 Jahre alte Mutter und ihr 3 Monate altes Baby in Odessa Foto: Max Pshybyshevsky/ap

W ieder einmal jährt sich der Jahrestag des Todes von über 40 Antimaidan-Aktivist:innen, die am 2. Mai 2014 bei einem Feuer im Gewerkschaftshaus von Odessa ums Leben gekommen sind. Dass dieses Feuer keinem technischen Defekt, sondern politisch motivierter Brandstiftung geschuldet ist, liegt auf der Hand. Und was macht die ukrainische Regierung an diesem tragischen Jahrestag?

Sie macht, was sie immer all die anderen Jahre auch gemacht hat: Sie tut alles, um ein öffentliches Trauern um die Toten von Odessa unmöglich zu machen. Mal verbot man wegen des Coronavirus eine Versammlung zum Gedenken der am 2. Mai 2014 Getöteten, dann hatte man wegen einer Bombendrohung ausgerechnet zum Zeitpunkt einer geplanten Gedenkveranstaltung vor dem Gewerkschaftshaus von Odessa genau diesen Platz gesperrt.

Und dieses Jahr hat man sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: eine totale Ausgangssperre. Ganz unberechtigt ist diese Ausgangssperre nicht. Putin steht ante portas, eine militärische Eskalation im nur 100 Kilometer entfernten Transnistrien ist nicht mehr auszuschließen, ein russischer Angriff auf Odessa vor wenigen Tagen hat bereits eine 28-jährige Valeria, ihre drei Monate alte Tochter Kira und sechs weitere Menschen getötet.

Zu alldem auch noch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern der Maidan-Bewegung – das würde den russischen Aggressoren in die Hände spielen. Trotzdem: Mit Totschweigen wird eine gesellschaftliche Wunde nicht vernarben. Irgendetwas hätte man sich einfallen lassen müssen, was dem Sicherheitsbedürfnis genauso gerecht geworden wäre wie dem Recht auf öffentliche Trauer um die 42 Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannt waren.

Nur zwei Minuten, gesprochen von Präsident Wolodimir Selenski, gerichtet an die Angehörigen, könnten Wunder bewirken, dem einen oder der anderen zeigen, dass dem Staat die Toten vom Gewerkschaftshaus in Odessa nicht egal sind. Stattdessen werden die Machthaber in der Ukraine auch dieses Jahr den 2. Mai wohl wieder wortlos verstreichen lassen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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6 Kommentare

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  • Die Ereignisse rund um das Gewerkschaftshaus Odessa vom 2.5.2014 sind hier nur bruchstückhaft genannt. Ausführlich beschrieben und als Massaker von Rechtsextremen an Linken gekennzeichnet ist es hier: www.jungewelt.de/a...a.html?sstr=odessa

  • Bei welchem Brand aufgrund eines technischen Defekts werden Menschen aus einem Haus von zufällig vor Ort randalierenden Faschistenhorden totgeschlagen?



    Heute wieder großer Tag der Nazirelativierung…

  • Ich kenne die Hintergründe nicht...und vielleicht wäre eine Entschuldigung auch irgendwann.!! angebracht.

    Aber ausgerechnet jetzt.? Jetzt wo Selenski ja gerade sowieso nix Besseres zu tun hat...und vor allem jetzt wo eine solche Botschaft von den russischen Medien garantiert als Schuldeingeständnis und somit als Argument für ihren Völkerrechtswidrigen Krieg zurecht gedreht würde..????

    ...ach du lieber Himmel....

    -> hoffen wir lieber, dass die Ukraine sich wieder aufrichten kann zu einem freien und demokratischen Staat wird, indem eine Aufarbeitung solcher Geschehnisse möglich wird.

  • RS
    Ria Sauter

    Ja, so ist das leider.



    Die Toten der anderen Seite haben noch nie interessiert.

    • @Ria Sauter:

      sie haben oft nicht interessiert. Aber es gab auch Gedenken an die Toten der anderen Seite, Besuche der Kriegsgräber, symbolische Wiedergutmachung. Das eine hats gegeben und das andere auch.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "... keinem technischen Defekt, sondern politisch motivierter Brandstiftung geschuldet ist, liegt auf der Hand."

    Warum?