Todestag prorussischer Aktivisten: Keine Heilung für die Wunden
Am Jahrestag des Feuers im Gewerkschaftshaus von Odessa gibt es keine Gedenkveranstaltungen. Wenige Worte Selenskis hätten Wunder wirken können.
W ieder einmal jährt sich der Jahrestag des Todes von über 40 Antimaidan-Aktivist:innen, die am 2. Mai 2014 bei einem Feuer im Gewerkschaftshaus von Odessa ums Leben gekommen sind. Dass dieses Feuer keinem technischen Defekt, sondern politisch motivierter Brandstiftung geschuldet ist, liegt auf der Hand. Und was macht die ukrainische Regierung an diesem tragischen Jahrestag?
Sie macht, was sie immer all die anderen Jahre auch gemacht hat: Sie tut alles, um ein öffentliches Trauern um die Toten von Odessa unmöglich zu machen. Mal verbot man wegen des Coronavirus eine Versammlung zum Gedenken der am 2. Mai 2014 Getöteten, dann hatte man wegen einer Bombendrohung ausgerechnet zum Zeitpunkt einer geplanten Gedenkveranstaltung vor dem Gewerkschaftshaus von Odessa genau diesen Platz gesperrt.
Und dieses Jahr hat man sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: eine totale Ausgangssperre. Ganz unberechtigt ist diese Ausgangssperre nicht. Putin steht ante portas, eine militärische Eskalation im nur 100 Kilometer entfernten Transnistrien ist nicht mehr auszuschließen, ein russischer Angriff auf Odessa vor wenigen Tagen hat bereits eine 28-jährige Valeria, ihre drei Monate alte Tochter Kira und sechs weitere Menschen getötet.
Zu alldem auch noch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern der Maidan-Bewegung – das würde den russischen Aggressoren in die Hände spielen. Trotzdem: Mit Totschweigen wird eine gesellschaftliche Wunde nicht vernarben. Irgendetwas hätte man sich einfallen lassen müssen, was dem Sicherheitsbedürfnis genauso gerecht geworden wäre wie dem Recht auf öffentliche Trauer um die 42 Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannt waren.
Nur zwei Minuten, gesprochen von Präsident Wolodimir Selenski, gerichtet an die Angehörigen, könnten Wunder bewirken, dem einen oder der anderen zeigen, dass dem Staat die Toten vom Gewerkschaftshaus in Odessa nicht egal sind. Stattdessen werden die Machthaber in der Ukraine auch dieses Jahr den 2. Mai wohl wieder wortlos verstreichen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“