Tierpopulation im Katastrophengebiet: Die Hirsche von Tschernobyl
Die Tierbestände rund um das Atomkraftwerk haben sich erholt. Teilweise gibt es dort nun sogar mehr Wild als vor dem Unglück.
Ein Forscherteam um den Umweltwissenschaftler Jim Smith von der Universität Portsmouth hat das Vorkommen von Wildtieren im weißrussischen Teil der Sperrzone rund um den Reaktor erfasst. Ihr Ergebnis: Nach dem Tod zahlreicher Tiere direkt nach der Katastrophe 1986 hat sich die Population schnell erholt.
Inzwischen gibt es in der verstrahlten Region nicht weniger Hirsche, Rehe und Wildschweine als in Naturreservaten außerhalb des Katastrophengebiets. Wildschweine fanden direkt nach dem GAU sogar sehr gute Bedingungen vor: Sie ernährten sich von den Feldern, die die Bauern verlassen hatten.
Die von Menschen nicht kontrollierte Vermehrung der Tiere in der Sperrzone wurde auch durch Raubtiere begrenzt: Wölfe gibt es in der Sperrzone deutlich mehr als in den angrenzenden Gebieten, wo sie wegen Angriffen auf Vieh stark bejagt werden. Andere Tiere wie Wisent und Luchs haben sich in den letzten Jahren sogar neu angesiedelt.
Gesundheitszustand der Tiere ist unklar
Bereits 2014 hatte eine Studie der Universität Paris festgestellt, dass einige Vogelarten im Umkreis von Tschernobyl sogar im Durchschnitt größer und gesünder waren als ihre Artgenossen außerhalb der Gefahrenzone. Als Grund wurde damals die Anpassung an den Lebensraum angenommen: Die Tiere wiesen eine erhöhte Konzentration an Glutathion auf, einem Eiweiß, dass für die Zersetzung gefährlicher Substanzen im Körper zuständig ist.
Studienleiter Jim Smith sieht die Wildpopulation nicht als Zeichen, dass das Katastrophengebiet ungefährlich geworden ist. Aber: „Auf Dauer ist die Auswirkung der Zivilisation auf die Natur offenbar mit einer nuklearen Katastrophe zu vergleichen.“ Wahrscheinlich sei die Zahl der Tiere im ehemals dicht besiedelten Gebiet um das Atomkraftwerk sogar geringer gewesen als heute, sodass der GAU im Endeffekt eine positive Auswirkung auf die Wildbestände gehabt haben könnte.
Allerdings erfasst die Studie nur die Zahl der Tiere. „Wir wissen nicht, in welchem Gesundheitszustand sie sind“, sagt Mathias Edler, Atomexperte von Greenpeace. Hirsche und Wildschweine könnten dort ohne menschlichen Einfluss gut leben. Ob sie jedoch Schäden durch die radioaktive Belastung erlitten hätten, müssten weitere Untersuchungen zeigen.
Jim Smith sieht dieses Argument: Man habe die Tiere nicht untersucht, teilweise nur die Fährten analysiert. „Wir wissen nur, dass die Strahlung nicht tödlich ist. Wie es den Tieren geht, können wir nicht sagen“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!