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Todesanzeigen in TageszeitungenSeitenweise Totengedenken

In vielen Tageszeitungen erscheinen derzeit mehr Todesanzeigen als üblich. Hängt das mit der Übersterblichkeit durch Corona zusammen?

Särge im Andachtsraum des Krematoriums Meißen in Sachsen Foto: Robert Michael/dpa

Deutschland, schrieben einige Journalisten im Frühjahr, fehlten die Bilder, die Corona begreiflich machen. Anders als in Bergamo gab es hier bis dato keine Militärfahrzeuge, die Särge transportierten. Anders als in New York gab es keine sporadisch aufgestellten Kühlhäuser, in denen Leichen gekühlt werden könnten. Anders als in China gab es hier keine menschenleeren Megacitys.

Das ist jetzt, in der zweiten Welle, anders. In Meißen stapeln sich die Särge und bei Twitter häufen sich die Selfies von erschöpftem Krankenhauspersonal mit Maskenabdruck im Gesicht. Und wer derzeit durch Tageszeitungen blättert, der findet dort besonders viele Todesanzeigen, die Familien und Freunde für Gestorbene geschaltet haben. Im Internet fotografieren Leute ihre Tageszeitungen in Chemnitz und Berlin ab, mit dem Tenor: So viele Sterbeanzeigen wie heute gab es lange nicht mehr. Und andere, aus Hannover, Frankfurt und Nürnberg, schreiben darunter: Hier bei uns auch!

Aber stimmt das? Gibt es wirklich wegen Corona derzeit mehr Todesanzeigen? Wenn, dann müsste sich das vor allem in Sachsen zeigen, wo Corona besonders heftig wütet, wo die Krematorien nicht hinterherkommen, die Leichen zu verbrennen, und die Friedhofsgärtner als städtische Bestatter einspringen müssen.

„Es ist richtig“, schreibt Tobias Schniggenfittig, Geschäftsführer der Freien Presse in Chemnitz, auf taz-Nachfrage, „wir haben ein erhöhtes Aufkommen an Traueranzeigen.“ Ob das aber an Corona liegt, wisse er nicht, über die Gründe könne er nur spekulieren, da die meisten, die solche Anzeigen schalten, die Sterbeursache nicht offenlegen. In den meisten Anzeigen steht sie nicht drin, egal ob mit oder ohne Corona.

Rund 40.000 Coronatote in Deutschland

Rein statistisch ließe sich vermuten, dass die vielen Anzeigen auch auf Corona zurückgehen. Rund 40.000 Menschen sind in Deutschland bereits an oder mit Corona gestorben. Auch in Chemnitz, wo die Freie Presse erscheint, deuten die Zahlen auf eine Übersterblichkeit hin. Das Chemnitzer FOG-Institut für Markt- und Sozialforschung rechnet damit, dass im Jahr 2020 in Chemnitz so viele Menschen gestorben sind wie zuletzt 1990/1991. Bei den Sterbefällen pro 1.000 Einwohner ergebe sich demnach ein Niveau, wie es letztmalig in den 1970ern der Fall war.

Auch in der Sächsischen Zeitung aus Dresden erscheinen derzeit mehr Todesanzeigen, bestätigt Grit Bloß, Sprecherin der DDV Mediengruppe. Am vergangenen Samstag zum Beispiel druckte die Dresdner Lokalausgabe drei Seiten Todesanzeigen. Normalerweise seien es ein bis zwei. In der Lokalausgabe Zittau/Löbau waren es fünf Seiten statt sonst maximal drei. Um den Platz für die Anzeigen zu schaffen, streicht die Zeitung ihre Eigenanzeigen oder, seltener, im redaktionellen Teil. Aber auch Grit Bloß warnt davor, die vielen Todesanzeigen allein auf Corona zurückzuführen. „Möglicherweise spielt auch die Tatsache, dass derzeit Beerdigungen ebenfalls nur unter sehr strengen Auflagen stattfinden können, eine Rolle. Die Zeitung wird deshalb eventuell stärker genutzt, um über eine Anzeige einen größeren Kreis über das Ableben informieren zu können.“

Der Berliner Tagesspiegel, wo derzeit ebenfalls sehr viele Todesanzeigen erscheinen, hat auch einen redaktionellen Umgang mit den Corona­toten gefunden. Auf einer interaktiven Webseite sammelt die Redaktion die Geschichten und Fotos der Ber­li­ner*in­nen, die an oder mit Corona gestorben sind, ähnlich, wie die New York Times und der Schweizer Tagesanzeiger es auch schon tun. Für jede*n Gestorbene*n ist auf der Webseite eine Kerzenflamme abgebildet. 1.711 Flammen waren es bei Redaktionsschluss dieser Seite, 440 allein in diesem Januar.

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