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Tiktok-TrendGetriggert vom Talahon

Gucci-Cap, Lacoste-Shirt, Bauchtasche: Talahons feiern ihre 15 Minuten Fame. Deutsche machen den migrantisch dominierten Trend größer als er ist.

Symbolbild Teenager: Paris, Dezember 2023 Foto: Foto: Myriam Tirler/Hans Lucas/imago

Wir alle kennen ihn. Er flaniert selbstbewusst durch deutsche Innenstädte und hängt einfach so rum. Seine Frisur sitzt, die Augenbrauen sind akkurat gezupft, eventuell mit kleinem Schnitt. Du erkennst ihn auch am Starterpack: Markenkleidung, Gucci-Cap, Lacoste-Shirt oder Trainingsanzug, Bauchtasche, Sneaker oder Adiletten mit Socken. Geht er an uns vorbei, kitzelt das übertrieben süße Parfüm noch später in der Nase. Und um seiner Unantastbarkeit Ausdruck zu verleihen, muss er kurz aber mit Präzision auf den Boden spucken. Das ist der Talahon.

Jeder weiß, wer gemeint ist: Der Prototyp des migrantisch gelesenen jungen Mannes in einer deutschen Großstadt.

Natürlich ist die Darstellung überzogen, aber jeder weiß, wer gemeint ist: Der Prototyp des migrantisch gelesenen jungen Mannes in einer deutschen Großstadt. Halbstarke auf der Suche nach Zugehörigkeit und Anerkennung. Ob der junge Mann wirklich Migrationsgeschichte hat, spielt eigentlich keine Rolle. Es geht um die Haltung, die Sprache, den Lifestyle und das Bild, das transportiert wird.

Talahons feiern auf Tiktok gerade ihre 15 Minuten Fame. Früher fiel diese Erscheinung unter die Kategorie „Kanacke“. Manche sagen, dieser Begriff sei schlecht gealtert. Darüber lässt sich streiten. Wie so oft hängt es stark davon ab, wer was zu wem sagt. Bezeichnet ein Deutscher ohne Migrationsgeschichte eine migrantische Person als „Kanacke“, empfinden Betroffene das oft als rassistisch. Untereinander geht das aber bei vielen klar. Sie holen sich die Fremdbezeichnung zurück. „Kanacks“ sind ein indigenes Volk der Inselgruppe Neukaledonien im Südpazifik, die von Frankreich kolonisiert wurde. „Kanack“ heißt eigentlich nichts anderes als „Mensch“.

Talahon dagegen ist eine populäre Wortneuschöpfung, mit der sich Menschen, die sich mit diesem Image identifizieren, selbst bezeichnen. Vielleicht leitet sie sich von der arabischen Wendung „Taeal Huna“ ab, „Komm her“. In den Videos, die unter dem Hashtag „talahon“ hunderttausendfach aufgerufen werden und viral gehen, gestikulieren junge Männer mit einladenden oder provokanten Gesten, dann mit Boxbewegungen. Dabei läuft der Song „Ta3al Lahon“ des Rappers Hassan.

Und los geht es in Kommentaren. Rechte sehen im Talahon den Verantwortlichen für jedes Problem. Linke erheben den Zeigefinger und wollen in der Selbstbezeichnung Rassismus erkennen. Scheinbar fühlen sich Deutsche von einem migrantisch dominierten Trend getriggert und machen ihn größer, als er ist. Was eigentlich passiert: Männer posieren, feiern sich ab, bedienen ein Stereotyp und haben einfach Spaß daran, sich selbst zu karikieren – bis zum nächsten Trend.

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21 Kommentare

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  • Also könnte sich die Autorin mal klar werden ob sie Stereotypen bedienen will oder nicht? Am Anfang wie am Ende steht Migrantisch dominiert. Das ist absoluter Unsinn.



    Menschen mit nahöstlichen Aussehen bilden nur einen Teil der Migranten, Ukraine zB schon vergessen - die gibt's zum Glück ja - noch.



    Richtig ist dann eher das migrantisch gelesen. Allerdings dürfte eine solche Leseart nur von Rechten Idioten ausgehen. Es leben nicht unerheblich viele dieser "Migrantisch gelesenen" Menschen seit ihrer Geburt hier.



    Das beschriebene Verhalten ist vollkommen normal für Heranwachsende (vor allem) männliche Individuen. Das muss man nicht gut finden, doch niemand (naja außer die welche das Gesetz vertreten vieleicht) hat das Recht die Freiheit anderer zu beschneiden wenn die eigene nicht angetastet wird. Ästhetisches Empfinden ist ein Recht, dieses anderen aufzuzwingen nicht (Nötigung).



    Und Bezeichnungen die nicht universal genutzt werden dürfen sind per se rassistisch. IMMER. Entweder alle oder keiner denn genau diese Unterscheidung von uns und denen ist ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte.

    Soweit mein Empfinden.

  • "Männer posieren, feiern sich ab, bedienen ein Stereotyp und haben einfach Spaß daran, sich selbst zu karikieren"

    Das ist eine äußerst wohlwollende Interpretation. Bei Bildungsbürger-Nerds kann man vielleicht so um die Ecke denken. Die meisten anderen meinen das Gepose aber ernst und blicken auf die ungestylten deutschen Gymnasiasten herab.

  • Ich habe weder in Offenbach noch in Frankfurt (soviel zur Verteidigung der ungeliebten Nachbarstadt) bisher jemanden mit Adiletten in der Fußgängerzone gesehen, sondern nur im Schwimmbad oder am Badeweiher. Vielleicht ist dies eine Berliner (Kreuzberger, Neuköllner) Besonderheit.

  • "Scheinbar fühlen sich Deutsche von einem migrantisch dominierten Trend getriggert und machen ihn größer, als er ist. Was eigentlich passiert: Männer posieren, feiern sich ab, bedienen ein Stereotyp und haben einfach Spaß daran, sich selbst zu karikieren – bis zum nächsten Trend."

    Verstehe ich nicht. Woher weiß man, dass dieser Trend durch "Deutsche" getriggert fühlen? Wer zählt hier dazu? Vielleicht wird der Trend ja auch von Deutschen mit Migrationsgeschichte gepusht oder wird hier nur stereotyp an jemanden mit blonden Haaren und blauen Augen gedacht?



    Und wie kommt man dazu, den jungen Männern zu unterstellen, sie würden "sich selbst karikieren"? Das setzt ja voraus, dass sie ein ironisches Verhältnis zu sich selbst hätten (was nicht unbedingt sein muss), wertet den Trend aber gleichzeitig ab, weil er eben_nicht_ernst_gemeint sein kann, denn nur so kann man ihn belächeln und ggf. als Empowerment rahmen. Wäre er ernst gemeint, müsste man wahrscheinlich eher über Unsicherheit, Kapitalismus und toxische Männlichkeit schreiben.

  • Sonst ist die TAZ ganz vorne dabei, wenn es darum geht, toxische Männlichkeit, antiquierte Rollenbilder, männliche Aggressivität und Gewalt usw. zu kritisieren.

    Nichts davon wird hier angesprochen, stattdessen nur von Männern gesprochen, die "posieren", sich abfeiern, Halbstarke auf der Suche nach Zugehörigkeit und Anerkennung.

  • Ja mei. Obs nun am Fließband geklonte Holzfällerimitate, dekoriert mit Staubwedeldutt und Vollbartunfall sind, oder aktuell wie Pilze aus dem Boden schießende 80er Konglomerate im Vokuliha-Rotzbremsen-Tennissocken Bundle, oder halt der Gucci Adiletten Gürteltaschen Babo of Fußgängerzone.



    Trendy Vollkörperkostüme sind und bleiben ein öffentliches Geständnis, seinen Mangel an Geschmack und Selbstbewußtsein mit einem tiefen Griff in irgendeine Social Media Ramschkiste kompensiert zu haben.

  • Frage: Die Talahons haben die Adiletten mit Socken ziemlich offensichtlich vom deutschen Camping Spießer übernommen. Was ist, wenn jetzt wiederum Kartoffel-Deutsche Adiletten mit Socken tragen? Ist es dann kulturelle Aneignung?

  • War dieses Wochenende in einer Großstadt und schwer enttäsucht keine Talahons zu sehen. Ich wollte mir dieses Phänomen so gerne auch einmal anschauen, vielleicht muss ich aber hierfür eher nach Frankfurt, Berlin oder den Pott.

  • Was der Artikel halt völlig außen vor lässt, ist die totale Verachtung für Frauen die in diesen Clips IMMER mitschwingt. Frauen haben 24/7 gefügig zu sein, den Haushalt zu machen, zuhause zu bleiben und keine Meinung zu haben.



    Dieses gestörte Weltbild, diese komplette Überheblichkeit und Dominanz des männlichen Geschlechts ist es, was verstört.



    Und es deckt einmal mehr NATÜRLICH die gescheiterte Integrationspolitik auf 🤷‍♂️



    Denn die Jugendlichen in diesen Videos sind alle arabischen Phänotyps - da muss man keine Rassismuskeule schwingen.



    Rechte wollen natürlich daraus Profit schlagen, logisch, und leider liefern ihnen die Protagonisten dieser Videos jede Menge Futter - aber gerade deshalb muss darüber ungeschönt debattiert werden. Es kann und darf keinen 'Bonus' geben für diese Jugendlichen, dieses Weltbild und diese Art zu denken auszuleben, bloß weil die Debatte von Rechten gekapert werden könnte.



    Dieses Weltbild hat in unserer Gesellschaft absolut keinen Platz - Punkt. Je sauberer und konsequenter wir das von Anfang an kommunizieren, desto weniger können Rechte ihre spaltende Unterscheidung zwischen bio-Deutschen, Pass-Deutschen und Migranten hierbei unterschwellig verbreiten

  • „Kanacke“, empfinden Betroffene oft als rassistisch. Untereinander geht das aber bei vielen klar. Sie holen sich die Fremdbezeichnung zurück.

    Darf das der halbe Pole oder Deutschitaliener auch?

    • @Wonneproppen:

      Sicher, wieso nicht? Ich kenn auch gebürtige Italiener die sich selbst als "Spaghetti" mit Augenzwinkern bezeichnen.

  • Ich traue dem TikTok-Algorithmus nicht: Mir wurde eine Statistik von Talahons auf allen großen deutschen Bahnhöfen übermittelt, wonach es 327 Talahons am Hauptbahnhof Stuttgart aber den Spitzenwert von ganzen 782 Tahlahons am Hauptbahnhof Frankfurt geben soll. Sofort beschlich mich ein ungutes Gefühl - so viele schräge Halbstarke an meinem wichtigen Bahnhof! Aber dann dachte ich mir: Wer zählt die denn, die Talahons sich selbst? Wohl kaum, bei dem Ego kann es für sie immer nur einen geben - plus maximal den besten Freund. Wer macht also so eine Statistik, wer findet das denn interessant? Und da fällt mir nur die AfD ein, sorry.

  • Hmm guten Morgen.

    Über Klamotten und deren Geschmack lässt sich ja gerne streiten. Aber die Menschen, die Box und Drehkick simulieren, finde ich im öffentlichen Raum schon sehr unangenehm.



    Ob mit Adiletten oder Springerstiefel.

    Gruß Roberto

  • Würde es sich bei diesen jungen Männern um weiße Handeln, würde man dies als das Zelebrieren von



    "toxischer Männlichkeit" brandmarken.

    Interessanterweise lässt die Autorin das zugehörige Frauenbild der Herren völlig unerwähnt.

    Es ist diese Doppelmoral, die mich zum nehmend abstößt.

  • Pubertäts-Gehabe nervt universal (außer, man wäre gerade selbst dabei, durch diese Phase zu gehen). Unsicher, oberflächlich, manchmal bildungsfern und konsumgesteuert, zu laut und schrill ... wahrscheinlich muss man durch irgendetwas durch, um irgendwo anders anzukommen.



    Ich wünsche denen das Beste und mir, dass ich dabei wenigstens keine für meine Ohren miese langweilige "Musik" aufgezwungen bekomme.

  • Ich wünschte die gesamte Gesellschaft wäre so hilfsbereit wie diese hier als Talahon geschmähten jungen Männer. Nach meiner Erfahrung reicht nur ein kurzer Blick und schon werde ich gefragt ob ich ein Problem habe. Da können sich viele Gruppen der Gesellschaft eine Scheibe abschneiden.

    • @Šarru-kīnu:

      Eine sehr amüsante Interpretation von "Hastu Problem, Alten?".

  • Talahons tragen erheblich zur Unwirtlichkeit unserer Städte bei. Diese Art Klimawandel ist genau das, was die Leute zur AfD treibt. Es erstaunt doch sehr, wie Machismo hier auf einmal einen Freibrief bekommt, nur weil er "migrantisch gelesen" wird.

    • @Kurt Kraus:

      Ich würde jetzt Mal behaupten, dass die Unwirtlichkeit der Innenstädte eher daran liegt, dass die nur auf Konsum und adrettes Aussehen getrimmt sind. Aber sicher ein paar pupertäre Hansel mit Schlappen sind das Problem.

      • @Hoehlenmensch:

        Haben Sie "adrett" gesagt? Mein Bahnhof, mein Park und meine Fußgängerzone sind in der Hand von Alkies und Junkies, garniert mit Hundescheiße. Die sind meisten zu zugedröhnt, um aggressiv zu sein. Dafür gibt es dann die Talahons.

  • < machen den migrantisch dominierte Trend größer als er ist.

    Sehr gut. Das habe ich so nirgendwo anders gelesen, "größer machen als es ist". Das geschieht so häufig, wenn plötzlich alle Medien auf ein Thema aufspringen und es damit "viral" geht.



    Danke für die Einordnung. Guter Journalismus!